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Politik

Einlenken oder Taktik?

Magdalena Gwozdz-Pallokat
4. Februar 2022

Im festgefahrenen Streit um Rechtsstaatlichkeit mit der Europäischen Union scheint Polen nachzugeben und versöhnliche Töne anzuschlagen. Doch Rechtsexperten gehen mit Präsident Dudas neuen Vorschlägen hart ins Gericht.

Polens Präsident Duda
Polens Präsident Andrzej Duda auf einer Pressekonferenz im PräsidentenpalastBild: Leszek Szymanski/PAP/dpa/picture alliance

Er wisse, er werde für seinen Vorschlag viel Kritik einstecken, aber einer müsse es tun: Polens Präsident Andrzej Duda wirkte entschlossen, als er an diesem Donnerstag vor die Presse trat. "Polen braucht keinen Streit mit der Europäischen Kommission. Polen braucht im Moment Ruhe", sagte Duda. Und deshalb bringe er einen Vorschlag auf den parlamentarischen Weg, das kontrovers gesehene "Gesetz über das Oberste Gericht" abermals zu verändern. 

Die von der rechtskonservativen Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) angeregte Reform des Obersten Gerichts hatte unter anderem die Schaffung einer neu zusammengesetzten "Disziplinarkammer" zur Bestrafung von Richtern vorgesehen. Das Regelwerk ist ein Hauptstreitpunkt Polens mit der EU. Duda schlug nun vor, diese umstrittene Kammer wieder abzuschaffen. Dabei räumte er ein, dass die Kammer ihre Rolle nicht erfülle. Richter, die ihr angehören, sollen dem Vorschlag nach entweder in den Ruhestand gehen können oder in eine andere Kammer des Obersten Gerichts wechseln.

Der Oberste Gerichtshof in WarschauBild: Czarek Sokolowski/AP Photo/picture alliance

Ewa Letowska, frühere Richterin am Warschauer Verfassungsgericht, hält den Vorstoß des Präsidenten für ein Täuschungsmanöver. Im Gespräch mit dem Investigativportal OKO.press sagte sie, dass nicht eine Kammer Urteile spreche, sondern konkrete Richter, die mit diesem Schachzug nur an einen anderen Ort versetzt würden. "Das Aufsetzen eines Hutes lässt das, was er verbergen soll, nicht verschwinden", so die Juristin. Hintergrund ist die "reformierte" Form der Richterberufung in Polen, die de facto einen hohen Einfluss der Regierungsparteien darauf sichert, wer Richter wird - auch in einschlägigen Urteilen europäischer Gerichte wurde auf diesen entscheidenden Knackpunkt immer wieder hingewiesen.

Will Duda die Kommission überlisten?

Was Polens Staatsoberhaupt als einen Kompromiss präsentierte, der es Polen ermöglichen solle, den Streit mit der EU zu beenden, wird von Michal Wawrykiewicz von der "Initiative Freie Gerichte" sogar als das Gegenteil dessen interpretiert, was angeblich bewirkt werden solle.

Im Gespräch mit der DW bezeichnet er die Ankündigung des Präsidenten als "Hohn". Es handele sich um einen Versuch, Fakten zu manipulieren und die Europäische Kommission zu betrügen. "Die Kommission lässt sich durch Scheinschritte nicht hinters Licht führen", glaubt Wawrykiewicz. Die zuständige EU-Kommissarin Vera Jourova habe profunde Kenntnisse über die von der PiS betriebenen Veränderungen im polnischen Justizwesen und wisse, "dass das Kernproblem die neuberufenen Richter sind und sich daran nichts ändern wird, wenn man die 'Disziplinarkammer' durch eine neue Institution ersetzt". 

EU-Kommissarin Vera Jourova Bild: Lieven Creemers/EU

In der Tat kündigte Duda an, eine neuartige Institution schaffen zu wollen, die sich mit "richterlicher Verantwortung" auseinandersetzen soll. Und er sagte noch etwas, was Wawrykiewicz aufhorchen ließ. Duda betonte nämlich, dass jeder Mensch in Polen ein "heiliges Recht" auf ein faires und unvoreingenommenes Gerichtsverfahren habe. Deswegen spreche er sich für eine Institution aus, an die sich jeder Bürger wenden könne, der vor Gericht steht, um die Unbefangenheit und Unabhängigkeit der jeweiligen Richter überprüfen zu lassen. Duda habe dabei nicht nur aktuelle Gerichtsentscheide im Auge, sondern auch solche, die Jahre und sogar Jahrzehnte bis ins sozialistische Polen zurückreichen.

"Es ist eine katastrophale Idee, alte Urteile anfechten zu lassen", kommentiert Wawrykiewicz. Er verweist auf Erfahrungen mit der vor vier Jahren im Rahmen der "Justizreform" eingeführten "außerordentlichen Klage", die bereits die Anfechtung letztinstanzlicher Urteile vorsieht - allerdings nur auf Antrag des Generalstaatsanwalts oder anderer staatlicher Organe. "Die Praxis zeigt, dass auf diesem Weg Urteile ausgegraben werden, um einen Gegner fertigmachen zu können".

Versöhnliche Töne auf mehreren Ebenen

Misstrauisch beäugt wird Duda auch deswegen, weil er schon einmal im Begriff schien, die Justizreform zu bremsen: Während der Massenproteste von 2017 legte er gegen Teile der PiS-Reform sein Veto ein. Die Proteste flauten ab, und bald darauf präsentierte das Präsidialamt eigene Reformvorschläge. Diese warfen aber ebenfalls Fragen über ihre Rechtsstaatsverträglichkeit auf, wurden inzwischen in zentralen Teilen von polnischen und europäischen Gerichten als unzulässig verworfen und führten zu den bekannten Auseinandersetzungen mit der EU. Will also ein Mitarchitekt umstrittener Reformen diese jetzt wirklich begradigen oder taktiert Duda nur in Absprache mit der Regierung?

Polens Ministerpräsident Mateusz MorawieckiBild: Mindaugas Kulbis/AP Photo/picture alliance

Einige Stunden vor Dudas Ankündigung kamen demonstrativ versöhnliche Töne auch aus Prag. Dort verkündete Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki, es gebe eine Einigung mit Tschechien, und der monatelange, auch juristisch geführte Streit um die Braunkohle sei beendet. Seit Monaten litten die polnisch-tschechischen Beziehungen unter dem Konflikt um den Ausbau des polnischen Tagebaus Turow. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) verlangte einen Baggerstopp und verhängte eine tägliche Geldstrafe von 500.000 Euro, nachdem sich Polen geweigert hatte, dem Urteil zu folgen. 

Während es aus der Warschauer Regierung lange hieß, Polen werde "keinen Cent" zahlen für Turow, sieht die Einigung mit den Tschechen nun Ausgleichszahlungen von mindestens 45 Millionen Euro und weitere Maßnahmen vor, um negative Auswirkungen auf Umwelt und Grundwasser im Nachbarland zu begrenzen. Während PiS-nahe Medien einen "großen Erfolg" Morawieckis feiern, spricht die polnische Opposition von einer Niederlage. Warschau habe praktisch alle Bedingungen erfüllt, die Prag gestellt habe.

Dass die polnische Führung derzeit zumindest verbal auf Deeskalation aus ist, könnte auch mit der schwierigen internationalen Lage zu tun haben. Duda selbst verwies darauf, wegen aktueller Erschütterungen könne man "unnötigen Streit" mit der EU jetzt nicht gebrauchen. Und auch die immer noch feststeckenden Milliarden aus dem EU-Corona-Fonds für Polen kann sein Land sicher gut gebrauchen. Insofern kann sein Vorschlag auch als Mittel auf dem Weg zu ihrer Freigabe gesehen werden.

In der Rechtsstaatspraxis in Polen hat sich indes wenig verändert. Das zeigt der Fall des Richters Pawel Juszczyszyn. Vor genau zwei Jahren (4.2.20) wurde er suspendiert - wegen der Anwendung europäischer Rechtssprechung in Polen. Obwohl ein polnisches Gericht seine Suspendierung als unzulässig verwarf, darf Juszczyszyn bis heute nicht mehr urteilen.

Magdalena Gwozdz-Pallokat Korrespondentin DW Polski, HA Programs for Europe, Warschau, Polen