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PolitikPolen

Warschau: Eklat im Deutschen Historischen Institut

Jacek Lepiarz in Warschau
31. Mai 2023

Ein rechtsradikaler polnischer Abgeordneter wütet im Deutschen Historischen Institut in Warschau und verhindert einen Vortrag über den Holocaust. Die Polizei zeigt sich machtlos.

Polen Eklat beim Deutschen Historischen Institut in Warschau
Der rechtsextreme Abgeordnete Grzegorz Braun (re.) stört eine Veranstaltung im Deutschen Historischen InstitutBild: Jacek Lepiarz/DW

Das Deutsche Historische Institut in Warschau ist gewöhnlich ein Ort ausgewogener wissenschaftlicher Debatten, bei denen sachliche Argumente und nicht politische Emotionen die entscheidende Rolle spielen. Am Dienstagabend (30.05.2023) aber wurde der Karnicki-Palast, seit 2002 der Sitz des Instituts, zum Schauplatz eines politischen Eklats. Auch Gewalt kam zum Einsatz - vorerst nur gegen die technische Ausrüstung.  

Das Institut hatte zu einem Vortrag von Jan Grabowski eingeladen, einem renommierten polnisch-kanadischen Holocaust-Forscher. Der Titel seines Vortrags: "Polens (wachsende) Probleme mit der Geschichte des Holocaust" sorgte schon im Vorfeld für Aufregung. Bereits am 25. Mai begann der ehemalige außenpolitische Chefberater von Präsident Andrzej Duda, Jakub Kumoch, auf Twitter gegen Grabowski zu agitieren. Kumoch, der nach Medienberichten polnischer Botschafter in China werden soll, störte sich offenbar vor allem daran, dass der Vortrag ausgerechnet im Deutschen Historischen Institut gehalten werden sollte. Gerade Deutsche seien nicht berechtigt, den Polen etwas über den Holocaust beizubringen. "Noch einmal: ein deut-sches historisches Institut", schrieb er und warf der Einrichtung vor, "eine Affäre zu provozieren", damit die deutschen Zeitungen Stoff zum Schreiben hätten.

Sejm-Abgeordneter stürmt die Bühne

Für den Skandal am Dienstag sorgte kurz nach Beginn des Vortrags der rechtsradikale Abgeordnete Grzegorz Braun. Nach einigen Minuten sprang er mit dem Ruf "Genug!" von seinem Sessel auf, stürmte das Podium, riss das Mikrofon an sich und schlug mit ihm mehrmals gegen das Pult. Anschließend riss er die Kabel heraus und stürzte den Lautsprecher um. Dem schockierten Publikum erklärte er, die Veranstaltung sei beendet.

Institutsdirektor Milos Reznik (re.) spricht mit einem Journalisten nach dem EklatBild: Jacek Lepiarz/DW

Weder der Ordnungsdienst im Saal noch die herbeigerufenen Polizisten waren imstande, Braun und seine Gefolgsleute des Saals zu verweisen. Der Parlamentarier berief sich auf seine Immunität und behauptete, es handele sich um einen Notstand. Auf den Vorwurf des Institutsdirektors Milos Reznik, er zerstöre das Eigentum, reagierte Braun mit einer Beschimpfung: "Ein Deutscher in Warschau wird mich nicht belehren, dass ich etwas nicht zerstören soll. Raus aus Warschau, sofort!"   

Trotz Buh-Rufen aus dem Publikum und den Worten "Schande", "Faschist", "russischer Fußlappen" an die Adresse des Provokateurs rührte sich Braun nicht von der Stelle. "Ich verteidige die polnische Nation vor einem provozierten Angriff auf die historische Sensibilität", erklärte er den Polizisten. Nach ergebnislosen Verhandlungen mit Braun forderte die Polizei die Teilnehmer der Veranstaltung auf, den Saal zu verlassen.

Rechtsextremer Provokateur

Erst als die Veranstaltung abgebrochen wurde, verließ auch Braun das Gebäude, um sich anschließend vor seinen Anhängern auf der Straße mit seinem Sieg zu brüsten. Braun gehört im Parlament zu der kleinen Fraktion Konfederacja (Konföderation), die zur Zeit aus neun Personen besteht. Die Gruppierung unterhält enge Kontakte zur AfD in Deutschland. Spektakuläre Protestaktionen sind ein fester Bestandteil seiner Politik. In den vergangenen Jahren machte er durch Proteste gegen COVID-Einschränkungen von sich reden. Dem Gesundheitsminister drohte er im Parlament: "Du wirst hängen!" Auch unabhängige Medien gehören zu seinen Gegnern. Schon im September 2012 hatte er erklärt, dass man jeden zehnten Journalisten der Gazeta Wyborcza und des Privatsenders TVN erschießen müsse.

  

Der Sejm-Abgeordnete Grzegorz Braun (Mitte) zu Besuch bei der AfD im Bundestag am 26.09.2022Bild: Wojciech Szymanski/DW

"Wir erreichen eine neue Stufe der Gewalt gegen Wissenschaftler", sagte unterdessen der Historiker Grabowski dem Internetportal Wirtualna Polska. Die aktuelle Situation erinnert seiner Meinung nach an die Zustände in den Jahren 1937-1939, als in Polen Wissenschaftler angegriffen und ihre Vorträge gestört wurden.

Rückkehr in die 30er Jahre?

Seine Meinung teilt der Historiker Szymon Rudnicki, Autor zahlreicher Publikationen über die polnische radikale Rechte in der Zwischenkriegszeit (1918-1939). "Ich fühle mich in die 30er Jahre zurückversetzt", sagte er der DW.

"Was kann ich sagen? Diese Situation spricht für sich. Wir haben gesehen, wer die Angst vor der Debatte über wichtige aktuelle Probleme hat", kommentierte Institutsdirektor Reznik vor Journalisten. Er versicherte, dass sein Institut das Thema des Vortrags später noch einmal aufgreifen werde. Auf die Frage, ob durch die Entscheidung, die Veranstaltung abzubrechen, dem Provokateur nicht das Feld überlassen worden sei, sagte Reznik: "Wenn der Wissenschaftler sagte, dass er keine Möglichkeit sieht, den Vortrag fortzusetzen, müssen wir das akzeptieren."

Der polnisch-kanadische Historiker Jan Grabowski forscht über den Holocaust in PolenBild: Jan Grabowski/picture alliance/dpa/

Jan Grabowski lehrt an der Universität Ottawa in Kanada. Mit seinen Publikationen in Polen hat er sich viele Feinde, vor allem im rechten Regierungslager, gemacht.  

Er ist unter anderem Mitverfasser des 2018 erschienenen Buchs "Weiter ist die Nacht. Schicksale der Juden in ausgewählten Landkreisen im besetzten Polen". Darin thematisiert er das Problem der Gewalt christlicher Polen gegen die Juden, vor allem nach der Räumung der Ghettos durch die Deutschen 1942, als die Überlebenden Hilfe bei den polnischen Familien auf dem Land suchten. Seine Forschungsergebnisse wurden von dem polnischen Institut für Nationales Gedenken (IPN) kritisiert. Hinter Grabowski stellten sich dagegen die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und das Institut für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften.

Die polnische Regierung hat in letzter Zeit den Druck auf unabhängige Wissenschaftler verstärkt, die kritische Aspekte der polnisch-jüdischen Beziehungen im Zweiten Weltkrieg untersuchen. "Ich werde keine Forschungsarbeiten finanzieren, die auf eine Verleumdung des guten Namens des polnischen Staats ausgerichtet sind", teilte Polens Minister für Bildung und Wissenschaft, Przemyslaw Czarnek, beim Treffen mit einer Delegation des Europaparlaments Mitte Mai 2023 in Warschau mit. Diese Haltung hat auch zu Spannungen mit der israelischen Regierung und Holocaustforschern weltweit geführt.

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.