1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikPolen

Polen: EuGH-Urteil zur "Homo-Ehe" setzt Tusk unter Druck

Jacek Lepiarz (aus Warschau)
1. Dezember 2025

Der Europäische Gerichtshof fordert Polen auf, im Ausland geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen anzuerkennen. Für Premier Donald Tusk wächst der Druck, LGBTQ+-Rechte endlich umzusetzen.

Auf dem Foto ist im Vordergrund ein Schild mit einem Emblem zu sehen, auf dem die Abkürzung CVRIA steht und darunter auf Französisch "Gerichtshof der Europäischen Union". Über der Schrift ist ein Symbol mit einer Waage und einem Schwert zu sehen, die von einem Lorbeerkranz umgeben sind. Im Hintergrund ragen zwei moderne Hochhäuser mit goldfarbenen Fassaden in den Himmel
Der Sitz des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in LuxemburgBild: Arne Immanuel Bänsch/dpa/picture alliance

Die Nachricht aus Luxemburg brachte den polnischen Regierungschef Donald Tusk in die Bredouille. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied am vergangenen Dienstag (25.11.2025), dass Polen als EU-Staat die Ehe zweier gleichgeschlechtlicher EU-Bürger auch dann anerkennen muss, wenn sie rechtmäßig in einem anderen EU-Land geschlossen wurde. Geklagt hatten zwei polnische Männer, die 2018 in Berlin geheiratet hatten, wo sie jahrelang lebten.

"Das ist ein historisches Urteil, auf das wir lange gewartet haben", schwärmte Staatssekretärin Katarzyna Kotula, in Polens Regierung zuständig für Gleichstellungspolitik. "Wir werden jetzt beraten, wie wir das Urteil umsetzen", kündigte die linke Politikerin an.

Polens Gleichstellungsministerin Katarzyna KotulaBild: Pawel Jaskolka/picture alliance / PAP

Tusks Begeisterung hält sich dagegen in Grenzen - denn das Urteil aus Luxemburg erinnerte ihn an das ungelöste Wahlversprechen, das ihm seine enttäuschten Anhänger immer wieder vorwerfen: Der proeuropäische Politiker hatte im Wahlkampf 2023 die Einführung eingetragener Partnerschaften in Polen zu einer seiner Prioritäten gemacht und versprochen, eine entsprechende Gesetzesreform in den ersten hundert Tagen nach seinem Amtsantritt als Premier unter Dach und Fach zu bringen. Zwei Jahre danach ist das Versprechen immer noch nicht eingelöst.  Polen ist eines von fünf EU-Ländern, die bislang keine amtliche Eintragung von gleichgeschlechtlichen Paaren zulassen.

Vor der Kabinettssitzung am Mittwoch (26.11.2025) verkündete Tusk, Polen werde "selbstverständlich" die Urteile europäischer Gerichte auch in dieser Frage anerkennen. "Niemand wird uns etwas aufdrängen können", schränkte er gleichzeitig ein, um seinen Kritikern aus dem rechtskonservativen Lager zuvorzukommen.

LGBTQ+-Rechte: rotes Tuch für Nationalkonservative

Denn die Rechte von LGBTQ+-Menschen sind, ähnlich wie die Liberalisierung der Abtreibungsvorschriften, für polnische Rechtskonservative und Rechtsextreme ein rotes Tuch. Sie erkennen den Vorrang des EU-Rechts vor dem nationalen Recht nicht an und warnen vor einer Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Ehe, oft auch "Homo-Ehe" genannt, mit der heterosexuellen Ehe. Diesen Standpunkt teilt der europaskeptische Staatspräsident Karol Nawrocki.

Polens nationalkonservativer Präsident Karol Nawrocki Bild: Yauhen Yerchak/SOPA Images/Sipa USA/picture alliance

Der Vizechef der Präsidentenkanzlei Adam Andruszkiewicz erklärte nun, er werde dem "Terror der Regenbogenurteile" nicht nachgeben. Er bezeichnete das EuGH-Urteil als einen "sehr gefährlichen Präzedenzfall", dessen Ziel es sei, Polen die "Regenbogen-Ehe aufzuzwingen", was zur "totalen Zerstörung der Familie" führen würde.

"Linksextreme rauben uns die EU", sagte der Ex-Justizminister und Abgeordnete der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Zbigniew Ziobro. "Für mich ist klar: Der EuGH hat nicht die Macht über unsere Nation und unser Gewissen und wird sie nicht haben ", schrieb Krzysztof Bosak, Vize-Parlamentschef und Vorsitzender der rechts-nationalistischen Konfederacja.

Uneinigkeit in der Regierungskoalition

Im Kampf gegen mehr Rechte für Homosexuelle kann das rechtskonservative Lager immer mit der Unterstützung der katholischen Kirche rechnen. Der Geistliche Marek Jedraszewski, bis vor Kurzem Erzbischof von Krakau, geißelte vor einigen die Jahren die LGBTQ+-Community als "Regenbogen-Seuche".

Marek Jedraszewski war bis vor Kurzem Erzbischof von Krakau Bild: Reuters/A. Gazeta

Die schleppende Umsetzung der Wahlversprechen der Tusk-Koalition ist nicht allein auf den Widerstand der rechten Kräfte zurückzuführen. Zur Regierung gehört auch die konservative Polnische Bauernpartei (PSL). Sie blockierte alle Versuche, das Problem der eingetragenen Partnerschaften zu lösen.

Das EuGH-Urteil bedeutet keine automatische Verbesserung für homosexuelle Paare in Polen. Die polnischen Medien berichteten über das gleichgeschlechtliche Paar Jakub und Dawid Mycek-Kwiecinscy, die sich sofort nach der Urteilsverkündung zum Standesamt begeben hatten - und dort abgewimmelt wurden: Ihr Antrag zur Anerkennung ihrer Ehe könne erst dann entgegengenommen werden, wenn das Innenministerium eine entsprechende Anordnung erlassen und die entsprechenden Formulare abgeändert habe.

Die Polen sind nicht homophob

Der Europaabgeordnete Robert Biedron appellierte an seine Landsleute, die ihre gleichgeschlechtliche Ehe im Ausland geschlossen haben, die Standesämter aufzusuchen und eine Anerkennung in Polen zu verlangen. "Dadurch zwingt man den polnischen Staat zum Handeln", erklärte der linke Politiker, der sich als eine der ersten politischen Persönlichkeiten in Polen vor Jahrzehnten geoutet hatte.

Der linke Politiker Robert Biedron gehört zu den ersten Persönlichkeiten in Polen, die sich geoutet haben Bild: picture-alliance/AP Photo/C. Sokolowski

Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Polen keinesfalls homophob eingestellt ist. In einer Anfang November durchgeführten Befragung sprachen sich 62 Prozent für eingetragene Partnerschaften aus.

Die durch die Richter aus Luxemburg ausgelöste Debatte könnte möglicherweise das parlamentarische Verfahren beschleunigen. Mitte Oktober wurde ein Gesetzentwurf bekannt, der das Ergebnis eines Kompromisses zwischen der Partei "Lewica" (Die Linke) und der Bauernpartei ist. In dem Papier ist allerdings weder von der gleichgeschlechtlichen Ehe noch von eingetragenen Partnerschaften die Rede.

Profitieren vom Gesetz vorwiegend heterosexuelle Paare?

Das Gesetz soll den "Status der nächsten Person" und den Abschluss eines "Vertrages über das Zusammenleben" bestimmen. Wie die PSL-Abgeordnete Urszula Paclawska der Tageszeitung "Rzeczpospolita" erläuterte, sollen Eigentumsfragen, Recht auf die Wohnung, Unterhaltungszahlungen sowie Zugang zur medizinischen Information geregelt werden.

"Der Entwurf schließt weltanschauliche Fragen sowie Adoption der Kinder aus", versicherte Paclawska. Die erste Lesung, die im November geplant war, wurde kurzfristig von der Tagesordnung genommen. Ein neuer Termin steht noch nicht fest.

Sollte das Gesetz in dieser Fassung alle parlamentarischen Hürden nehmen, wird es vor allem heterosexuellen Paaren zugutekommen: Schätzungen zufolge leben etwa zwei Millionen Menschen in Polen in informellen Partnerschaften, von denen nur etwa 400.000 gleichgeschlechtlich sind.

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.