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Polen in der G20: Ein Schwergewicht klopft an die Tür

11. Dezember 2025

Polen wurde als Beobachter zum G20-Gipfel im nächsten Jahr eingeladen. Die Vollmitgliedschaft in diesem exklusiven Kreis mag noch Jahre entfernt sein, aber könnte sie Mitteleuropa endlich auf die Weltkarte bringen?

Die polnische Flagge weht vor blauem Himmel in Berlin im Wind
Polen, hier die polnische Flagge vor blauem Himmel in Berlin, wird wirtschaftlich und politisch eine größere Rolle spielenBild: DW

Die polnische Wirtschaft hat eine unglaubliche Entwicklung durchgemacht: In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich das Land von einem postkommunistischen Transformationsstaat zu einem der am schnellsten wachsenden Märkte Europas entwickelt. Angetrieben von der Binnennachfrage, EU-Investitionsfonds und einem florierenden Produktions- und Dienstleistungssektor, überschritt Polens nominales Bruttoinlandsprodukt (BIP) im September laut Internationalem Währungsfonds die symbolische Schwelle von einer Billion US-Dollar (860 Milliarden Euro) und festigte damit seinen Platz unter den 20 größten Volkswirtschaften der Welt.

Wie aus dem Nichts bot sich dem Land im vergangenen Monat die Chance, in der Weltpolitik eine größere Rolle zu spielen, als die G20, die Elitegruppe der wohlhabenden Nationen, selbst in Turbulenzen geriet.

Mangelwirtschaft? Das ist lang vorbei. Wie hier in Warschau sind die Supermarktregale vollBild: picture alliance / Schoening

Nachdem US-Präsident Donald Trump Südafrika der Verfolgung seiner weißen Minderheit beschuldigt hatte, boykottierte er den G20-Gipfel in Johannesburg und entzog Südafrika später die Einladung zum Gipfel in Miami im Dezember nächsten Jahres. Dieser Schritt ermöglichte es Polen, Südafrikas Platz am G20-Tisch vorübergehend als Beobachter beim Gipfel im Dezember 2026 in Miami, Florida, einzunehmen.

Vom Warschauer Pakt zur G20 in 36 Jahren

Vergangene Woche bestätigte US-Außenminister Marco Rubio die Unterstützung Washingtons für Polen, "seinen rechtmäßigen Platz in der G20 einzunehmen" - als Symbol für die Widerstandsfähigkeit nach dem Kalten Krieg. Damit wurde erstmals seit der Gründung der G20 im Jahr 1999 ein mittel- oder osteuropäisches Land zu einem Gipfeltreffen eingeladen.

Die G20 vereint 19 der größten Volkswirtschaften der Welt sowie die EU und die Afrikanische Union. Die Rolle Ost- und Mitteleuropas beschränkte sich jedoch bisher auf den gemeinsamen Sitz der EU. Dadurch blieben wichtige regionale Akteure wie Polen trotz ihres wachsenden wirtschaftlichen Gewichts ohne direkte Stimme.

Auch an Luxusgütern - hier Uhren in Krakauer Geschäft - ist in Polen kein Mangel mehrBild: picture alliance / NurPhoto

Als größte Volkswirtschaft Mittel- und Osteuropas übt Polen großen Einfluss im östlichen Teil der EU aus. Sein BIP übertrifft mittlerweile das der Schweiz und konkurriert mit dem mittelgroßer westeuropäischer Staaten. Obwohl Warschau seit Jahren um einen Beitritt zur G20 wirbt, ist Marcin Klucznik, Berater am Polnischen Wirtschaftsinstitut (PIE), der Ansicht, dass der Streit mit Südafrika eine "natürliche Lücke" in der Struktur der Gruppe geschaffen hat, die Polen nun überzeugend füllen kann.

"Polen ist ein Beispiel für ein Land, das sich von einer unterentwickelten zu einer entwickelten Volkswirtschaft entwickelt hat", sagte Klucznik gegenüber der DW. "Der Beitritt des größten dieser Länder [Mittel- und Osteuropas] ist ein Vorbote für den Erfolg der Region."

Die G20 ringt um ihre Daseinsberechtigung

Der Streit mit Südafrika ist nur eine von mehreren Herausforderungen, die die Relevanz der G20 derzeit auf die Probe stellen. Anders als die Vereinten Nationen oder die EU ist die G20 keine formale internationale Organisation, und ihre Macht beschränkt sich auf den Einfluss, den ihre Mitglieder gemeinsam ausüben.

Die G20 umfasst Nationen mit widerstreitenden Interessen, darunter Russland, China, Indien und Saudi-Arabien. Dies macht Einigkeit in Sicherheits-, Klima- oder Handelsfragen zunehmend schwierig. Trumps Zollpolitik und die Drohungen mit Vergeltungsmaßnahmen haben zudem die Gründungsmission der G20, die Förderung offener Märkte, untergraben, während die BRICS-Gruppe - angeführt von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika - ihren Einfluss ausgebaut hat.

Streit beim diesjährige G20-Gipfel - das Ergebnis ist: Südafrika ist 2026 raus, und Polen drin.Bild: Kyodo News/IMAGO

Nachdem sich die Mitgliederzahl der BRICS-Gruppe von ursprünglich fünf verdoppelt hat, positioniert sie sich nun als Rivale der G20 und fordert die Dominanz des US-Dollars durch regionalen Handel in lokalen Währungen heraus. Dies ist nur ein Beispiel für die Verschiebung des Machtgleichgewichts vom Westen und seinen traditionellen Verbündeten hin zum Globalen Süden.
Dalibor Rohac, Senior Fellow am American Enterprise Institute (AEI), einem Mitte-Rechts-Thinktank, ist der Ansicht, dass Polen nun die Agenda der G20 mitgestalten und die Bedeutung des Gremiums neu definieren kann.

Eine Stimme für offene Märkte

"Polen wird eine starke Stimme [für Europa] sein", sagte Rohac zur DW und betonte, dass Warschau angesichts der aktuellen Tendenz zum Protektionismus Freihandel und eine integrierte Weltwirtschaft befürwortet. Polens Beobachterrolle kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die G20 darum ringt, in einigen  der drängendsten globalen Fragen einen Konsens zu finden.

Das gilt vor allem bei Russlands Krieg in der Ukraine, wo die Uneinigkeit zwischen den G20-Mitgliedstaaten trotz fast vier Jahren Konflikt eine einheitliche Reaktion verhindert hat. "Die Länder Mittel- und Osteuropas haben historische Erfahrungen mit Russland und der UdSSR, die ihre Sichtweise prägen", sagte Klucznik und merkte an, dass dieses Erbe den Umgang von Ländern wie Polen mit Sicherheit und Souveränität beeinflusst.

Der Krieg in der Ukraine ist nur ein Beispiel dafür, wie gespalten die Gipfelteilnehmer aktuell sindBild: Anatolii Stepanov/REUTERS

"Diese Perspektive … führt zu einem besseren Verständnis der Risiken, die von Moskaus Aggression ausgehen, und warum Resilienz für Volkswirtschaften, die ohne Angst vor Dominanz wachsen wollen, so wichtig ist", fügte er hinzu.

Jenseits der Geopolitik bietet Polens wirtschaftliche Entwicklung ein Modell dafür, wie einkommensschwache Volkswirtschaften ähnliche Wachstumspfade einschlagen können. Teil der Mission der G20 ist die Unterstützung unterentwickelter Volkswirtschaften durch die Förderung von finanzieller Inklusion, Schuldenerlass, Klimaanpassung und Wissenstransfer.

Polens Transformation zeigt, wie externe Finanzierung, wettbewerbsfähige Branchen und starke demokratische Institutionen das Vertrauen der Investoren stärken, während eine steigende Binnennachfrage nachhaltige Entwicklung ermöglicht. Rohac vom AEI ist der Ansicht, dass Polens Aufstieg "kein Zufall" sei, da er "solide Politik und Institutionen" widerspiegele, die Warschau eine „glaubwürdige Stimme verleihen … um als Brücke zwischen Industrieländern und Schwellenländern zu fungieren".

Noch ein langer Weg

Ein ständiger Sitz in der G20 könnte sich indes als schwer erreichbar erweisen. US-Außenminister Rubio sprach letzte Woche zwar über Polens Potenzial für eine Vollmitgliedschaft in der G20, während polnische Beamte die Einladung von Miami bereits als Auftakt eines formellen "Beitrittsprozesses" zu einer Vollmitgliedschaft bezeichnen.

WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala hatte 2025 die Dominanz von USA und China beklagtBild: DW

Analysten weisen jedoch darauf hin, dass die Zusammensetzung der Gruppe ebenso stark von politischen wie von wirtschaftlichen Faktoren geprägt ist. Die G20-Mitglieder Argentinien, Südafrika und Saudi-Arabien zählen zwar nicht mehr zu den 20 größten Volkswirtschaften der Welt, behalten ihre Sitze aber aufgrund historischer Gegebenheiten.

Außerdem streben auch andere wachsende Volkswirtschaften, von Nigeria bis Vietnam, für eine Aufnahme ein. Eine Erweiterung der G20 über die derzeitigen 21 Mitglieder hinaus birgt das Risiko, ihre Effektivität weiter zu schwächen.

Optimisten argumentieren, dass Polens Dynamik und die Unterstützung der Trump-Administration den Prozess beschleunigen könnten, während Skeptiker davon ausgehen, dass es ein Jahrzehnt oder länger dauern könnte, bis die G20 ihre Mitgliederstruktur überdenkt. Trotz der vielen Hindernisse, denen Polens Bestrebungen nach einem ständigen Sitz nun begegnen könnten, schlägt das Herz Europas im globalen Kontext lauter denn je.

Der Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert.

Frauenrechte auf der Agenda der G20

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