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Politik

Polen: Veto gegen EU-Haushalt?

14. Oktober 2020

Brüssel zweifelt schon länger an der Rechtsstaatlichkeit in Polen. Jetzt droht die EU, deshalb den Geldhahn zuzudrehen. Doch Polens Regierung will sich nicht reinreden lassen. Kommt nun die Retourkutsche aus Warschau?

Jaroslaw Kaczynski PiS Partei­vorsitzender
Jarosław Kaczyński, Chef der Regierungspartei PiS und Vize-Regierungschef des EU-Mitgliedsstaats PolenBild: W. Radwanski/AFP/Getty Images

"Wir werden unsere Identität, unsere Freiheit und Souveränität um jeden Preis verteidigen. Wir lassen uns nicht von Geld terrorisieren." Das sagte Jarosław Kaczyński, der Chef der Regierungspartei PiS ("Prawo i Sprawiedliwość", deutsch "Recht und Gerechtigkeit") und seit einer Kabinettsumbildung vergangene Woche auch Vize-Regierungschef des EU-Mitgliedsstaats Polen, der regierungsnahen Tageszeitung "Gazeta Polska Codziennie" in der Ausgabe vom 14. Oktober.

Auf die Frage, ob Polen den EU-Haushalt und den Corona-Hilfsfonds blockieren werde, antwortete Kaczyński: "Es wird ein Veto geben. Sollten Drohungen und Erpressungen andauern, werden wir unsere vitalen Interessen mit aller Härte verteidigen." Und legte nach: "Veto. Non possumus".

Regierungssprecher Piotr Mueller erläuterte am Mittwochmorgen im Privatfernsehen TVN, es gehe Kaczyński um solche Bereiche wie Justiz sowie um Versuche, Polen "die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften aufzuzwingen".

Im "Gazeta Polska Codziennie"-Interview verglich Kaczyński die aktuelle Situation mit der Zeit vor 1989, als sein Land zum sowjetischen Machtbereich gehörte. Sogar damals sei es Polen gelungen, bestimmte Besonderheiten erfolgreich gegen die Kommunisten zu verteidigen, etwa Privatbesitz in der Landwirtschaft oder die Sonderrolle der katholischen Kirche.

EU = Ostblock?

"Heute verlangen von uns Institutionen der Europäischen Union, diverse Beamte und irgendwelche Politiker, die die Polen nirgendwo und niemals gewählt haben, dass wir unsere ganze Kultur einer Prüfung unterziehen und alles wegwerfen, was uns super wichtig ist - und das nur deshalb, weil es ihnen so gefällt", so der PiS-Chef weiter.

Demonstration für LGBT-Rechte im polnischen Katowice am 5. September 2020Bild: Grzegorz Celejewski/Agencja Gazeta/Reuters

"Wir stehen auf der guten Seite der Geschichte", versicherte Kaczyński zudem - und knüpfte damit polemisch an einen Brief der US-Botschafterin in Polen, Georgette Mosbacher, an, die der polnischen Regierung vorgeworfen hatte, in der LGBT-Frage "auf der falschen Seite der Geschichte" zu stehen.

Umstrittene Justizreform

Nach ihrem Regierungsantritt im Herbst 2015 begann die nationalkonservative Regierung Polens, die Justiz radikal umzubauen. Seit Ende 2017 läuft gegen das EU-Land ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags wegen Bedrohung der richterlichen Unabhängigkeit. In ihrem Rechtsstaatsbericht zu Polen äußerte die EU-Kommission "ernsthafte Bedenken" an der Unabhängigkeit von Richtern.

Die EU plant ein neues Verfahren zur Bestrafung von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit. Im September hat die deutsche EU-Ratspräsidentschaft einen konkreten Vorschlag unterbreitet. Danach soll es Kürzungen von EU-Finanzhilfen für Mitgliedsländer geben, wenn Verstöße "in hinreichend direkter Weise" Einfluss auf die Haushaltsführung und die finanziellen Interessen der Union haben. Konkret genannt werden Korruption und Betrug. Polen und Ungarn wollen diesen Rechtsstaatsmechanismus verhindern.

Corona-Hilfsfonds als Hebel

Als Hebel wollen Budapest und Warschau das auf dem EU-Gipfel im Juli beschlossene Wiederaufbaupaket von 750 Milliarden Euro benutzen. Dieses Geld soll jenen Ländern helfen, die unter Covid-19 besonders schwer leiden. Damit der Corona-Topf pünktlich im Januar 2021 starten kann, ist die Zustimmung aller 27 EU-Staaten notwendig.

Seit dem 10. Oktober 2020 herrscht in Polen zum Schutz gegen Corona MaskenpflichtBild: Wojtek Radwanski/AFP/Getty Images

Anders als Ungarn hat sich Polen mit einer Veto-Drohung bisher zurückgehalten. Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki hat nach dem EU-Gipfel im Juli, auf dem die grundsätzliche Einigung über den Rechtsstaatsmechanismus erzielt wurde, dieses Ergebnis sogar als "Riesenerfolg" für Polen gefeiert: "Bei der Rechtsstaatlichkeit haben wir die beste Lösung erreicht, die man unter den gegebenen Umständen erreichen konnte," so Morawiecki im August in einem Interview mit der Zeitschrift "Sieci".

Opposition warnt vor "Polexit"

Die polnische Opposition sieht in Kaczyńskis Veto-Drohung einen Schritt in Richtung auf einen Austritt Polens aus der EU. "Die EU stört Kaczyński, weil sie sich auf Werte stützt, die ihm völlig fremd sind," sagte der Chef der oppositionellen Partei Bürgerplattform (PO), Borys Budka. Er beschuldigte den PiS-Vorsitzenden, gegen Polens Interessen zu handeln. Die größte Oppositionszeitung "Gazeta Wyborcza" warnt vor einem "Polexit".

Manfred Weber, Chef der Fraktion der konservativen "Europäischen Volkspartei" EVP im EuropaparlamentBild: picture-alliance/dpa/P. v. Ditfurth

"Wovor haben Sie Angst, Herr Kaczyński?" fragt auf Twitter der deutsche CSU-Politiker Manfred Weber, Chef der Fraktion der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament. Die Niederländerin Kati Piri, Vizechefin der Fraktion Progressive Allianz der Sozialdemokraten und kündigte eine Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit in Polen an. "Wir können nicht länger Herrn Kaczyński und seine Freunde politisch und finanziell für Erosion polnischer Demokratie belohnen," so die Europa-Abgeordnete.

Wie ernst ist die polnische Drohung?

Bei einem Scheitern des Corona-Hilfspakets hat Polen ganze 125 Milliarden Euro zu verlieren. Ist Kaczyńskis Veto-Drohung nur ein Verhandlungstrick? "Kaczyński will EU-Institutionen, die eine Konfrontation vermeiden wollen, erweichen" - spekuliert die "Gazeta Wyborcza".

Die scharfe Kritik an die Adresse Brüssels könnte aber auch innenpolitisch bedingt sein. Als Morawiecki im Sommer von Polens Erfolgen auf dem EU-Gipfel sprach, griff ihn Zbigniew Ziobro, Justizminister und Chef des kleineren Koalitionspartners Solidarisches Polen hart an. "Morawiecki hätte in Brüssel ein Veto gegen die Kopplung von Geld an Rechtsstaatlichkeit einlegen sollen," kritisierte Ziobro öffentlich seinen Regierungschef.

Der Ball liegt beim Europaparlament

Die verbale Attacke löste eine Regierungskrise aus, die erst mit der Regierungsumbildung in der vergangenen Woche gelöst werden konnte. Dabei wurde deutlich, dass ein Teil der PiS-Anhänger einen kritischen Kurs gegen die EU unterstützt. Mit seinem Eintritt in die Regierung, in der er die Aufsicht über Justiz, Verteidigung und Sicherheit hat, wollte Kaczyński seinen schwer kontrollierbaren Justizminister zähmen.

Gut möglich, dass Kaczyński mit seiner scharfen Rhetorik Ziobro den Wind aus den Segeln nehmen wollte. "Das ist eine gute Gelegenheit, die erzkonservative Stammwählerschaft zu zementieren," kommentiert die bekannte Publizistin Dominika Wielowieyska in der "Gazeta Wyborcza".

Der Ball liegt nun beim Europaparlament. Am Dienstag wurde die erste Verhandlungsrunde zwischen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und dem Parlament beendet, vorerst ohne konkrete Ergebnisse. Diplomaten aus einem großem Teil der EU-Staaten bleiben bei inoffiziellen Gesprächen dabei, dass es gelingen wird, in den nächsten Wochen einen Kompromiss zu erarbeiten.

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.