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Politik

Kaczynski - Gewinner der Regierungskrise

25. September 2020

Der Streit um ein neues Tierschutzgesetz spaltet Polens Regierung. PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski nutzt die Krise, um seine eigene Position zu stärken und den Einfluss der kleineren Koalitionspartner einzuschränken.

Jaroslaw Kaczynski PiS Partei­vorsitzender
Bild: W. Radwanski/AFP/Getty Images

Nach dem jüngsten Regierungsstreit in Polen soll PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski im Kabinett den Posten des Vizepremierministers einnehmen und die Ministerien Justiz, Inneres und Verteidigung unter seine Kontrolle bekommen. Damit wird unter anderem der Einfluss des Justizministers Zbigniew Ziobro, Chef der Koalitionspartei Solidarisches Polen, eingeschränkt. Dieser hatte sich zuletzt zusammen mit seinen Abgeordneten gegen einige Gesetzesvorschläge der PiS gestellt.

Zum ersten Mal seit fünf Jahren werden die seit langem schwelenden Konflikte innerhalb der polnischen Regierung öffentlich ausgetragen. Bisher merkten viele kaum, dass die nationalkonservative Regierung, seit 2015 an der Macht, eigentlich ein Dreierbündnis ist und dass die größte Partei, die PiS, von der Gunst der zwei kleinen konservativen Koalitionspartner abhängig ist. Im Parlament haben bis vor kurzem die drei Parteien, die PiS, Solidarisches Polen und die Vereinigung, mit einer Stimme gesprochen. Das Muskelspiel begann aber, nachdem der mächtige PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski die Regierungsumbildung ins Gespräch gebracht hatte.

Die Regierungsdisziplin ist vorbei

Bei der knappen Parlamentsmehrheit des PiS-Lagers kann jeder der Koalitionspartner ein Zünglein an der Waage werden. Das zeigte Ziobro bei der letzten Abstimmung über ein PiS-Gesetz zum Tierschutz, das die Aufzucht von Pelztieren verbietet und das Ritualschlachten (Schächten) von Tieren einschränkt. Alle 16 Abgeordneten seiner Partei lehnten das Gesetz ab, ähnlich wie die meisten Abgeordneten der anderen Koalitionspartei, der Vereinigung. Auch der Landwirtschaftsminister und 38 PiS-Mitglieder stimmten dagegen, ein Novum in der sonst disziplinierten Regierung. Das Argument war wirtschaftlicher Natur - das Gesetz würde einen schweren ökonomischen Einbruch der polnischen Pelzindustrie bedeuten.

Für den Katzenliebhaber und Tierfreund Jaroslaw Kaczynski war es eine Ohrfeige, weil das Gesetz auf sein Betreiben ins Parlament kam. Schließlich konnte es nur mit den Stimmen der Opposition durchgesetzt werden. "Derzeit existiert die Koalition nicht mehr", sagte der Parlamentsvorsitzende Ryszard Terlecki (PiS) nach der Abstimmung. Regierungssprecher Piotr Müller schloss eine Minderheitsregierung und Neuwahlen nicht aus. Es begannen tägliche Verhandlungen zwischen der PiS-Spitze und den Koalitionspartnern, mit dem Ziel, ein neues Koalitionsabkommen abzuschließen.

Zbigniew Ziobro, Chef der Partei Solidarisches Polen und JustizministerBild: Jacek Dominski/Eastnews/imago images

Die Risse in der Regierung

Dass der ambitionierte Justizminister Zbigniew Ziobro irgendwann zur Offensive übergeht, war längst zu erwarten. Seit Jahren profiliert er sich als hartnäckiger Kämpfer gegen Korruption und als strammer Verteidiger der traditionellen katholischen Werte. Als Justizminister unterliegt ihm das gesamte Gerichtssystem und als Generalstaatsanwalt kontrolliert er alle Staatsanwaltschaften des Landes. Wegen dieser Machtstellung wird er als Superminister bezeichnet, auch weil er die Gerichtsprozesse beeinflussen kann. Als zuletzt die Gerichte in zwei Fällen die gegen Homosexuelle gerichteten sogenannten "LGBT-freien Zonen" in polnischen Gemeinden für diskriminierend einstuften, hat die Staatsanwaltschaft auf Initiative des Justizministeriums Revision gegen die Urteile eingereicht. Ziobro wirft der PiS eine laue Haltung im Kampf gegen die sogenannte "LGBT-Ideologie" vor.

Ziobro gilt als Schwergewicht und als Rivale des Premierministers Mateusz Morawiecki im Kampf um das politische Erbe des 71-jährigen Kaczynski im rechtsnationalen Lager.

Die ersten Risse im scheinbaren Regierungsmonolith wurden aber schon vor einigen Monaten sichtbar, als der andere Koalitionspartner, der Chef der Vereinigung und zurückgetretene Vizepremier Jaroslaw Gowin, gegen die Durchführung der für Mai geplanten Präsidentschaftswahlen protestierte. Jaroslaw Kaczynski hielt damals hartnäckig am ursprünglichen Wahltermin fest, weil seine Partei gerade sehr gute Umfragewerte hatte. Das Gesundheitsrisiko beim Urnengang schien weniger wichtig. Kaczynski hat schwer daran schlucken müssen, dass die Wahlen endgültig um zwei Monate verschoben wurden.

Keiner will Neuwahlen

Ein Nebeneffekt dieser politischen Emotionen ist die längst fällige Debatte über das Tierwohl. In Polen gibt es über 500 Farmen, auf denen Nerze, Nutrias und Füchse gezüchtet werden. Das Land produziert 14 Prozent der weltweiten Pelze, in der Branche arbeiten 10.000 Menschen. Das neue Gesetz, das derzeit in der zweiten Parlamentskammer, dem Senat, behandelt wird, sollte in der ursprünglichen Fassung ein totales Aufzuchtverbot einführen. Das andere geplante Verbot betrifft das rituelle Schächten der Tiere für Exportzwecke. Auch das Kosher- und Halalfleisch gehört zu den polnischen Exportschlagern und auch hier würden Tausende Jobs wegfallen. 

Gegen Pelztierfarmen in Polen wird seit Jahren protestiert (Archivbild)Bild: Eastnews/imago images

Damit macht sich die PiS auf dem Lande, wo sie einen großen Teil ihrer Wähler hat, sehr unbeliebt. "Kaczynski - Verräter an der Landbevölkerung", "Mischt euch nicht in unsere Arbeit ein", skandierten Bauernverbände vor dem Parlamentsgebäude. Während der Krise witterte die rechtsradikale Partei Konfederacja ihre Chance und stellte sich in der Parlamentsdebatte hinter die Bauernlobby mit dem Vorwurf, die PiS denke in erster Linie an Tiere statt an Menschen, die ihre Jobs verlieren.

Im Rahmen der bevorstehenden Regierungsumbildung verlieren die beiden Koalitionspartner jeweils eins von ihren zwei Ressorts, die sie bisher in der Regierung hatten. Die Zahl der Ministerien wird von 20 auf 15 reduziert. Aus möglichen Neuwahlen würden sowohl die Partei Solidarisches Polen als auch die Vereinigung als Verlierer hervorgehen, auch weil sich die nationalkonservativen Medien massiv hinter die PiS stellen. Deshalb sind die beiden kleinen Parteien bereit, sich mit dem Verlust ihres Einflusses abzufinden. Damit stärkt Jaroslaw Kaczynski die Position seiner Partei. Während der Kampf um seine politische Nachfolge erstmal beigelegt ist, wird er weiter Polens Politik bestimmen, nur jetzt nicht mehr als "einfacher" Abgeordneter, sondern als Vizepremier in der Regierung.