Polen: Kampf um das Präsidentenamt bleibt offen
19. Mai 2025
Die erste Runde der Präsidentschaftswahl in Polen hat ein Patt zwischen den beiden führenden Kandidaten Rafal Trzaskowski und Karol Nawrocki erbracht. Nach Angaben der staatlichen Wahlkommission liegt der Liberale Trzaskowski mit 31,4 Prozent ganz knapp vor dem Rechtskonservativen Nawrocki, der 29,5 Prozent erreicht hat. Die Umfragen vor der Wahl hatten einen viel deutlicheren Vorsprung von mehreren Prozentpunkten für Trzaskowski vorausgesehen. Der 53-jährige Bürgermeister von Warschau ist Kandidat der liberalkonservativen proeuropäischen Regierungspartei Bürgerplattform (PO) von Premier Donald Tusk.
Trzaskowski hatte in den Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern und vor allem in West- und Nordpolen gewonnen, Nawrocki dagegen auf dem Lande, in Kleinstädten und in Ost- und Südpolen. Diese Spaltung des Landes ist eine Konstante seit 1989.
Tusk: Bei der Stichwahl geht es "um alles"
"Vor uns liegt eine Menge schwerer Arbeit", sagte Trzaskowski auf einer Kundgebung im südostpolnischen Sandomierz nach der Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen in der Nacht und fügte zuversichtlich hinzu: "Wir sind auf der Zielgeraden. Wir werden siegen." Seine Ziele seien ein "starkes Polen in der EU und der NATO" sowie "gute, aber partnerschaftliche" Beziehungen zu den USA. Er versprach, die Regierung zur Umsetzung ihrer Wahlversprechen zu zwingen: die Abschaffung des "mittelalterlichen Abtreibungsrechts", die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit, die Trennung von Staat und Kirche sowie die Deregulierung der Wirtschaft.
Regierungschef Tusk meldete sich im Kurznachrichtendienst X zu Wort. "Es beginnt das Spiel um alles", schrieb er und stimmte das Regierungslager auf einen engagierten Wahlkampf bis zur Stichwahl in zwei Wochen ein. "Harte Auseinandersetzung um jede Stimme. Die nächsten zwei Wochen entscheiden über das Schicksal unseres Vaterlandes. Kein Schritt zurück."
Ein Sieg Trzaskowskis in der Stichwahl wäre ein Befreiungsschlag für Tusk, der endlich seine Wahlversprechen umsetzten könnte. Die Niederlage würde dagegen das Patt zwischen Regierung und Präsident zementieren. Denn der noch amtierende Staatschef Andrzej Duda hat in den letzten zehn Jahren Politik im Interesse des nationalkonservativen Lagers unter Jaroslaw Kaczynski betrieben. Seit der Machtübernahme Ende 2023 durch die Mitte-Links-Koalition blockiert er mit seinem Veto die meisten Vorhaben der Tusk-Regierung.
Nawrocki warnt vor Euro und Migranten
Die Unzufriedenheit und Enttäuschung in der Bevölkerung über die nicht eingelösten Versprechen wächst. Am Sonntag stimmten etwa 60 Prozent aller Wähler gegen die Kandidaten der Parteien, die die Regierungskoalition bilden.
Trzaskowskis nationalkonservativer Gegenspieler, der 42-jährige Historiker Nawrocki, war sichtlich zufrieden mit seinem Ergebnis. "Ich bin stolz, ich bin einer von Euch, ich werde Eure Stimme sein", rief er auf einer Kundgebung in Danzig. Er behauptete vor seinen Anhängern, ein unabhängiger Kandidat zu sein, der im Gegensatz zu Trzaskowski "keinen Chef" habe und keiner Parteidisziplin unterliege. In der Tat ist Nawrocki nicht Mitglied der rechtsnationalen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), aber sein Wahlkampf wurde von Kaczynskis Partei organisiert und bezahlt. Mit seinen Reden liegt er voll und ganz auf der ideologischen Parteilinie.
Nawrocki warf seinem Gegner vor, den Euro in Polen einführen zu wollen, was polnische Firmen in den Ruin treiben würde, sowie den EU-Migrationspakt zu akzeptieren. Unter Trzaskowski würde Polen seine Souveränität verlieren, sagte der Nationalist, der "Polen Zuerst" fordert und immer wieder vor Deutschland warnt. Im Wahlkampf unterstütze ihn der rumänische Rechtspopulist George Simion.
Kampf um Stimmen unterlegener Kandidaten
Von Danzig aus wandte sich Nawrocki an den Kandidaten der ultrarechten Konfederacja, Slawomir Mentzen, der mit 15,4 Prozent den dritten Platz eingenommen hat. "Ich bitte Euch, in der zweiten Runde mir die Stimme zu geben", appellierte er an Mentzen und seine Wähler. "Wir müssen Polen retten."
Wie sich die Konfederacja-Wähler bei der Stichwahl verhalten werden, ist offen. Die Partei teilt die Meinung der PiS zum Abtreibungsverbot, zur Migrationspolitik und EU-Skepsis, hat allerdings eine libertäre Einstellung zur Wirtschafts- und Sozialpolitik. In der Altersgruppe 18-29 belegte Metzen den ersten Platz mit 36 Prozent der Stimmen.
Der Kampf um die Gunst der Wähler der elf Kandidaten, die sich für die Stichwahl nicht qualifiziert haben, wird eine entscheidende Rolle beim Endergebnis spielen. "Trzaskowski muss mit allen reden, auch mit Mentzen", rät Aleksander Kwasniewski, der in den Jahren 1995-2005 das höchste Staatsamt bekleidet hatte.
Der christdemokratische Kandidat, Parlamentschef Szymon Holownia, hat bereits bekanntgegeben, dass er Trzaskowski "eine Chance geben muss". Holownias Partei Polen2050 gehört zur Regierungskoalition, genauso wie die Nowa Lewica (Neue Linke), deren Kandidatin Magdalena Biejat 4,1 Prozent erreichte.
Ein Rechtsextremist schneidet gut ab
Kwasniewski und Holownia zeigten sich besorgt über das gute Abschneiden des rechtsextremen Grzegorz Braun, der 6,3 Prozent erreichte. Der Europaabgeordnete demolierte vor zwei Jahren die Räume des Deutschen Historischen Instituts aus Protest gegen einen Vortrag über die polnische Mitschuld am Holocaust. Mit einem Feuerlöscher löschte er die Kerzen an einem Chanukka-Leuchter im Parlamentsgebäude.
Vor kurzem griff Braun im Krankenhaus eine Ärztin an, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen wollte. Er unterhielt Kontakte zur deutschen AfD. "Entweder wird Polen souverän sein oder ein Land [er spricht das Wort auf Deutsch aus] in der Eurokolchose", sagte er.
Der Fernsehsender TVN veröffentlichte in der Nacht zum Montag (19.05.2025) eine Umfrage über die Präferenzen in der anstehenden Stichwahl. Laut Meinungsforschungsinstitut Opinia24 wollen in zwei Wochen 46 Prozent Trzaskowski und 44 Prozent Nawrocki ihre Stimme geben. Zehn Prozent haben "weiß nicht" geantwortet. "Um diese Gruppe wird in den nächsten zwei Wochen ein erbitterter Kampf toben", prophezeit die Politologin Barbara Brodzinska-Mirowska.