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Politik

Polen: Konkurrenz für Kaczyński?

Magdalena Gwozdz-Pallokat
23. April 2021

Quereinsteiger gab es in der polnischen Politik schon öfter. Bisher verschwanden sie alle wieder schnell. Wird das bei Szymon Hołownia anders sein? Seine Nähe zur Religion könnte helfen.

Szymon Hołownia I Journalist, Schriftsteller und Fernsehmoderator
Szymon Hołownia mit dem Logo seiner Partei "Polska 2050 Szymona Hołowni" Ende März 2021Bild: Tomek Kaczor

Szymon Hołownia ist ein Profi: Der erfahrene Journalist weiß mit Medien umzugehen, kennt die Bedeutung guter Beleuchtung bei Fernsehinterviews, antwortet auch bei kritischen Fragen mit unaufgeregter Souveränität. Seit einiger Zeit wird er zudem immer mehr zum Profi-Politiker. Letztes Jahr zog er in den Wahlkampf um das Präsidentenamt- und wurde aus dem Stand Dritter.

Ende März wurde eine von Hołownia gegründete Partei offiziell registriert. Laut Demoskopen könnte "Polska 2050 Szymona Hołowni" (Polen 2050 von Szymon Hołownia) der von Jarosław Kaczyński geführten Regierungspartei "Prawo i Sprawiedliwość" (Recht und Gerechtigkeit, PiS) gefährlich werden. Eine Umfrage für die investigative Webseite OKO.Press und die liberale Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" zeigte, dass 23 Prozent der Wähler dem Newcomer ihre Stimme geben würden - nur drei Prozent weniger, als die national-konservative Kaczyński-Partei wählen würden, die seit 2015 an der Macht ist.

PiS-Chef Jarosław Kaczyński bei einer Debatte im Parlament in Warschau am 6. Mai 2020Bild: picture-alliance/AP Photo/C. Sokolowski

Bekannt wurde Hołownia als Moderator der Casting-Show "Mam talent" (deutsch: Ich habe Talent). Auch als Chef des mittlerweile eingestellten, liberal-christlichen Senders religia.tv trat er in Erscheinung. Er war derjenige, den Journalisten anriefen, wenn ein Gespräch zu Kirchenthemen gefragt war; und er war dabei auch deswegen so beliebt, weil er frischen Wind in Religionsthemen brachte: Jung, lässig und stets offen.

Vergangenes Jahr zeigte sich, dass der Journalist und Moderator auch als Politiker weit kommen kann - auch wenn er es bei der Stichwahl für das Amt des Präsidenten Polens nur auf den dritten Platz schaffte. Die politische Dynamik um Hołownia hat seither genauso angehalten wie sein persönlicher Enthusiasmus.

Eine andere Art Konservatismus

Marek Czyż, Journalist und politischer Beobachter, verfolgt Szymon Hołownias Karriere von Anfang an. "Polska 2050 ist sicher eine Bewegung, vor der Kaczyński Angst hat, denn sie zieht zum Teil Wähler an, die sich von der PiS abgewandt haben. Hołownia ist für sie attraktiv, da er eine andere Art von Konservatismus verkörpert", so der Chef des Meinungs- und Informationsportals "Czyż Tak!" im DW-Gespräch. Er sei einerseits konservativ genug - aber gleichzeitig auch ausreichend liberal.

Konservativ genug, ausreichend liberal: Szymon Hołownia im Präsidentschaftswahlkampf 2020Bild: Reuters/S. Kaminsi

Daher müsse man sich nicht schämen, wenn man sich zu ihm bekennt. Wegen der PiS schämten sich dagegen einige ihrer eigenen Wähler: Die Partei sei zu hierarchisch und zu nationalistisch. Hołownia wirke dagegen "trendy". Dazu trägt bei, dass der Autor mehrerer Bücher zur Religionsthemen zwei Stiftungen gegründet hat, die weltweit mehr als 40.000 Menschen helfen. Zudem setzt sich Hołownia für die Rechte von Kindern und auch für den Tierschutz ein.

Ohne Bündnispartner geht es nicht

"Allein hat Hołownia keine Chance", schränkt der Beobachter Czyż ein. Daher müsse der Newcomer mit anderen Parteien zusammengehen, wenn er Kaczyński wirklich gefährlich werden will. In Umfragen lag Polska 2050 zuletzt immer wieder knapp vor der Oppositionspartei "Platforma Obywatelska" (Bürgerplattform, PO). Doch der Chef der neuen Partei scheut die Umarmung durch die etablierten Liberalen Polens: Im DW-Interview sagt Hołownia, die politische Landschaft des EU-Landes brauche einen "kompletten Systemwechsel".

Bürgerplattform-Kandidat Rafał Trzaskowski im polnischen Präsidentschaftswahlkampf im Juli 2020Bild: Getty Images/O. Marques

Er sei zwar kein "Symmetrist", erklärt Hołownia. So werden in Polen Politikverdrossene genannt, die PIS und Bürgerkoalition als zwei gleich große Übel sehen. Aber die beiden großen Parteien, die seit Jahren um die Macht ringen, brächten Polen nicht weiter, so der Polska 2050-Gründer. Dabei richte die PiS aber deutlich mehr Schaden an als die PO: "Vor allem geht es darum, dass PiS und die vereinte Rechte den Rechtsstaat und die Demokratie in Polen abbauen und die Verfassung zertrampeln. Sie demontieren Institutionen, die eigens geschaffen wurden, um aufzupassen, dass Demokratie nie zu einer stumpfen Diktatur der parlamentarischen Mehrheit wird."

Klimapolitik für künftige Generationen

Hołownias Anspruch ist es, die polnische Politik dem 21. Jahrhundert anzupassen. Kaczyński sei in den 1980er Jahren steckengeblieben; der Newcomer dagegen will nach vorne schauen, etwa mit der Perspektive, was das Jahr 2050 seiner Tochter bringt, die heute dreieinhalb Jahre alt ist. Deshalb auch das "2050" im Namen von Hołownias Partei.

Fridays For Future in Warschau: Junge Polinnen und Polen demonstrieren am 25. September 2020 für KlimaschutzBild: Attila Husejnow/Zumapress/picture-alliance

Ebenfalls im Hinblick auf die heutigen Kinder in Polen liegt Szymon Hołownia die Klimapolitik am Herzen. "Mir liegt viel daran, meiner Tochter keine großen Summen auf dem Bankkonto zu hinterlassen, sondern eine klimabewusste Welt", sagt er der DW. In einem Land, in dem Kohle nach wie vor der mit Abstand wichtigste Stromlieferant ist, klingt das wie eine futuristische Vision.

Neuer Weg in der Kirchenpolitik

Auch beim Thema Kirche schlägt Hołownia neue Wege ein. Er bringt Kompetenzen mit: Als junger Mann war er Novize bei den Dominikanern. Heute kritisiert er die katholische Kirche in seinem Heimatland offen und fordert eine "koordinierte Trennung" von Staat und Kirche - was sich in Zeiten der PiS-Regierung oft genau umgekehrt darstellt, wenn Bischöfe in PiS-Manier über die LGBT-Bewegung in Polen herziehen oder umgekehrt Politiker der Partei die Kirche für ihre Zwecke vereinnahmen.

Polizisten und Teilnehmende einer LGBT-Demonstration in Warschau am 26. August 2021Bild: Omar Marques/Getty Images

"Der Staat muss hier einen Schritt zurücktreten und klar sagen: Was des Kaisers ist, soll des Kaisers bleiben und was Gottes ist, soll Gottes sein", fordert Szymon Hołownia. In Polen habe man es mit einer tiefen Krise der Kirche als Institution zu tun, die sich Problemen, etwa dem sexuellen Missbrauch durch Priester, nicht stelle.

Punkten im PiS-Lager

Anders als die eher kirchenfernen Liberalen kann Hołownia durch seine starken Bezüge zur Religion bis ins PiS-Lager hinein punkten, wo die Radikalität der Partei auch in religionspolitischen Fragen manchen zu weit geht. Einfach dürfte es nicht werden, enttäuschte PiS-Wähler einzusammeln, denn das Elektorat der polnischen Regierungspartei gilt als besonders diszipliniert; man verzeiht der bevorzugten Formation vieles.

Polens Staatsoberhaupt Andrzej Duda bei einer Rede im Präsidentenpalast in Warschau im Juli 2020Bild: imago images/Eastnews/J. Kaminski

Experten meinen, dass sich Polens Opposition deswegen zusammentun müsse, wenn sie gegen die PiS ankommen will. Im Präsidentenwahlkampf 2020 hatte Hołownia den Herausforderer von Amtsinhaber Andrzej Duda (PiS), Rafał Trzaskowski von der PO, nur halbherzig unterstützt: Er habe ihn gewählt, auch wenn er nicht sein Kandidat sei, erklärte er. Der Warschauer Bürgermeister Trzaskowski genießt zurzeit selbst hohe Vertrauenswerte. In einer Umfrage haben ihm mehr als 40 Prozent der Befragten ihr Vertrauen ausgesprochen. So gute Werte für einen Oppositionspolitiker gab es lange nicht.

Die Untiefen des politischen Alltags

Besonders gut zu sprechen ist Trzaskowski nicht auf den Newcomer Hołownia - zumal immer wieder einzelne PO-Parteifreunde in dessen aufstrebendes Lager wechseln. "Mir scheint, Hołownia ging in die Politik, um sie zu verändern - aber leider verändert die Politik Hołownia", so Trzaskowski im Sender Polsat. Aber da weder die Liberalen, noch die Linke, noch "Polska 2050" in der Lage seien, Polen zu regieren, müsse man sich zusammentun.

Ob Hołownia dem PiS-Chef Kaczyński wirklich gefährlich werden kann, lasse sich zurzeit nicht genau sagen, meint der Journalist Czyż. Er erinnert daran, dass der Newcomer bisher noch nicht einmal im Parlament sitzt. "Ich werde ihn beobachten, wenn er in der harten Politik ankommt", so Czyż. "Politik ist brutal, schmutzig und nah am Geld. Hołownia ist noch unbelastet, bietet noch keine politischen Angriffspunkte." Hołownias politische Qualität werde man erst dann wirklich bewerten können, wenn dieser in den Untiefen des politischen Alltags angekommen ist.

Magdalena Gwozdz-Pallokat Korrespondentin DW Polski, HA Programs for Europe, Warschau, Polen