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PolitikPolen

Polen lässt mutmaßlichen Nord-Stream-Saboteur frei

Jacek Lepiarz (aus Warschau)
17. Oktober 2025

Ein polnisches Gericht lehnt die Auslieferung von Wolodymyr Z. nach Deutschland ab und setzt ihn auf freien Fuß - mit einer erstaunlichen Begründung. Das könnte Folgen für das deutsch-polnische Verhältnis haben.

Ein Mann mit einer Base Cap in einem Raum von hinten (Wolodymyr Z.), hinter ihm ein Polizist, schräg vor ihm ein Mann in Robe, im Hintergrund Journalisten mit Kameras
Der mutmaßlich an der Sprengung der Ostsee-Pipeline Nord Stream mitbeteiligte ukrainische Taucher Wolodymyr Z. verlässt am 17.10.2025 den Gerichtssaal in WarschauBild: Czarek Sokolowski/AP Photo/picture alliance

"Sie sind frei", sagte der Richter Dariusz Lubowski am Freitag im Bezirksgericht in Warschau und hob die Haft des Verdächtigen mit sofortiger Wirkung auf. Wolodymyr Z. verließ mit strahlendem Gesicht das Gerichtsgebäude als freier Mensch.

Der 46-jährige Ukrainer wurde mit internationalem Haftbefehl gesucht und am 30.09.2025 in Polen verhaftet. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe verdächtigt ihn, am Anschlag auf die Nord-Stream-Pipeline im September 2022 beteiligt gewesen zu sein.

Der deutsche Auslieferungsantrag "verdient nicht, berücksichtigt zu werden", sagte Lubowski zur Begründung. "Richtig so. Der Fall ist abgeschlossen", kommentierte auf X der polnische Regierungschef Donald Tusk, der sich von Anfang an für die Freilassung des Inhaftierten eingesetzt hatte. 

Das Gericht habe nicht geprüft, ob der Verdächtige die ihm von der deutschen Seite zur Last gelegte Tat begangen habe, sondern lediglich, ob diese Tat eine Grundlage für die Vollstreckung des europäischen Haftbefehls darstellen könne, betonte der Richter.

Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk spricht am 10.09.2025 im Sejm in Warschau vor Abgeordneten über den Fall Nord StreamBild: Radek Pietruszka/PAP/dpa/picture alliance

Lubowski nutzte seinen Auftritt für eine scharfe Kritik an Deutschland. "Das polnische Gericht verfügt in diesem Fall über keine Primärbeweise, weil die deutsche Seite nur sehr allgemeine Informationen geschickt hat", kritisierte der Richter. Der deutsche Auslieferungsantrag sei zwar "formell richtig angefertigt", aber "alle Informationen, die direkt die Tat betreffen, befinden sich auf einer Seite A-4-Blatt", bemängelte er. 

Lubowski betonte, dass der Anschlag auf Nord Stream während des seit 2014 andauernden "blutigen Überfalls Russlands auf die Ukraine" geschehen sei - ein Überfall, "der einen Völkermordcharakter hat". Er bezeichnete den Krieg der Ukraine als "gerechten Krieg". Ukrainische Soldaten könnten nicht als Terroristen oder Saboteure eingestuft werden, weil sie das Vaterland verteidigen und den Feind schwächen würden.

Die Sprengung der kritischen Infrastruktur des Aggressors in einem gerechten Krieg sei keine Sabotage, sondern "militärische Handlung" und "Diversion", die nicht als Verbrechen gelten könne. Wenn die Ukraine die Zerstörung der feindlichen Gas-Pipelines organisiert habe, dann sei das nicht rechtswidrig, sondern "begründet, rational und gerecht" gewesen, so der Richter. Zur Rechenschaft könne eventuell nur der ukrainische Staat, aber nicht die Einzelperson Wolodymyr Z. gezogen werden.

Deutsche Gerichte politisiert?

Der Richter bezweifelte auch, ob für die Sprengung der Nord-Stream-Pipeline das deutsche Recht zur Anwendung kommen könne, da die Tat in internationalen Gewässern stattgefunden hatte. Lubowski griff zudem Deutschland an, indem er Berlin vorwarf, "Gas in Russland zu kaufen und Milliarden Euro nach Russland zu transferieren", was eine Mitfinanzierung der russischen Aggression bedeutete. Er bezeichnete die beiden Pipelines als russisches Eigentum, was seiner Meinung nach das Recht der Justiz auf Verfolgung der Nord-Stream-Sprengung in Frage stelle.

Luftaufnahme über der Ostsee nach der Sprengung der Nord-Stream-Pipeline am 26.09.2022Bild: Danish Defence Command/dpa/picture alliance

"Sollte die Ukraine, wenn sie auch jetzt die kritische Infrastruktur Russlands angreift, vorher die Eigentumsstruktur der Ziele analysieren und nur solche ins Visier nehmen, bei denen Deutschland nicht mal eine Minderheitsbeteiligung hat?", fragte der Richter ironisch.

Auffallend ausführlich stellte er die Argumente der Verteidigung gegen die Auslieferung dar. Z.s Anwalt warf der deutschen Justiz eine "Politisierung der Gerichte und volle Abhängigkeit deutscher Richter von der Exekutive" vor. "Die Richter werden durch Politiker ernannt und befördert", zitierte der Richter. Deutsche Gerichte, vor allem die Bundesgerichte, seien mit Parteifunktionären besetzt, ihnen fehle "materielle Immunität", sie könnten wegen ihrer Urteile mit Haftstrafen bestraft werden.

Nicht zum ersten Mal im Rampenlicht

Der Richter Lubowski steht nicht zum ersten Mal im Rampenlicht. Im Januar 2022 lehnte er ab, den belarussischen Blogger Szjapan Puzila an Belarus auszuliefern. Die belarussische Staatsanwaltschaft leitete damals ein Strafverfahren gegen den Richter ein.

Im September 2020 fand Lubowski einen Auslieferungsantrag aus Holland unbegründet und weigerte sich, niederländische Eltern eines autistischen Kindes an Holland auszuliefern. Zur Begründung sagte er damals, dass dem Kind in Holland Euthanasie drohe. Er verband die Begründung mit einer vernichtenden Kritik an der niederländischen Justiz und stellte ihre Unabhängigkeit in Frage.

Die Verteidigung warf deutschen Politikern zudem "Unterwanderung und Korruption" durch Russland vor. Dies könnte zur Auslieferung des verfolgten Ukrainers an Russland und zu seinem Tod führen.

Deutsche Seite kann Berufung einlegen

Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe verdächtigt Z., am Anschlag auf die Nord-Stream-Pipeline im September 2022 beteiligt gewesen zu sein. Das Bezirksgericht in Warschau hatte die U-Haft in der vergangenen Woche um 40 Tage - bis zum 9. November - verlängert.

Z.s Anwalt, Tymoteusz Paprocki, sagte nach der Urteilsverkündung, dieses Urteil sei "eines der wichtigsten in der Geschichte des polnischen Gerichtswesens". Das Urteil zeige, dass die Staatsbürger der Ukraine für ihren Kampf gegen den Aggressor Russland nicht verfolgt werden können. "Das ist auch ein Signal an Deutschland - das Recht sollte die Geschädigten verteidigen und nicht instrumentalisiert werden."

Die Anwälte von Wolodymyr Schurawljow am 17.10.2025 in Warschau vor der PresseBild: Rafal Guz/PAP/picture alliance

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Jede Seite kann innerhalb von drei Tagen Einspruch einlegen. "Ich hoffe, dass die deutsche Justiz, die deutsche Staatsanwaltschaft den Sinn des heutigen Urteils grundlegend überdenkt", so der Anwalt. Laut seinem Anwalt beabsichtigt Z. mit seiner Familie in Polen zu bleiben. Der Ukrainer lebt seit drei Jahren bei Warschau und betreibt hier eine Baufirma.

Nord Stream als rotes Tuch für Polen

Das Nord-Stream-Projekt, das Bundeskanzler Gerhard Schröder und der russische Staatspräsident Wladimir Putin 2005 politisch initiiert hatten, war Polen von Anfang an ein Dorn im Auge. Anfänglich ging es Warschau vor allem um den Verlust der Transitgebühren, denn russisches Gas wurde bis dahin durch Polen nach Westeuropa transportiert. Mit dem Anwachsen der Spannungen um die Ukraine rückten aber geopolitische Argumente in den Vordergrund.

Bereits 2006 wetterte Radoslaw Sikorski, damals Verteidigungsminister, gegen Nord Stream und verglich die Ostsee-Pipeline mit dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939. Seitdem war die polnische Kritik am deutsch-russischen Projekt ein Dauerthema in deutsch-polnischen Gesprächen, egal wer in Warschau regierte.

Die Ablehnung des deutschen Auslieferungsantrags, vor allem die scharfe deutschlandkritische Begründung des Urteils, könnte die deutsch-polnischen Beziehungen belasten, die derzeit ohnehin nicht gut sind. Denn die Grenzkontrollen, die im Mai von Deutschland und später auch von Polen eingeführt wurden, stören das gegenseitige Verhältnis. Die Streitthemen werden bei den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen Anfang Dezember 2025 in Berlin ein Thema der Gespräche sein.

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.