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PolitikPolen

Polen: Massendemo in Warschau gegen PiS-Regierung

4. Juni 2023

Vor der Parlamentswahl im Herbst verschärft die rechtspopulistische PiS-Regierung ihren Kurs, um an der Macht zu bleiben. Dagegen protestierten am Sonntag in Warschau hunderttausende Anhänger der liberalen Opposition.

Polen | Marsch der Opposition in Warschau
Warschau: Hunderttausende demonstrieren gegen die polnische PiS-Regierung (4.06.2023)Bild: Jakub Porzycki/AA/picture alliance

Polen ist seit Jahren kein Land der Massendemonstrationen mehr. Die Organisatoren können meist schon zufrieden sein, wenn sie wenige zehntausend Menschen auf die Straße bekommen. An diesem Sonntag (04.06.2023) war von dieser Zurückhaltung nichts mehr zu spüren. Hunderttausende mit polnischen und EU-Fahnen gingen am Mittag durch Warschau, um gegen die Politik des rechtspopulistischen Regierungslagers zu protestieren. Der Stadtpräsident von Warschau, Rafal Trzaskowski, sprach von einer halben Million Teilnehmern. Die Internetplattform Onet zählte "mindestens 300.000" Demonstranten.

Tusk: "Wir kommen, um den Sieg zu holen"

Bei der Abschlusskundgebung am Schlossplatz in der polnischen Hauptstadt flößte der Oppositionsführer und ehemalige Premierminister Donald Tusk seinen Anhängern Mut ein. "Ich werde zusammen mit Euch um ein freies Polen kämpfen", versicherte der Chef der größten Oppositionspartei Bürgerplattform (PO). "Wir kommen, um den Sieg zu holen", betonte der liberale Politiker und fügte hinzu: "Alles ist in Euren Händen!" Gleichzeitig warnte er vor der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die seit 2015 das Land regiert. "Polen wird seit Jahren von Menschen regiert, die uns die Freiheit wegnehmen", sagte Tusk. "Die Demokratie in Polen wird nicht sterben, weil wir dagegen laut schreien."Vor einer jubelnden Menge leistete Tusk einen feierlichen Schwur: "Wir gehen zur Wahl, um zu siegen, um abzurechnen, um menschliches Unrecht wiedergutzumachen und am Ende die Polen zu versöhnen. Das schwöre ich. Ihr könnt das den Tusk-Schwur nennen." Seine Rede wurde immer wieder von Rufen "Hier ist Polen, hier ist Polen!" unterbrochen.

Riesiger Marsch der Opposition in Warschau (4.06.2023): Ex-Premierminister Donald Tusk (li.) und der frühere Staatspräsident und Gewerkschaftsführer Lech Walesa marschieren in der ersten ReiheBild: Beata Zawrzel/NurPhoto/picture alliance

Der liberale Politiker gab sich demonstrativ patriotisch. "Polen ist in unseren Herzen", wiederholte er mehrmals. Die Regierungspropaganda, aber auch einige rechte Politiker versuchen seit Jahren, Tusk als einen "deutschen Kollaborateur" zu diskreditieren oder ihm suspekte Kontakte zu Russlands Präsident Wladimir Putin nachzusagen.  

Tusk mit Trzaskowski und Walesa 

Der Marsch begann in der Nähe des Lazienki-Parks und führte durch die nobelsten Straßen Warschaus bis zum Schlossplatz. Tusk und Trzaskowski gingen in erster Reihe mit dem legendären Arbeiterführer Lech Walesa. Dieser hatte 1980 den Streik an der Danziger Werft geleitet und war nach der demokratischen Wende in den Jahren 1990-1995 Präsident Polens. "Die Schubkarre für Kaczynski steht bereit", sagte Walesa vor Beginn des Protestmarsches. Die PiS beschuldigt den Arbeiterführer, in den 1970er Jahren mit der kommunistischen Miliz zusammengearbeitet zu haben.

Die Demonstration in Warschau richtet sich gegen die PiS-Regierung und den rechtspopulistischen Parteiführer Jaroslaw KaczynskiBild: Jaap Arriens/NurPhoto/IMAGO

Tusk hatte die Demonstration gegen die Regierung bereits vor Wochen angekündigt. Der 4. Juni ist in Polen ein symbolisches Datum. An diesem Tag fanden 1989 die ersten teilweise freien Parlamentswahlen statt, die den Zusammenbruch des kommunistischen Systems in Polen einleiteten.

Regierung verschärft ihren Kurs

Die letzten Maßnahmen des rechtspopulistischen Regierungslagers haben viele Polen beunruhigt und den Protest befeuert. Ende Mai hatte die Regierungsmehrheit im Parlament die Einberufung einer "Staatlichen Kommission zur Untersuchung russischer Einflüsse auf die innere Sicherheit der Republik Polen in den Jahren 2007-2022" beschlossen. Das umstrittene Gesetz wurde von einer breiten Öffentlichkeit als verfassungswidrig und gegen Tusk gerichtet eingestuft. Die PiS wirft Tusk vor, in seiner Zeit als polnischer Regierungschef (2007-2014) Polen abhängig von russischen Energie-Importen gemacht zu haben.

Der Sonderausschuss bekam in seiner ursprünglichen Fassung die Kompetenz, Personen, die für schuldig befunden wurden, für bis zu zehn Jahre von allen Ämtern auszuschließen, die mit der Vergabe öffentlicher Gelder verbunden sind. Die Opposition sprach von einer "Lex Tusk" und protestierte dagegen. Das US-Regierung und die Europäische Kommission zeigten sich besorgt.

Massendemonstration der liberalen Opposition in Warschau mit polnischen und EU-Flaggen (4.06.2023)Bild: Jaap Arriens/NurPhoto/IMAGO

Nach einer Welle der Empörung entschärfte Präsident Andrzej Duda das Gesetz. Er brachte am vergangenen Freitag (2.06.2023) eine Novelle ins Parlament ein, die keine administrativen Sanktionen sowie einen Rechtsweg für die Beschuldigten vorsieht. Sein Vorschlag kam aber zu spät, um das gestiegene Interesse am Protestmarsch einzudämmen. Offen bleibt auch die Reaktion der PiS auf die Vorlage des Präsidenten.

Opposition schließt die Reihen

Der wachsende Druck seitens der PiS-Regierung zeigte eine überraschende Wirkung. Ein Teil der Opposition, darunter die Mitte-Rechts-Parteien Polska 2050 und die Bauernpartei PSL entschlossen sich kurzfristig zur Teilnahme am Marsch. Beide Gruppierungen hatten zunächst das Vorhaben skeptisch betrachtet, weil sie eine Dominanz Tusks befürchteten.

Der Regierungssprecher Piotr Mueller verurteilte den Protestmarsch scharf. "Der Vorsitzende der Bürgerplattform und ein ehemaliger Staatspräsident versuchen, eine Regierung zu stürzen, die mit der Politik der Öffnung gegenüber Russland gebrochen hat", sagte Mueller.      

Demonstrationen fanden an diesem Sonntag auch in anderen Städten Polens und im Ausland statt.

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.