Unregelmäßigkeiten bei Präsidentenwahl in Polen?
24. Juni 2025
Nach dem Sieg seines Kandidaten Karol Nawrocki bei der Präsidentenwahl vor drei Wochen strotzt das rechtskonservative Lager in Polen vor Kraft. Der Vorsitzende der Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski, mobilisiert seine Anhänger zur harten Auseinandersetzung mit der proeuropäischen Mitte-Links-Regierung von Donald Tusk. Sein Ziel: zusammen mit Präsident Nawrocki die Regierung zu Fall zu bringen und spätestens nach der nächsten Parlamentswahl 2027 an die Macht zurückzukehren.
In die Siegesstimmung der Rechtskonservativen mischt sich allerdings ein Wermutstropfen: Das Oberste Gericht (SN) wird mit Wahleinsprüchen überflutet - mehr als 50.000 sollen es nach Auskunft der Ersten Vorsitzenden des Gerichts, Malgorzata Manowska, bisher sein. Und es soll noch weitere Säcke mit Protestschreiben geben.
Die Protestierenden behaupten, bei der Auszählung der Stimmen in den Wahlkommissionen sei es zu Unregelmäßigkeiten gekommen - zum Nachteil des proeuropäischen Gegenkandidaten von Nawrocki, Rafal Trzaskowski.
Auf der ersten öffentlichen Parteiveranstaltung der PiS nach der Wahl warf Kaczynski am Sonntag der Regierungskoalition vor, das Wahlergebnis in Frage stellen zu wollen. "Wir werden solchen Betrug nicht dulden, wir werden nicht zulassen, dass man uns die Wahl stiehlt", sagte Kaczynski.
Tusk fordert Aufklärung
Nawrocki hatte die Wahl im zweiten Wahlgang am 1. Juni 2025 mit einem knappen Vorsprung von 51 zu 49 Prozent gewonnen An die Adresse von Regierungschef Tusk sagte der designierte Präsident: "Der künftige Präsident wird nicht zulassen, dass Polen seiner Demokratie und der Freiheit der Wahl des Präsidenten beraubt wird." Der 42-jährige Historiker rief Tusk auf, "auf hysterische Reaktionen zu verzichten und aufzuhören, die polnische Demokratie zu zerstören." Nawrocki soll sein Amt am 6. August antreten.
Tusk hatte zunächst mit großer Zurückhaltung auf die Berichte über die Unregelmäßigkeiten reagiert. In den sozialen Medien tauchten sofort nach der Stichwahl am 1. Juni Informationen auf, dass in Wahlbezirken, wo der liberale Kandidat Rafal Trzaskowski im ersten Wahlgang deutlichen Vorsprung hatte, bei der Stichwahl oft überraschend Nawrocki führte.
Weil Tusk und andere führende Politiker seiner Bürgerplattform (PO) zu den Vorwürfen schwiegen, ergriff der PO-Abgeordnete Roman Giertych die Initiative. Er stellte ein Formblatt ins Internet, das die Menschen, die Einspruch einlegen wollten, nur auszufüllen brauchten. "Es war Wahlbetrug", erklärte der Rechtsanwalt, der zu den schärfsten Gegnern der PiS gehört. Um ihn zu kompromittieren, sendet der rechte Fernsehsender TV-Republika seit Tagen Mitschnitte von privaten Telefongesprächen des Politikers, die wahrscheinlich mit dem Spionageprogramm Pegasus abgehörten worden sind.
Schlagabtausch mit Präsident Duda
Inzwischen hat Tusk seine Zurückhaltung abgelegt. Zu einem Schlagabtausch kam es in der vergangenen Woche zwischen ihm und dem scheidenden Präsidenten Andrzej Duda bei der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats. Duda kommt aus dem gleichen politischen Lager wie Nawrocki. Auch auf X lieferten sich Tusk und Duda ein Wortduell.
"Seid ihr nicht einfach menschlich neugierig, wie das echte Wahlergebnis aussieht? Sicher seid ihr das. Bekanntermaßen haben die Anständigen nichts zu befürchten", schrieb er an Duda, Kaczynski und Nawrocki.
"Herr Tusk und seine Kollegen können sich mit der Niederlage nicht abfinden", erwiderte Duda. "Ich bin auf das Wahlergebnis nicht neugierig, weil ich das Ergebnis kenne. Die staatliche Wahlkommission hat es längst bekannt gegeben", konterte er und betonte, dass Nawrocki mit einem Vorsprung von knapp 370.000 Stimmen gesiegt habe.
Regierung fordert keine Neuauszählung
Von den mehr als 50.000 schriftlichen Einsprüchen hat das Oberste Gericht bisher etwa 10.000 registriert. In 13 Fällen wurde die erneute Auszählung angeordnet, wobei in elf Wahlbezirken Fehler entdeckt wurden. Meistens wurden Stimmen für Trzaskowski seinem Gegner zugerechnet oder die Namen der beiden Kandidaten im Protokoll vertauscht. In einem Fall leitete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren ein.
"Wir fechten das Wahlergebnis nicht an. Wir wollen nur alle Problemfälle klären", betonte Regierungssprecher Adam Szlapka. Auch viele Vertreter der Regierungskoalition, unter ihnen der stellvertretende Regierungschef Wladyslaw Kosiniak-Kamysz, sind der Ansicht, dass die Dimension der Unregelmäßigkeiten keinen Grund liefert, um Nawrockis Sieg in Frage zu stellen. "Kein Führer der Koalitionsparteien hat die erneute Auszählung aller Stimmen gefordert", sagte der Vorsitzende der Neuen Linken, Wlodzimierz Czarzasty, am Dienstag nach einem Treffen der Koalitionäre.
Das Oberste Gericht hat Zeit bis zum 2. Juli
Das Oberste Gericht hat Zeit bis zum 2. Juli, um die Wahleinsprüchen zu prüfen. 30 Tage nach der Wahl müssen die Richter ihr Urteil über die Gültigkeit des Urnengangs verkünden. Für den kommenden Freitag (27.06.2025) wurden zwei Sitzungen des SN anberaumt. Bei der hohen Zahl der Beschwerden wird das kaum reichen, schätzt der ehemalige Chef der Wahlkommission Wojciech Hermelinski.
Auch der Spruch des Obersten Gerichts wird den Streit wahrscheinlich nicht beenden. Denn über die Gültigkeit der Wahl wird die Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten entscheiden. Dieses von der PiS geschaffene Gremium wird weder vom Europäischen Gerichtshof noch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als unabhängiges und unparteiisches Gericht anerkannt. "Die polnische Justiz ist ein einziger Wirrwarr", gibt SN-Chefin Manowska zu.
"Ich behaupte nicht, dass die Präsidentenwahl gefälscht worden ist. In der Diskussion über das Ergebnis gibt es allerdings so viele Fragezeichen, dass die erneute Auszählung aller in der Stichwahl abgegebenen Stimmen zur polnischen Staatsräson wird", kommentiert der Publizist der Gazeta Wyborcza, Bartosz Wielinski.
Der Politologe Antoni Dudek warnt das Regierungslager vor der Forcierung eines "Mythos von gefälschten Wahlen". Dieser Mythos wäre extrem gefährlich für die Stabilität des polnisches Staates und könnte zur Gewalt und sogar zu einem Bürgerkrieg führen, sagte Dudek am Montag dem Fernsehsender Polsat.
Parlamentspräsident Szymon Holownia versucht unterdessen, die Gemüter zu beruhigen. "Wenn das Oberste Gericht die Wahl für gültig erklärt, werde ich für den 6. August die Nationalversammlung einberufen, damit Karol Nawrocki den Eid ablegen kann", teilte Holownia am Dienstag (24.06.2025) mit.