1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Polen: Omas für Demokratie

5. Mai 2021

Sie nennen sich "Polnische Omas" - aber anstatt zu häkeln, demonstrieren sie. Sie setzen sich für Medienfreiheit und Rechtsstaatlichkeit ein, tragen Regenbogenfahnen - und stoßen damit nicht immer auf Verständnis.

Polen Warschau | Donnerstag-Demo "Polnische Omas"
"Polen, wach auf, es ist Zeit": Anna Łabuś (Mitte, hinten) und Krystyna Piotrowska in WarschauBild: Magdalena Gwozdz-Pallokat/DW

Feierabendstimmung in Warschau. Trubel herrscht an der Ampel zwischen "Stalins Geschenk", dem Kulturpalast, und dem Hauptbahnhof. Die Menschen sind in Eile, die meisten gucken dabei versunken auf ihre Handybildschirme. Als ob sie noch etwas anonymer bleiben wollten, als sie es in der betongrauen Großstadt sowieso schon sind.

Gerade deshalb ragt eine kleine, bunte Truppe überwiegend ältere Menschen aus der Masse heraus. Sie tragen Transparente und schwenken Europa- und Regenbogenfahnen, aus einem Lautsprecher dröhnt: "Es wird noch wunderschön, es wird noch normal." Den Rock-Kultsong verbindet man in Polen eigentlich mit dem Ende der kommunistischen Diktatur 1989, aber seit Beginn der Corona-Pandemie ist er erneut zum musikalischen Hoffnungsträger geworden.

"Polnische Omas. Die Stärke der Machtlosen", steht auf der Regenbogenfahne der "Polskie Babcie" Bild: Magdalena Gwozdz-Pallokat/DW

Auch die Demonstrierenden hoffen: Darauf, dass Polen nicht länger dem Kurs der national-konservativen Regierungspartei PiS ("Prawo i Sprawiedliwość", deutsch: Recht und Gerechtigkeit) folgt. Sie nennen sich "Polskie Babcie", "Polnische Omas", und wollen mehr sein als das Klischee einer Großmutter, die Piroggen vorbereitet, häkelt und den Enkeln Zeit schenkt.

All das machen die Polnischen Omas zwar auch - aber zudem gehen sie auf die Straße. Viele von ihnen demonstrieren schon seit sechs Jahren regelmäßig. Als ihr Symbol haben sie die Regenbogenfahne gewählt, die üblicherweise für die LGBT-Community steht. Auf der der Polskie Babcie steht: "Polnische Omas. Die Stärke der Machtlosen".

Regenbogen statt weiß-rot

Auch an jenem Abend ziehen die Babcie durch Warschaus Innenstadt. Fußgänger gucken skeptisch, manche drehen sich um, eine junge Frau hält den Daumen hoch, eine andere fragt, ob sie ein Foto mit den Omas machen kann. Wenn, dann sind es eher die Jungen, deren Augen Zustimmung anzeigen für das, was die älteren Damen hier tun. "Junge Menschen applaudieren häufig", sagt Krystyna Piotrowska, die im Herbst 70 wird, der DW. "Vor kurzem kam eine junge Frau auf mich zu und bedankte sich für unsere Aktivitäten. Sie sagte, dank uns fühle sie sich sicher."

Eine junge Fußgängerin lässt sich mit den "Polnischen Omas" fotografierenBild: Magdalena Gwozdz-Pallokat/DW

Von Gleichaltrigen seien ähnliche Reaktionen eher selten. "Da kommen eher Flüche, die Sie nicht hören möchten, glauben Sie mir", berichtet Piotrowska. Auch unangenehme Situationen gebe es oft, etwa wenn ihnen ihre Regenbogenfahnen aus den Händen gerissen werden oder sie sich anhören müssen, sie trügen besser eine weiß-rote polnische Flagge als eine bunte.

"Mich trägt die Wut"

Entmutigen lassen wollen sich die Babcie davon nicht. "Mich trägt die Wut. Die hat zwar einen schlechten Ruf, ist aber notwendig um zu handeln", erläutert Krystyna Piotrowska, die mittlerweile nicht nur dreifache Oma, sondern auch dreifache Uroma ist. Am Anfang hätten sich die Babcie zu konkreten Anlässen getroffen, etwa um regierungskritischen Richtern den Rücken zu stärken.

Demonstration der Polnischen Omas vor "Stalins Geschenk", dem Kulturpalast in WarschauBild: Magdalena Gwozdz-Pallokat/DW

Mittlerweile demonstrieren sie jede Woche - und jede von ihnen treibt etwas anderes an. Für die 77-jährige Anna Łabuś etwa geht es um den Kampf gegen die "Vernichtung der polnischen Verfassung", für eine Mitstreiterin um "unabhängige und freie Medien", die nächste treibt die Sorge ums Bildungssystem an.

Den Rechtsstaat verteidigen

"Ich kann nicht ruhig zu Hause sitzen. Mir tut jeder Rechtsbruch weh", erklärt Anna Łabuś im Gespräch mit der DW. Wenn etwa das polnische Verfassungsgericht im Sinne der regierenden Partei entscheide, dann entwickle sich das Land in eine falsche Richtung. Deshalb fordert Oma Łabuś: "Die EU soll genauer darauf achten, welche Gelder nach Polen fließen und Bedingungen stellen, damit unser Land wieder ein Rechtsstaat wird."

Und was ist mit den Mitbürgerinnen und -bürgern, die ganz anders denken? "Die 30 Prozent, die PiS gewählt haben, kompensieren ihre Misserfolge mit sozialen Leistungen, die sie vom Staat bekommen", sagt Anna Łabuś. "Niemand von ihnen denkt darüber nach, woher dieses Geld kommt." Doch außer PiS-Befürwortern und PiS-Gegnern gebe es noch die "dazwischen".

Bewusstsein schaffen

"Am schlimmsten sind die Gleichgültigen, und die sind leider zurzeit in der Mehrheit", sagt Iwonna Kowalska, die Vorsitzende der "Polnischen Omas". "Sie haben weiterhin ihr Handy, ihren Pass, das Internet, können reisen. Sie sind sich nicht bewusst, was ihnen Schritt für Schritt weggenommen wird, und, dass es bald zu spät sein könnte, diesen Prozess aufzuhalten. Wir versuchen, es ihnen zu erklären."

Anna Łabuś (l.) und Iwonna Kowalska bei der Demonstration der Polnischen Omas Ende AprilBild: Magdalena Gwozdz-Pallokat/DW

Am wichtigsten sei für die Polnischen Omas, dafür zu kämpfen, dass ihre Enkel in einem demokratischen Polen leben können: "Ich werde zwar wahrscheinlich nicht mehr leben, wenn meine Enkelin groß ist", erklärt die 67-jährige Kowalska, "aber mir ist wichtig, dass ich ihr als jemand in Erinnerung bleibe, der für ihre Rechte gekämpft hat". Für sie sei es unvorstellbar, ihren Enkeln ein Land zu hinterlassen, "in dem sie nur Piroggen machen kann".

Erinnerung an die Diktatur

Iwonna Kowalska ist während der Herrschaft der Kommunisten in Polen (1945 - 89) aufgewachsen. Damals hätten viele Gleichaltrige gegen das System gekämpft - und darum, in einem demokratischen und freien Land zu leben. "1989 dachten wir, jetzt haben wir die Demokratie und die wird auf ewig bleiben", erinnert sie sich.

"Doch dann stellte sich heraus, dass Demokratie etwas ist, das man einfach so wegpusten kann. Wenn man nicht ständig aufpasst auf die fundamentalen Werte einer Gesellschaft, für die sich jeder einsetzen sollte, dann kann es passieren, dass es die Demokratie auf einmal nicht mehr gibt."

Generation Kaczyński

Zurzeit sind die Polskie Babcie nur ein Dutzend Frauen. Vor Corona waren es um die 30, berichtet Iwonna Kowalska. Sie findet, dass in Polen generell zu wenige Menschen demonstrieren. Die Parlamentswahlen hat PiS zum zweiten Mal in Folge gewonnen, und das in allen Altersgruppen. Die größte Unterstützung, mehr als 55 Prozent, erreichte die Partei von Jarosław Kaczyński 2019 bei den über 60-Jährigen - Angehörige der Generation der Polnischen Omas.

Diese konsequentesten Wähler von "Recht und Gerechtigkeit" scheinen auch für die revoltierenden Omas Polens am schwersten zu erreichen zu sein. Tatsächlich sei es ihnen noch nie gelungen, eine ältere Person auf der anderen Seite der Barrikade zu überzeugen, berichtet Iwonna Kowalska. "Sie sind sehr verbohrt und überhaupt nicht daran interessiert, was wir machen. Einigen bereitet das Laufen Probleme, aber sie kommen trotzdem regelmäßig zu unseren Treffen, um uns zu beschimpfen."

Nicht nur zu demonstrieren, sondern auch zu diskutieren, ist dagegen das Anliegen der organisierten Omas - "im Kampf mit dem wachsenden Faschismus". Durch Warschau marschierenden Nationalist*innen Aug' in Aug gegenüberzutreten war eine Idee, die die Polskie Babcie verwirklicht haben. Ob es nicht sinnvoll wäre, sie zum Kuchen einzuladen, wägten einige Oma-Aktivistinnen in einem Zeitungsinterview ab: "Schließlich haben auch Nationalisten Omas."