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Politik

Polen pocht auf Reparationen

Paul Flückiger
31. August 2017

Die polnische Regierung stellt bei ihrer Reparationsforderung gegenüber Deutschland auf stur. Regierungschefin Beata Szydlo hat kurz vor dem Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen die Forderungen wiederholt.

Polen Warschau unter dt.Besatzung/Strassenszene 1939
Große Zerstörungen - Warschau im Oktober 1939Bild: picture-alliance/akg-images

"Wir sind Opfer des Zweiten Weltkrieges und unser Leid wurde in keiner Weise wieder gut gemacht", sagte die Regierungschefin der Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) nach einer Regierungssitzung. "Polen erinnert an die Gerechtigkeit; es erinnert heute daran, was nie erfüllt wurde", erklärte Beata Szydlo. Den Gegnern von polnischen Reparationsforderungen empfahl die Regierungschefin "eine Geschichtslektion".

Verzichtserklärung von 2004

Letztmals hatte die PiS die Forderung nach Reparationszahlungen im Jahre 2004 erhoben. Im Parlament fand die schon damals von Jaroslaw Kaczynski geführte Partei eine Mehrheit, die die damalige post-kommunistische Regierung zu Reparationsverhandlungen mit Deutschland verdonnern wollte. Der damalige Premierminister Marek Belka lehnte dieses Ansinnen ab. Polens Regierung verzichtete damals noch einmal klar und deutlich auf sämtliche Reparationsforderungen. Nun verlangen PiS-Politiker, dass sich Belka und weitere Verantwortliche dafür gerichtlich verantworten.

Beata Szydlo: "Unser Leid wurde in keiner Weise wieder gut gemacht"Bild: picture-alliance/PAP/P. Supernak

Anschließend, während der ersten PiS-Regierung (2005-2007) war es in der Reparationsfrage eher ruhig. Doch nun ist das explosive Thema zurück, nachdem der PiS-Abgeordnete Arkadiusz Mularczyk die wissenschaftliche Abteilung des Sejm Anfang August beauftragt hatte, abzuklären, ob Reparationsforderungen rechtlich durchsetzbar seien. Die Rechtsstelle sah sich bisher außer Stande, das komplexe Thema in der dafür vorgesehen Frist abzuklären. Bereits zweimal musste eine Antwort vertagt werden. Dennoch ist das Thema Reparationen wieder in aller Munde. Und genau darum geht es der PiS.

Dass Polen weiter ein Anrecht auf Reparationen hat, gilt in PiS-Kreisen als unbestritten. Dementsprechend hatte sich jetzt der als besonders nationalistisch bekannte Kaczynski-Freund und Verteidigungsminister Antoni Macierewicz erst kürzlich - am Jahrestag des Beginns des Warschauer Aufstands von 1944  - geäußert. "Die Deutschen können heute diese horrenden Schulden, die sie gegenüber Polen und der Menschheit gemacht haben, wieder gutmachen und zurückzahlen", sagte er im dem gleichgeschalteten Staatsfernsehen TVP. "Es besteht kein Zweifel: Die Deutschen sind Polen Reparationszahlungen schuldig", sagte Macierewicz.

Verzichtserklärung von 1953

Auch Parteichef Jaroslaw Kaczynski behauptete bereits Ende 2016, die Reparationen-Frage Deutschlands an Polen sei weiterhin ungelöst: "Diese Rechnung wurde in den 70 Jahren niemals beglichen und ist im rechtlichen Sinne noch immer aktuell", sagte er. "Unser Verzicht auf die Reparationen wurde niemals von den Vereinten Nationen registriert", kommentierte er eine gemeinhin als zentral angesehene polnische Verzichtserklärung von 1953.

Der Zwei-Plus-Vier-Vertrag wurde am 12.9.1990 in Moskau unterschriebenBild: picture-alliance/dpa

Führende PiS-Politiker stellen sich seitdem auf den Standpunkt, dass der damals von Polen unterzeichnete Verzicht gegenüber Ostberlin keine souveräne Handlung war, sondern unter Druck der Sowjets hin abgegeben wurde. Auch wird argumentiert, die DDR sei etwas anderes als das 1989 wiedervereinigte Deutschland. Dieses Argument kommt, obwohl im Text der Erklärung von Deutschland die Rede ist, und nicht von der DDR.

Der Zwei plus Vier Vertrag

Dies widerspricht indes laut Berlin dem Sinn des so genannten Zwei-plus-Vier-Vertrags vom 12. September 1990 zwischen der BRD und DDR sowie den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs - der Sowjetunion, den USA, Grossbritannien und Frankreich. Der Vertrag machte die Wiedervereinigung Deutschlands möglich und ersetzte einen späten - in der Folge nie mehr abgeschlossenen - Friedensvertrag 45 Jahre nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs. Der Vertrag schloss die 65 Kriegsgegner, darunter auch Polen, laut Interpretation der Vertragspartner von künftigen Reparationsforderungen aus. Daher kam auch der Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages. Demnach sind etwaige Ansprüche wegen deutscher Verbrechen im Zweiten Weltkrieg spätestens mit Abschluss des Zwei-plus-vier-Vertrages 1990 untergegangen, "da Polen im Rahmen der Vertragsverhandlungen zumindest stillschweigend auf deren Geltendmachung verzichtet" habe. Man sei sich damals einig gewesen, dass dieser Vertrag "bis heute jegliche Reparationsforderungen gegen Deutschland sperrt". Zudem wären solche Forderungen verjährt, so die Experten des Bundestages.

Am 1.9.1939 marschierten deutsche Truppen in Polen einBild: picture-alliance/dpa

Zuvor waren sämtliche Verträge zwischen der BRD und der damaligen sozialistischen Volksrepublik Polen immer unter Vorbehalt einer abschließenden Regelung in einem Friedensvertrag geschlossen worden. Dieser sollte dann die Frage der Reparationen abschliessend klären. Davon betroffen ist auch der von Willy Brandt und Jozef Cyrankiewicz unterzeichnete bilaterale "Vertrag über die Grundlagen der Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen" vom Dezember 1970, in dem die Oder-Neiße-Grenze von Bonn ausdrücklich anerkannt wurde.

Innenpolitisches Kalkül

In regierungsnahen Kreisen in Polen geistern derweil angeblich stichfeste Rechtsgutachten im Sinne der PiS sowie Schadensberechnungen herum, die sich zwischen 845 und 5500 Milliarden Euro belaufen. Damit sollen nicht nur die materiellen Zerstörungen, sondern auch die rund sechs Millionen ermordeten Polen – je zur Hälfte Juden und Christen – abgegolten werden. Rund jeder sechste Einwohner Polens verlor 1939-45 bei Gewaltakten der Wehrmacht, SS oder Gestapo das Leben.

Dass die Reparationsforderungen ausgerechnet jetzt gestellt werden, lässt sich vor allem innenpolitisch erklären. Nach Massendemonstrationen gegen die anti-demokratische Justizreform nicht zuletzt auch in den eigenen Reihen unter Druck geraten, versucht die PiS-Parteiführung die eigenen Reihen mithilfe der anti-deutschen Karte wieder zu schließen. Dabei wird in der Partei auch gerne argumentiert, dass der Druck für Polen ungerecht sei - aus mehreren Gründen: wegen des Rechtsstaatsverfahrens aus der EU, bei dem Deutschland de facto heute wieder das Sagen hätte, wegen der enormen ungesühnten Kriegsschuld Berlins sowie eines fehlenden Marshall-Plans für Polen.

Außenminister Macierewicz: "Die Deutschen sind Polen Reparationszahlungen schuldig"Bild: picture-alliance/dpa/J.Kaminski

Allerdings ist sich der gewiefte Stratege Jaroslaw Kaczynski auch bewusst, dass nun die heiße Phase des Bundestagswahlkampfs bevorsteht und Berlin solche Querschüsse aus Warschau bisher um alles in der Welt zu verhindern suchte. Nicht zuletzt deswegen haben sich deutsche Regierungspolitiker bei der PiS-Demokratiedemontage immer wieder kräftig auf die Zunge gebissen und stattdessen um Verständnis für Polen und mehr Geduld geworben. Diese Strategie scheint aber wenig erfolgreich zu sein. 

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