Polen: Tusk trotz gewonnener Vertrauensfrage angeschlagen
11. Juni 2025
Der proeuropäische polnische Regierungschef Donald Tusk bleibt im Amt. 243 von 453 anwesenden Abgeordneten des Sejm, des polnischen Parlaments, stimmten für ihn. Das waren alle 242 Mitglieder seiner Regierungskoalition und ein fraktionsloser Abgeordneter. 210 Parlamentarier stimmten gegen ihn.
Mit der Vertrauensfrage wagte Tusk einen Befreiungsschlag. Er wollte seine Koalition disziplinieren und nach außen demonstrieren, dass er die Lage im Griff hat. Denn der überraschende Sieg des rechtskonservativen Historikers Karol Nawrocki bei der Präsidentenwahl hatte seine Mitte-Links-Regierung in eine tiefe Krise gestürzt. Der Kandidat der Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski hatte in der Stichwahl am 1. Juni den liberalen Mitbewerber Rafal Trzaskowski geschlagen, einen Vertrauten des Premiers.
Der von der Tusk-Partei Bürgerplattform (PO) aufgestellte Kandidat unterlag Nawrocki mit 49 zu 51 Prozent. Die Wahlschlappe wurde Tusk auch als seine persönliche Niederlage angelastet und stärkte die Fliehkräfte in der Koalition, die aus drei Parteien-Blöcken besteht. "Ist Tusk am Ende?", fragte das Nachrichtenmagazin "Newsweek" auf seiner Titelseite.
Rechtskonservative PiS wittert ihre Chance
Die PiS, die im Dezember 2023 die Macht abgeben musste, witterte in der Krise ihre Chance. Kaczynski forderte den Rücktritt von Tusk sowie die Einberufung einer "technischen Experten-Regierung", obwohl verfassungsrechtlich gesehen die Präsidentenwahl keinen Einfluss auf die Regierung hat.
"Ich kenne den Geschmack des Sieges und die Bitternis der Niederlage. Das Wort Kapitulation kenne ich allerdings nicht", sagte Tusk im Parlament. Schon am Tag nach der Wahlniederlage hatte er angekündigt, "keinen Schritt" zurückweichen zu wollen. Vor dem Votum im Parlament stimmte er die Regierung auf zweieinhalb Jahre schwerster Arbeit ein und versprach einen Umbau seines Kabinetts im Juli.
Vor den Abgeordneten zählte Tusk die Erfolge seiner Regierung auf, darunter die Wiederherstellung des internationalen Ansehens von Polen, die erfolgreiche Bekämpfung der illegalen Migration und die Investitionen in die Verteidigung. Schwache Umfragewerte sind seiner Meinung nach eine Folge schlechter Informationspolitik. Im Sommer soll endlich ein Regierungssprecher ernannt werden. Bisher hat Tusk selbst die Arbeit seines Kabinetts mehr schlecht als recht erläutert.
Regierung im Umfragetief
Nach einer Umfrage vom Mittwoch (11.06.2025) bewerten 58 Prozent der Befragten Tusks Arbeit als Regierungschef negativ, 35 Prozent geben ihm eine positive Note. Auch die ganze Regierung hat mehr negative Bewertungen (44 Prozent) als positive (32 Prozent).
Die Geschäftsordnung des Parlaments sieht vor der Vertrauensfrage keine Debatte, sondern nur Fragen der Abgeordneten vor. Mehr als 280 Parlamentarier machten von diesem Recht Gebrauch. Viele PiS-Parlamentarier beschuldigten Tusk, zu enge Verbindungen zu Deutschland zu unterhalten, was angeblich polnischen Interessen schade. "Sie dienen den deutschen, nicht den polnischen Interessen", sagte Ex-Volksbildungsminister Przemyslaw Czarnek und forderte Tusk auf, zurückzutreten.
Der ehemalige Kulturminister Piotr Glinski warf der Regierung vor, wichtige Posten in Kulturinstitutionen mit Menschen zu besetzen, die die deutsche Erinnerungspolitik vertreten. Mehrere Parlamentarier kritisierten das Projekt Naturschutzgebiet Unteres Odertal als deutsches Komplott, um die Oder als Verkehrsader auszuschalten. Tusk bezeichnete die antideutschen Aussagen als "eine Phobie, die aber heilbar ist". Er schloss nicht aus, dass auch Polen bereits im Sommer zeitlich begrenzte Grenzkontrollen einführen werde.
Schwere Zeiten für Donald Tusk
Auch wenn Tusk seine Koalition in den Griff bekommt, stehen ihm schwere Zeiten bevor. Der neue Präsident, der sein Amt am 6. August antritt, machte im Wahlkampf keinen Hehl daraus, dass er die Regierung, die er als schlechteste seit 1989 bezeichnet, zu Fall bringen will. Nawrocki wird wie sein Vorgänger Andrzej Duda die meisten Gesetze der Regierung mit seinem Veto blockieren und so die Arbeit der Koalition lähmen.
Das Präsidialbüro will er zu einem Machtzentrum ausbauen, das innen- und außenpolitisch ein Gegengewicht zur Regierung bilden soll. "Es besteht die Gefahr, dass mit Nawrocki Polen eher mit Viktor Orban als mit Friedrich Merz zusammenarbeiten wird", sagte Lykke Friis, Vizechefin des Euopean Council on Foreign Relations (ECFR) im Gespräch mit der Zeitung Gazeta Wyborcza. Das Weimarer Dreieck, bestehend aus Polen, Deutschland und Frankreich, könnte durch die Visegrad-Gruppe (V4) ersetzt werden, die sich aus den vier Staaten Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn zusammensetzt.
Neuer Präsident mit eigener Agenda
In seinem ersten Interview für die ungarische Zeitschrift Mandiner sprach sich Nawrocki für die stärkere Zusammenarbeit im Rahmen der V4 aus. Orban gehört zu seinen engsten Anhängern. Nawrocki hat bereits mit Donald Trump telefoniert und sich eine Einladung ins Weiße Haus gesichert. Die MAGA-Bewegung hat seinen Wahlkampf unterstützt. Die Ukraine muss befürchten, dass der neue Mann in Warschau skeptisch gegenüber ihren NATO- und EU-Ambitionen eingestellt ist.
"Kaczynski und Nawrocki duzen sich und spüren eine geistige Verbindung. Der Hass gegen Tusk verbindet sie", schreibt Dominika Wielowiejska in der Gazeta Wyborcza. "Nawrocki will Rache an Tusk nehmen", betont die Publizistin.
Die aktuelle Umfrage vom Mittwoch sieht den Verlust der Parlamentsmehrheit durch die Mitte-Links-Koalition und eine Mehrheit für den rechten Block PiS und Konfederacja. Die regulären Parlamentswahlen sollen aber erst im Herbst 2027 stattfinden. Ob die Mitte-Links-Regierung mit Tusk bis dahin überlebt oder sich die Fliehkräfte als stärker erweisen, ist offen.