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Politik

Pädophilie-Skandal: Priester gegen Bischof

29. Mai 2020

In der Diözese im polnischen Kalisz wurde Kindesmissbrauch vertuscht. Deshalb wollen die dortigen Priester keine Loyalitätsbriefe für ihren Bischof unterzeichnen. Immer mehr Katholiken in Polen fordern Aufklärung.

Kruzifix / Kirche / Kreuz
Bild: AP

Die Doku von Marek und Tomasz Sekielski "Das Versteckspiel", die innerhalb einer Woche auf YouTube von fast 7 Mio Menschen gesehen wurde, schlägt weiter Wellen in Polen. Der Film erzählt die Geschichte von zwei Brüdern, die in den 1990er Jahren von einem Priester in der Diözese von Kalisz in Zentralpolen sexuell missbraucht wurden. Damals waren sie 7 und 13. Aus der Doku geht hervor, dass der dortige Bischof Edward Janiak vom Missbrauch wusste und den Skandal unter den Teppich kehrte. Die Filmemacher haben Dutzende Fälle in der Diözese von Kalisz aufgedeckt.

Nach der Filmpremiere wurde der Priesterrat der Diözese, der als Beratungsgremium des Bischofs fungiert, dazu aufgerufen, Loyalitätsbriefe für den Bischof zu unterzeichnen. Doch die Mitglieder des Priesterrats haben dies abgelehnt. Sie gaben an, zuerst die Ergebnisse der Vatikan-Ermittlungen abwarten zu wollen. Polens Primas Wojciech Polak hatte den Vatikan über die Missbrauchsvorwürfe benachrichtigt.

Vorführung von "Sag es keinem", dem ersten Film von Marek und Tomasz Sekielski, in Danzig 2019Bild: Imago Images/Eastnews

Der Widerstand der Priester

Die Loyalitätsbriefe des Priesterrats wären für die Ermittler ein wichtiges Signal der Rückendeckung für den Bischof gewesen, der beschuldigt wird, den Skandal vertuschen zu wollen. Dass der Priesterrat seinem Bischof in dieser Form die Unterstützung entzieht, sei ungewöhnlich, sagt der polnische Theologe und Ex-Jesuit Stanislaw Obirek im DW-Gespräch in Warschau. "Diese Priester haben einen großen Mut gezeigt, was in der hierarchischen Kirchenstruktur eine Seltenheit ist", betont er. Seiner Meinung nach könnte das zur Suspendierung des Bischofs beitragen.

Der Ex-Jesuit Obirek, derzeit Publizist und Professor an der Warschauer Universität, weiß genau, wovon er spricht. Er hat 2005 den Orden verlassen, weil, wie er sagt, die Kirchenhierarchen ihn wegen seiner Kritik an Papst Johannes Paul II. mundtot gemacht hätten. Seitdem verschont er die Kirche erst recht mit keiner Kritik. Doch jetzt spricht er von einem möglichen Durchbruch. "Ich hoffe, dass in Polen der Weg in Richtung Normalität und Aufklärung der pädophilen Taten unter den Geistlichen beginnt", sagt er. Das zeige der Widerstand der Priester von Kalisz, aber auch wachsende Forderungen innerhalb der katholischen Kirche, die Pädophilie unter den Geistlichen aufzuklären.

Prof. Stanisław Obirek: "Der Beton bekommt deutliche Risse."Bild: Mikolaj Starzynski

Problem größer als Statistiken

Auch die Einstellung der Kirche zur Entschädigungsfrage ändert sich langsam. Früher sah die Kirche die Schuld und damit eine finanzielle Gutmachung als private Angelegenheit des einzelnen Priesters an. Das sei laut Obirek nicht haltbar. "Man darf Priester in diesem Fall nicht wie jede andere Privatperson betrachten, weil sie diese Taten als Priester begehen. Nur als Priester bekommen sie so viel Zugang zu den Jugendlichen", sagt er.

Als Kind wurde Obirek selbst Opfer des Missbrauchs durch einen Priester, hat sich aber noch nicht dazu entschlossen, seinen Peiniger vor Gericht anzuklagen. Er spricht von 400.000 Euro, die von der Kirche in Polen als Entschädigungen aufgrund der Urteile ziviler Gerichte an die Opfer bezahlt wurden. Obirek betont aber, dass generell nur ein Bruchteil der Opfer den Missbrauch auch offiziell anmeldet. Das Problem sei viel breiter, als aus den offiziellen Statistiken hervorgehe.

Im Frühjahr 2019 hat die polnische Bischofskonferenz erstmals Zahlen zum sexuellen Kindesmissbrauch unter den Geistlichen veröffentlicht. Seit 1990 hätten 328 Priester 625 Kinder missbraucht. Dem Bericht nach wurde ein Viertel dieser Priester suspendiert, doch meistens hat die Kirche andere Strafen verhängt, wie zum Beispiel das Verbot, mit Kindern zu arbeiten. Mehrere Beschuldigte wurden in andere Orte versetzt. Zehn Prozent der kirchlichen Verfahren endeten mit Freispruch. Mit 44 Prozent der Fälle haben sich die zivilen Gerichte befasst. 85 Priester wurden verurteilt.

"Hände weg von den Kindern!" - Demonstration gegen Pädophilie in WarschauBild: Wlodek Ciejka

Erste Risse im Beton?

In den letzten Jahren haben immer neue Skandale das Land erschüttert. 2019 wurde bekannt, dass Pfarrer Henryk Jankowski aus Danzig, der bekannte Kaplan der Solidarność-Bewegung, seit den 1960er Jahren Kinder sexuell missbraucht hat. Viele hätten gewusst, was geschehen sei, niemand habe etwas getan, sagten seine Opfer. In Danzig wurde ein Denkmal des 2010 verstorbenen Jankowski von Aktivisten umgestürzt, der Platz, der seinen Namen trug, umbenannt. Die Stadt Danzig hat ihm die Ehrenbürgerschaft entzogen.

Doch Jankowski hatte auch viele Verteidiger, ähnlich wie viele andere pädophile Priester. In einem der krassesten Fälle durfte ein Pfarrer, der für den Missbrauch an sechs Mädchen rechtskräftig verurteilt wurde, trotzdem weiter in seinem Dorf arbeiten. Der Bischof hatte ihn verteidigt, indem er die Schuld auf die Kinder abwälzte, die angeblich "eine Nähe zum Pfarrer" gesucht hätten.

Laut Stanislaw Obirek sei diese Denkweise häufig unter den Katholiken in Polen, wo der Dorfpfarrer "Christus gleichgestellt" werde. Doch dies ändere sich langsam, auch innerhalb der Kirche. Ein Ausdruck dessen sei die Haltung der Priester von Kalisz, die gegen ihren Bischof auftreten. "Das zeigt, dass die Kirche kein Monolith mehr ist. Der Beton bekommt deutliche Risse."