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Politik

Polen: Rechtlicher Austritt aus der EU?

7. Oktober 2021

Der polnische Richter Waldemar Zurek sieht im Urteil des Europäischen Gerichtshofs eine starke Waffe im Kampf um die Unabhängigkeit der Justiz in seinem Land.

Richter Waldemar Zurek
Waldemar Zurek ist Richter am Bezirksgericht in KrakauBild: KRS

DW: Herr Zurek, Sie wurden wegen ihres Widerstandes gegen die von der nationalkonservativen PiS-Regierung forcierte Justizreform auf einen anderen Posten versetzt und haben dagegen geklagt. Die Zivilkammer des polnischen Obersten Gerichts hat den Europäischen Gerichtshof EuGH um Auslegung gebeten. Nun haben Ihnen die Richter in Luxemburg recht gegeben. Was bedeutet diese Entscheidung für Sie persönlich und für Ihren Kampf um die Unabhängigkeit des Justizwesens in Polen?

Waldemar Zurek: Das ist eine sehr wichtige Entscheidung, auf die wir mit Spannung gewartet haben. Sie ist eine starke Waffe im Kampf gegen den autoritären Umbau der Justiz. Die Regierenden wollen das Verhalten der Richter politisch beeinflussen. Justizminister Zbigniew Ziobro hat den ganzen Justizapparat unter seine Kontrolle gebracht. Als Erpressungsinstrument gegen die Widerspenstigen dient die Versetzung erfahrener Richter, ohne jede Begründung, in andere Gerichtsabteilungen oder in andere Städte.

Polens Justizminister Zbigniew ZiobroBild: PAP/picture-alliance

Das war 2018 auch Ihr Schicksal…

Genau. Jetzt hat der Europäische Gerichtshof klipp und klar gesagt, dass jeder Richter ein Recht auf ein unabhängiges Gericht hat, denn nur dann ist garantiert, dass er im Sinne der EU-Verträge unabhängig ist. Unbegründete Versetzungen sind als Schikane anzusehen und damit rechtswidrig.

Polens Regierung vertritt aber den Standpunkt, dass das Justizwesen eine innere Angelegenheit eines jeden EU-Mitgliedstaates sei. Der Europäische Gerichtshof solle sich aus diesem Bereich heraushalten. Wie passt das zusammen?

In der Tat, Brüssel sagt, dass jedes Land sein Justizsystem nach eigenen Vorstellungen aufbauen kann. Es gibt aber eine Bedingung: Am Ende müssen die Richter unabhängig von der Politik sein. Wenn Politiker über zahlreiche Instrumente verfügen, mit denen sie die Richter einschüchtern und schikanieren können, dann verletzt das die EU-Verträge.

Das EuGH-Urteil berührt noch einen anderen Aspekt.

Meine Berufung gegen meine Versetzung hat ein Richter bei der Kammer für außerordentliche Überprüfungen und öffentliche Angelegenheiten am Obersten Gericht abgelehnt, der nach meiner Ansicht illegal berufen wurde. Die Kammer bat den Gerichtshof um Auslegung. Die Richter sind der Auffassung, dass es zu einem schweren Bruch des polnischen Rechts gekommen ist. Das letzte Wort hat aber das polnische Oberste Gericht.

Wenn das letzte Wort beim Obersten Gericht Polens liegt, dann sind Sie noch weit vom Erfolg entfernt. Wie hoch sind die Chancen, dass die polnischen Richter dem EuGH folgen werden?

Ich weiß, dass das jetzige Urteil erst der Anfang des Kampfes ist. Wir haben aber eine wichtige Schlacht gewonnen. Ich fürchte, dass es im Obersten Gericht zu Sabotageversuchen kommen wird. Man kann nicht ausschließen, dass die Kammer, die darüber entscheiden soll, durch illegal berufene Richter erweitert wird. Wir werden aber nicht aufgeben. Jeder, der das EU-Recht nicht anwendet, kann strafrechtlich verfolgt werden.

Polen Premierminister Mateusz MorawieckiBild: Wojciech Olkusnik/PAP/picture alliance

Heute (7.10.2021) wird das polnische Verfassungsgericht auf Antrag von Regierungschef Mateusz Morawiecki darüber beraten, ob das polnische Recht Vorrang vor EU-Recht hat. Wenn die Verfassungsrichter im Sinne der Regierung entscheiden, verliert das EuGH-Urteil jede Bedeutung - oder?

Ich erwarte nichts Gutes. Das polnische Verfassungsgericht ist heute ein Spielzeug in den Händen der Regierenden, das als Schreckschusspistole gegen Brüssel missbraucht wird. Das EuGH-Urteil setzt dieses Pseudo-Verfassungsgericht nun unter starken politischen Druck. Die Richter dort werden Entscheidungen treffen, die denjenigen Politikern gefallen, die sie auf ihre Posten gesetzt haben. Ich rechne mit einem Urteil, das einem rechtlichen Austritt aus der EU gleichkommt.

Ist der Kampf damit verloren?

Nein, auf keinen Fall. Die polnische Zivilgesellschaft ist stark. Es gibt viele Juristen, die vor internationalen und polnischen Gerichten um die Rechtsstaatlichkeit kämpfen. Wir geben nicht auf. Mit dem EuGH-Urteil haben wir eine gewaltige Dosis Hoffnung und eine Rechtsgrundlage für diesen Kampf bekommen. Heute wird es wahrscheinlich zum Gegenangriff der anderen Seite kommen. Die polnische Gesellschaft will aber in der EU bleiben. Die Polen wollen in Sicherheit leben, freie Medien haben, frei reisen dürfen und vor allem nicht das Schicksal von Belarus teilen.

 

Waldemar Zurek ist Richter am Bezirksgericht in Krakau. Bis März 2018 war er Sprecher des polnischen Landesjustizrates (KRS). Er ist Mitglied der Richtervereinigung Themis, die die Reformen des polnischen Justizsystems durch die nationalkonservative Regierungspartei PiS immer wieder gerügt hat.

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.