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PolitikPolen

Polen setzt auf neue Partner in Skandinavien und im Baltikum

Jacek Lepiarz (aus Warschau)
30. November 2024

Enttäuscht über Deutschland orientiert sich Polen in der Sicherheitspolitik um. Zusammen mit dem skandinavisch-baltischen Länderblock will Warschau der Ukraine helfen und Russland die Stirn bieten.

Der polnische Regierungschef Donald Tusk (links) und der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson schütteln sich lächelnd die Hände. Beide haben schwarze Ledermappen unter dem Arm. Hinter ihnen sind die beiden Landesfahnen zu sehen
Enge Partnerschaft vereinbart: der polnische Regierungschef Donald Tusk (links) und der schwedische Ministerpräsident Ulf KristerssonBild: Henrik Montgomery/TT/AP Photo/picture alliance

Der polnische Regierungschef Donald Tusk wurde in Schweden in dieser Woche als Hoffnungsträger gefeiert. "Polen ist ein Star", lobte Schwedens Premier Ulf Kristersson die Regierung in Warschau wegen ihrer hohen Verteidigungsausgaben. Wie Tusk bestätigte, wird Polen in diesem Jahr 4,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für das Militär ausgeben. 2025 wird der Verteidigungsetat sogar auf 4,7 Prozent steigen.

"Polen wird zum wichtigen Player in der Sicherheitspolitik", schrieb die schwedische Nachrichtenagentur TT anerkennend. Ein Foto, das über die Plattform X verbreitet wurde, zeigt Tusk und Kristersson beim Gespräch in einem Ruderboot, begleitet von Hund Winston. 

Der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson (links) und der polnische Ministerpräsident Donald Tusk in einem Ruderboot in HarpsundBild: Henrik Montgomery/TT/REUTERS

Es war das erste Mal, dass Tusk am Treffen der Staatengruppe NB8 (Nordic-Baltic 8) teilgenommen hatte, das am Donnerstag (28.11.2024) in Harpsund, der Residenz des schwedischen Ministerpräsidenten, beendet wurde. Tusk und Kristersson unterzeichneten ein Abkommen, das die strategische Partnerschaft von der Ebene der Außenminister auf die Ebene der Regierungschefs aufwertet.

Polen, Nordeuropäer und Balten agieren "wie eine Faust"

"Polens Sicherheit ist die Sicherheit Schwedens", sagte Kristersson nach der Unterzeichnung. Es sei ein "solider und solidarischer Staatenblock" entstanden, der "auch in den schwierigsten Fragen, wozu ohne Zweifel der Überfall Russlands auf die Ukraine zählt, identisch spricht und denkt", bewertete Tusk den Schulterschluss mit den Nordeuropäern und Balten. "Es wird ein wichtiges Signal für Europa sein, dass wir in dieser Frage wie eine Faust agieren", betonte Polens Premier.

Donald Tusk: "Nichts ohne die Ukraine"

02:49

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Die seit den 1990er Jahren existierende informelle NB8-Gruppe umfasst die skandinavischen Staaten Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden sowie die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen.

Tusk schlug eine gemeinsame Überwachung der Ostsee durch die Marine der westlichen Anrainerstaaten vor. Er sprach von "einer Art Baltic Sea Policing" nach dem Vorbild der NATO-Überwachung des Luftraumes über der Ostsee, genannt "Baltic Air Policing".

"Ich bin sehr froh, dass meine Kollegen diese Idee interessant fanden. Wir werden die Diskussion über die Details fortsetzen", sagte der polnische Regierungschef.

Das chinesische Frachtschiff Yi Peng 3 wird verdächtigt, Kommunikationskabel in der Ostsee beschädigt zu habenBild: Mikkel Berg Pedersen/Ritzau Scanpix/picture alliance

Vor knapp zwei Wochen waren in der Ostsee zwei Kommunikationskabel zwischen dem finnischen Helsinki und Rostock sowie zwischen Schweden und Litauen beschädigt worden. Die Polizei schließt Sabotage nicht aus. Die Ermittler verdächtigen den chinesischen Frachter Yi Peng 3, der die beiden Orte der Kabelbrüche zu den jeweiligen Zeitpunkten passiert haben soll.

Wenn Europa vereint ist, ist Russland ein Zwerg

Tusk appellierte an andere Staaten, vor Putins Drohungen nicht einzuknicken. Bereits vor dem Abflug aus Warschau hatte er gesagt: "Im Vergleich zum vereinigten Europa ist Russland ein technologischer, finanzieller und wirtschaftlicher Zwerg. Wenn aber Europa gespalten ist, stellt Russland für jeden europäischen Staat einzeln eine Gefahr dar."

Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk beim Ostseegipfel in SchwedenBild: Henrik Montgomery/TT/AP Photo/picture alliance

Die Teilnehmer des Treffens in Schweden kündigten an, die Rüstungsproduktion in der Ukraine zu fördern und die Munitionslieferungen zu steigern sowie die Energieinfrastruktur des angegriffenen Landes zu stärken, "damit die Ukrainer den Winter überleben". Sie wollen die Ukraine darüber hinaus auf dem Weg in die NATO und die EU unterstützen.

"Russland will keinen Frieden. Wenn wir ein freies Europa wollen, müssen wir der Ukraine alles geben, was sie braucht. Es kann keine roten Linien geben", sagte die dänische Regierungschefin Mette Frederiksen.

Lange Tradition der polnisch-schwedischen Partnerschaft 

Eine Zusammenarbeit Polens mit Schweden gab es bereits früher, sie stand aber bisher im Schatten der engen Partnerschaft mit Deutschland und Frankreich. Es waren Außenminister beider Länder - Radoslaw Sikorski und Carl Bildt -, die 2008 die Östliche Partnerschaft angeregt hatten, also die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit der EU mit sechs Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Das Ziel war es, die Reformprozesse in den östlichen Nachbarländern der EU zu unterstützen.

In seiner ersten Regierungserklärung am 12. Dezember 2023 nannte Tusk kein einziges Mal Deutschland, kündigte dagegen eine engere Zusammenarbeit mit den baltischen Staaten sowie mit Finnland, Schweden und Norwegen an.

Die stärkere Hinwendung zu Nordeuropa ist nicht zuletzt eine Folge der Enttäuschung über Deutschland. Die deutsch-polnischen Beziehungen haben trotz des Regierungswechsels in Warschau vor einem Jahr nicht die alte Qualität erreicht. Weder bei der Wiedergutmachung für noch lebende Kriegsopfer noch bei den von Polen gewünschten Investitionen in die Sicherheit des Frontstaates an der Ostflanke gibt es Fortschritte. Wegen des Koalitionsbruchs in Berlin wird wahrscheinlich auch das Projekt des Ortes für Erinnerung und Begegnung, als Deutsch-Polnisches Haus bekannt, bis nach der Bundestagswahl auf Eis gelegt.

Polen enttäuscht über Deutschland

Dass Bundeskanzler Olaf Scholz zum Treffen mit Joe Biden über die Lage in der Ukraine am 20.10.2024 die Regierungschefs Frankreichs und Großbritanniens aber keinen polnischen Vertreter nach Berlin eingeladen hatte, hat die selbstbewusste politische Klasse in Warschau tief gekränkt. Und Scholz' Telefonat mit Putin warf neue Fragen über die Zuverlässigkeit der Deutschen auf. "Niemand kann ihn (Putin) mit Telefonaten aufhalten", schrieb Tusk auf der Plattform X und kritisierte die deutsche "Telefondiplomatie".

Bundeskanzler Olaf Scholz (links) und Polens Regierungschef Donald Tusk bei einem Treffen im Juli 2024Bild: Czarek Sokolowski/AP/picture alliance

Nicht nur Deutschland enttäuscht die Regierung in Warschau, auch Polens traditionelle Partner in Mitteleuropa - Ungarn und die Slowakei - fallen wegen ihrer engen Beziehungen zu Putins Russland als Verbündete aus. "Wir passen uns an die neue geopolitische Situation an", sagte der Unterstaatssekretär im polnischen Außenministerium, Marek Prawda, der Nachrichtenagentur PAP. Polen kehre zur "Idee der Nordpolitik" zurück, fügte der ehemalige Botschafter in Berlin und Stockholm hinzu.

Die diplomatische Offensive von Tusk soll Europa auf Donald Trump vorbereiten. Der polnische Premier betonte auch in Schweden, dass die Europäische Union mehr für die eigene Verteidigung tun müsse. Polen übernimmt am 1. Januar 2025 die EU-Ratspräsidentschaft, danach ist Dänemark an der Reihe. Beide Länder sollten laut Tusk dazu beitragen, dass Europa "aufwacht". "Wir müssen mehr für unsere eigene Sicherheit tun", fordert Tusk immer wieder.

Durch die neuen Optionen will Polens Mitte-Links-Regierung zeigen, dass sie einen Spielraum hat und nicht auf Deutschland angewiesen ist. Das stärkere Engagement in Nordeuropa bedeutet aber keinesfalls eine Abwendung von Deutschland. In der vergangenen Woche fand in Warschau ein Treffen der Außenminister des Weimarer Dreiecks statt, erweitert um Chefdiplomaten aus Italien und Großbritannien. Und in dieser Woche besuchte der polnische Verteidigungsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamysz Berlin.

Und ausgerechnet am Donnerstag (28.11.2024) wurde bekannt, dass Deutschland erneut das Luftverteidigungssystem Patriot nach Südostpolen verlegen will. Ein Zufall oder eine Folge des polnischen Vorstoßes nach Nordeuropa?

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.
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