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PolitikPolen

Polen: Streit um Abtreibungsrecht belastet Tusk-Koalition

Jacek Lepiarz (aus Warschau)
12. April 2024

Die Liberalisierung des Abtreibungsrechts war eines der wichtigsten Wahlversprechen von Polens Regierungschef Tusk. Doch das Thema ist auch in seiner Koalition umstritten. Und es gibt weitere Hürden für ein neues Gesetz.

Die Parlamentsabgeordneten Anna Maria Zukowska und Katarzyna Kotula, beide in lechtend rot gekleidet, im Sejm mit einem Schild, das die sogenannten "Abtreibungsschulden" Polens zeigt.
Die Parlamentsabgeordneten Anna Maria Zukowska und Katarzyna Kotula in der Debatte um das AbtreibungsrechtBild: Marek Antoni Iwanczuk/SOPA Images/Sipa USA/picture alliance

Heftiger Schlagabtausch im polnischen Parlament: Auf der Tagesordnung stand am Freitag (12.04.2024) die Novellierung des Abtreibungsrechts, vier Gesetzentwürfe lagen auf dem Tisch. Die Debatte wurde äußerst emotional und mit Schärfe geführt. "Ältere Männer in Anzügen werden nicht länger bestimmen, was die Frauen mit ihrem Körper zu tun haben", sagte Anna Maria Zukowska, Abgeordnete des mitregierenden Bündnisses Neue Linke bei der Vorstellung der Entwürfe. "Schluss mit der Hölle der Frauen", rief sie in den Saal.

"Wir wollen selbst über unseren Körper, unsere Gesundheit und unser Leben entscheiden", pflichtete ihr Monika Wielichnowska von der Bürgerkoalition (KO) bei. "Wir haben lange genug gewartet, jetzt muss gehandelt werden", betonten mehrere Abgeordnete aus dem Regierungslager.

Am Ende wurden alle vier Entwürfe nach erster Lesung an einen Sonderausschuss zur weiteren Behandlung weitergeleitet - es war ein starkes Signal der Einheit in der Regierungskoalition, die zuvor durchaus um das Thema gerungen hatte.

Anna Maria Zukowska, Abgeordnete des Bündnisses Neue Linke, in der Debatte um die Novellierung des Abtreibungsrechts am 11.04.2024Bild: Czarek Sokolowski/AP Photo/picture alliance

Die Liberalisierung des Abtreibungsrechts war ein zentrales Thema im Wahlkampf, den der liberal-konservative Donald Tusk und seine Verbündeten im vergangenen Jahr geführt hatten. Die breite Wahlbeteiligung der Frauen trug wesentlich zum Sieg der Koalition bei der Parlamentswahl bei.

Polens Frauen leiden unter restriktivem Abtreibungsrecht

Die in Polen geltenden Vorschriften gehören zu den restriktivsten in Europa. Der Eingriff ist nur dann erlaubt, wenn das Leben oder die Gesundheit der Mutter bedroht sind oder wenn die Schwangerschaft eine Folge von Vergewaltigung ist. In den vergangenen Jahren waren mehrere Frauen gestorben, weil Ärzte ihnen aus Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen die Abtreibung ganz verweigert oder zu lange mit dem Eingriff gewartet hatten.

Frauen der liberalen Organisation Frauenstreik (Strajk Kobiet) halten eine Pressekonferenz, während der Sejm über das Abtreibungsrecht debattiertBild: Attila Husejnow/SOPA Images via ZUMA Press/picture alliance

Tusk hatte im Wahlkampf schnelle Abhilfe versprochen, aber bald nach der Regierungsbildung zeichneten sich in seiner aus drei Blöcken bestehenden Koalition deutliche Meinungsunterschiede zwischen den linken und den christlich-konservativen Kräften ab. Die ersten Gesetzentwürfe, die von der Neuen Linken eingebracht wurden, verschwanden in der Schublade von Parlamentspräsident Szymon Holownia. Er verlegte auch die Debatte, die eigentlich nach der ersten Runde der Kommunalwahl stattfinden sollte, auf die Woche nach der zweiten und abschließenden Runde. Er befürchtete, dass ein Streit innerhalb der Koalition das Wahlergebnis negativ beeinflussen könnte.

Vergiftete Parlamentsdebatte über das Thema Abtreibung

Trotz der Warnungen kam es in den vergangenen Wochen zum Schlagabtausch zwischen der Neuen Linken und Holownias Wahlbündnis Dritter Weg, das aus zwei Parteien besteht: Polen2050 und die Polnische Bauernpartei PSL. Vor allem in der christlich-konservativen PSL gibt es viele Politiker, die lieber auf die Gemeindepfarrer als auf Tusk hören. Vertreter beider Seiten warfen sich gegenseitig Lügen vor, es fielen auch vulgäre Worte. Die Stimmung in der Regierungskoalition war vergiftet.

Trotz dieser Differenzen versuchten die Koalitionsparteien in der Debatte im Sejm den Eindruck von Geschlossenheit zu demonstrieren. Die vier vorliegenden Entwürfe wurden an einen Sonderausschuss weitergeleitet. Dort soll nun nach einem tragfähigen Kompromiss gesucht werden - keine leichte Aufgabe. Die Linke will, dass die Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche erlaubt und vom Staat bezahlt wird. Zudem soll sie entkriminalisiert werden. Dafür soll im Strafgesetzbuch der Paragraph 152 gestrichen werden, der Gefängnisstrafen von bis zu drei Jahren für Beihilfe zur Abtreibung vorsieht. Darunter hatten bisher oft die nächsten Verwandten der Frauen gelitten - Eltern oder Ehemänner, die etwa Geld für den Abbruch beschafft hatten.

Wie weit geht die Liberalisierung?

Der Dritte Weg möchte dagegen zum alten Kompromiss von 1993 zurückkehren, der Abtreibung auch bei einer Missbildung des Fötus zuließ. Diese Indikation hatte das Verfassungsgericht im Jahr 2020 auf Anregung der national-konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gestrichen. Später soll ein Referendum darüber entscheiden, wie weit die Liberalisierung gehen soll. "Das Recht auf Abtreibung ist ein Menschenrecht. Man kann über Menschenrechte nicht abstimmen", erklärte die linke Abgeordnete Zukowska.

Frauen protestieren im Oktober 2022 vor einem Warschauer Gericht, in dem der Prozess gegen die Aktivistin Justyna Wydrzynska stattfindet. Sie ist der "Beihilfe zur Abtreibung" angeklagtBild: Monika Sieradzka/DW

Die rechten Fraktionen - PiS und Konfederacja - protestierten in der Parlamentsdebatte heftig gegen die geplante Lockerung des Abtreibungsverbots. Der Abgeordnete Dariusz Matecki (PiS) kam mit einem Transparent in den Beratungssaal, auf dem ein zehn Wochen alter Fötus abgebildet war. Dazu spielte er Laute vor, die Herzschläge des ungeborenen Kindes darstellen sollten. Der Konfederacja-Politiker Roman Fritz warf der "Abtreibungs-Lobby" vor, die Ideen von Adolf Hitler übernommen zu haben. Ihr seid die "Avantgarde der Zivilisation des Todes", sagte er an die Adresse der Linken.

Kaczynski: Gerüchte über meinen Tod verfrüht

Im internen Streit um die Abtreibung sehen Politologen und Journalisten in Polen einen der Gründe, warum die Koalitionsparteien bei der Kommunalwahl ein Ergebnis unter ihren Erwartungen erzielt hatten. Tusks Partei eroberte zwar die größten Städte - Warschau, Danzig, Lodz - bereits im ersten Wahlgang. Doch bei der Wahl lokaler und regionaler Parlamente erzielte die PiS von Jaroslaw Kaczynski mit 34,3 Prozent das beste Resultat. Tusks KO wurde mit 30,6 Prozent, wie bei den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr, zur zweitstärksten Kraft, die Linke blieb mit 6,3 Prozent weit abgeschlagen.

PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski denkt nicht ans Aufhören. Er will weiter an der Spitze der PiS stehenBild: Marek Antoni Iwanczuk/SOPA Images/Sipa USA/picture alliance

PiS-Chef Kaczynski sah sich bestätigt und feierte seinen Erfolg. "Die Gerüchte über meinen Tod sind verfrüht", scherzte er an die Adresse derer, die seine Abwahl gefordert hatten.

Warten auf neuen Staatspräsidenten

Unabhängig vom Ausgang der Arbeit im Parlament werden die Polinnen zum Schwangerschaftsabbruch noch lange in die Krankenhäuser in Tschechien, Deutschland oder Holland reisen müssen. Denn es gilt als sicher, dass Präsident Andrzej Duda jeden Versuch, das Abtreibungsverbot aufzuweichen, mit seinem Veto blockieren wird. Die Koalition verfügt nicht über die notwendige Drei-Fünftel-Mehrheit, um das erzkonservative Staatsoberhaupt zu überstimmen.  

Ein liberales Abtreibungsgesetz kann erst nach Dudas Ausscheiden aus dem Amt im Sommer 2025 in Kraft treten. Und nur dann, wenn zu seinem Nachfolger ein Kandidat des liberalen Lagers - etwa der Stadtpräsident von Warschau, Rafal Trzaskowski, gewählt wird.

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.
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