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Politik

Polen streitet über Unabhängigkeitsgedenken

9. November 2018

100 Jahre nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit durch Polen werden in Warschau gleich zwei Märsche stattfinden. Die Nationalisten und die Regierung kollidieren auf derselben Route.

Polen Warschau Rechtsradikale beim Marsch zum Unabhängigkeitstag
Teilnehmer am Marsch zum Unabhängigkeitstag im Jahr 2017Bild: picture-alliance/NurPhoto/J. Arriens

Und die Nationalisten dürfen doch marschieren. Die für den 11. November, dem Unabhängigkeitstag Polens, geplante Demo darf stattfinden, entschied ein Gericht am Donnerstag. Das Event war kurz zuvor von der liberalen Warschauer Bürgermeisterin Hanna Gronkiewicz-Waltz verboten worden. Sie machte sich Sorgen, dass wie im Vorjahr Demoteilnehmer fremdenfeindliche Banner tragen würden. "Die Geschichte Polens und insbesondere Warschaus hat schon genug unter aggressivem Nationalismus gelitten", war ihr Argument. Doch die Organisatoren, darunter das National-Radikale Lager (ONR), ließen nicht locker und zogen vor Gericht. Dieses allerdings fand, man könne aus dem vergangenen Jahr keine Schlüsse über die diesjährigen Teilnehmer ziehen.

Die Staatsdemo als Alternative

Präsident Andrzej Duda und die regierende PiS-Partei hatten sich eigentlich schon gefreut. Mit dem Verbot der Demo, die in den vergangenen acht Jahren zu einer Massenveranstaltung herangewachsen ist, hatte die Bürgermeisterin den Regierenden in die Hände gespielt. Schon lange haben sich verschiedene Regierungen darum bemüht, als Alternative zum nationalistischen Marsch andere Feierlichkeiten populär zu machen, doch ohne Erfolg. Diesmal schien es plötzlich möglich. So haben Präsident Andrzej Duda und Premierminister Mateusz Morawiecki zu einer staatlichen Feier unter dem Motto " Weiß-roter Marsch zum 100. Jahrestag der Wiedererlangung der Unabhängigkeit" aufgerufen. 

Die Route des Marsches deckt sich mit der, die seit Jahren traditionell den Nationalisten gehörte. Damit hätte die PiS die von Jahr zu Jahr besser organisierten Nationalisten politisch marginalisiert und der Welt gezeigt, dass sie sich von den Radikalen distanziert. Doch jetzt sollen in Warschau zwei Märsche stattfinden.

Das nationalistische Erbe

Der Grund des Gedenkens ist der 100. Jahrestag der Wiedererlangung der Unabhängigkeit durch Polen, das seit Ende des 18. Jahrhunderts als Staat auf der Europa-Karte nicht existierte und dessen Teile sich 123 Jahre lang jeweils unter der Herrschaft Preußens, Österreichs und Russland befanden. Die politische Landschaft des Landes vor 100 Jahren und dann in der Vorkriegszeit war der heutigen ähnlich. Zwischen den Liberalen und den Konservativen dauerte ein ideologischer Kampf an und am rechten Rand entstanden radikale nationalistische Bewegungen.

An die Vorkriegstraditionen knüpfen auch die heutigen polnischen Nationalisten bei ihren Unabhängigkeitsmärschen an. In diesem Jahr lautet das Motto: "Gott, Ehre und Vaterland". 2017 hieß es "Wir wollen Gott". Während des Marsches waren rechtsradikale Transparente und Symbole zu sehen. Darunter das keltische Kreuz, das als neofaschistisches Symbol gilt und anstelle der verbotenen Hakenkreuze verwendet wird. Auf den Transparenten standen Parolen wie "Nur weißes Europa", "Reines Blut" oder "Weißes Europa der Brüdernationen". Eine der Reden wurde von Roberto Fiore, Chef der rechtsextremen italienischen Forza Nuova gehalten.

"Wir wollen Gott" war das Motto der Nationalisten im vergangenen Jahr. Dieses Jahr heißt es: "Gott, Ehre und Vaterland"Bild: picture-alliance/dpa/PAP/R. Pietruszka

Das politische Doppelspiel

Die Staatsanwaltschaft hat das Verhalten der Marschteilnehmer auf die Verbreitung der "verbotenen Ideologien" und der "Hetzsprache mit rassistischem, ethnischen und religiösen Hintergrund" untersucht, doch bislang ist kein Urteil gefallen. Präsident Andrzej Duda verurteilte in den polnischen Medien die extremen Sprüche, mit denen "kein ehrlicher Mensch in Polen einverstanden sein darf", doch laut ihm habe nur ein Bruchteil der Teilnehmer die umstrittenen Transparente und Symbole verwendet. Die überwiegende Mehrheit sei patriotisch motiviert gewesen und habe in einer fröhlichen Atmosphäre die Wiedererlangung der Unabhängigkeit durch Polen feiern wollen. Derselbe Tenor herrschte bei Kommentaren seitens der Regierung. Viele Kritiker sahen darin ein Doppelspiel der polnischen Regierung, die sich offiziell von den Nationalisten distanziere, doch sie im Grunde genommen dulde und schütze.

Die Konkurrenz der Feier

Dass der staatliche Marsch jetzt mit dem Nationalistenmarsch konkurriert, zeugt aber doch von der Verschärfung der Fronten innerhalb des rechtskonservativen Lagers. Die Nationalisten versuchen sich von der Regierung zu distanzieren und wiederholen gerne, dass ihr seit 2010 organisierter Marsch eine spontane gesellschaftliche Initiative "von unten" sei, ganz im Gegenteil zu der "von oben" verordneten staatlichen Feier. "Es ist wichtig, dass der Unabhängigkeitsmarsch seinen gesellschaftlichen Charakter behält, weil er nur auf diese Weise dem Willen der Polen und der Patrioten nachgeht, die die Unabhängigkeit feiern wollen", schreibt Robert Bakiewicz, Chef des Vereins Unabhängigkeitsmarsch und Vorstandsmitglied der rechtsradikalen Gruppierung "Das Nationalradikale Lager" (ONR).

Doch für viele Polen wird es an diesem Sonntag in Warschau schwierig sein, die beiden Demos auseinanderzuhalten. Der staatliche Marsch beginnt eine Stunde nach dem Nationalistenmarsch am selben Ort und verläuft entlang der gleichen Route durch Warschau. Dass die beiden Demos teilweise miteinander verschmelzen werden, ist fast sicher. Das ist nicht im Sinne der Nationalisten, die dadurch das starke Alleinstellungsmerkmal ihres Marsches zugunsten der Staatsdemo verlieren könnten.