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PolitikPolen

Polen sucht neue Regierung: Tusk drängt an die Macht

Jacek Lepiarz (aus Warschau)
26. Oktober 2023

Die Opposition in Polen hat eine solide Mehrheit im Parlament und will Donald Tusk als ihren Regierungschef durchsetzen. Doch Staatspräsident Andrzej Duda zögert. Will er das proeuropäische Lager spalten?

Regierungsbildung in Polen - Andrzej Duda (3.v.l.), Präsident von Polen, Grazyna Ignaczak-Bandych (2.v.l.), Leiterin der Kanzlei des polnischen Präsidenten, Donald Tusk (3.v.r.), Vorsitzender der Platforma Obywatelska (PO), Adam Szlapka (5.v.r.), Vorsitzender der Nowoczesna, Marcin Kierwinski (4.v.r.) von der Platforma Obywatelska (PO), Barbara Nowacka (2.v.r.), Vorsitzende der Inicjatywa Polska (iPL), und Urszula Zielinska (r), Vorsitzende der Partia Zieloni, während eines Treffens im Präsidentenpalast.
Präsident Andrzej Duda hat die Parteichefs der Opposition zu Gesprächen in seinen Amtssitz eingeladenBild: Radek Pietruszka/dpa/picture alliance

Nach dem fulminanten Sieg bei der Parlamentswahl am 15.10.2023 ist die demokratische Opposition in Polen fest entschlossen, den Machtwechsel schnell durchzusetzen. Die Chefs der linksliberalen Bürgerkoalition (KO), des christlich-demokratischen Bündnisses Dritter Weg (TD) sowie der Neuen Linken (NL) haben am Dienstag in Warschau offiziell bestätigt, dass sie eine Koalitionsregierung mit Donald Tusk als Regierungschef anstreben.

"Wir sind bereit, partnerschaftlich zusammenzuarbeiten und eine neue Mehrheit, eine Regierung zu bilden. Wir können jederzeit mit der Arbeit beginnen", sagte Tusk beim gemeinsamen Auftritt im Parlament. Zusammen mit Szymon Holownia und Wladyslaw Kosiniak-Kamysz von TD und Wlodzimierz Czarzasty von der Neuen Linken appellierte Tusk an den polnischen Präsidenten Andrzej Duda, "keine Zeit zu verlieren" und den Weg für die neue Regierung freizumachen.

Die Parteichefs der Opposition vor ihrem Treffen mit Staatspräsident Duda: (v.l.n.r.) Wlodzimierz Czarzasty (SLD), Szymon Holownia (TD), Donald Tusk (PO) und Wladyslaw Kosiniak-Kamysz (TD) Bild: Pawel Supernak/dpa/picture alliance

Die proeuropäische Koalition verfügt über 248 Mandate und damit über eine solide Mehrheit im polnischen Unterhaus (Sejm), das 460 Sitze zählt. In der zweiten Kammer, dem Senat, ist der Vorsprung der bisherigen Opposition noch deutlicher: 66 Mandate zu 34.

Bei diesem Kräfteverhältnis sollte die Frage nach dem Regierungsauftrag eigentlich einfach zu beantworten sein. Doch Duda, von dem nun das weitere Verfahren abhängt, lässt sich Zeit.

"Die Legislaturperiode des Parlaments endet am 12. November. Ich sehe keinen Grund, diese Amtszeit abzukürzen", sagte der Präsident am Donnerstag (26.10.2023) in Warschau und kündigte an, dass die neue Volksvertretung am 13. November zusammenkommen werde.  

Präsident Duda lädt zu Konsultationen ein

Das Staatsoberhaupt, das aus dem national-konservativen Lager um den Chef der amtierenden Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski, kommt, hat laut polnischer Verfassung 30 Tage Zeit, um die erste Sitzung des neuen Parlaments einzuberufen. Danach hat er weitere 14 Tage, um einer von ihm bestimmten Person den Regierungsauftrag zu erteilen. Präsident Duda sehe keine Notwendigkeit, die Legislaturperiode des Parlaments abzukürzen, hieß es aus dem Präsidentenpalast.

Präsident Andrzej Duda ist zwar formal parteilos, steht jedoch der regierenden Partei PiS naheBild: Beata Zawrzel/NurPhoto/picture alliance

Die Bekundungen von Tusk und seinen Koalitionspartnern reichten Duda offenbar nicht aus. Um selbst herauszufinden, wer die größten Chancen auf eine Regierungsmehrheit hat, lud der Präsident alle im künftigen Parlament vertretenen Parteien zu Konsultationen ein.

Den Vortritt bekamen am Dienstag die Vertreter der PiS mit Regierungschef Mateusz Morawiecki - ein demonstrativer Seitenhieb gegen Tusk. Die PiS hat 194 Mandate gewonnen und ist aus der Parlamentswahl als stärkste Kraft hervorgegangen, kann aber wegen fehlender Koalitionspartner nicht weiter regieren.

PiS klebt an der Macht

Dessen ungeachtet klebt die PiS, die seit acht Jahren das Land regiert, weiterhin an der Macht und hat keine Absicht, einfach aufzugeben. "Die PiS hat dem Präsidenten mitgeteilt, dass Mateusz Morawiecki ihr Kandidat für das Amt des Regierungschefs ist und dass sie willens ist, die Regierung zu bilden", sagte der Chef der Präsidialkanzlei, Marcin Mastalerek, nach dem Treffen der PiS-Delegation mit Duda.

Tusk wurde als Zweiter in den Präsidentenpalast geladen. Danach sprach der liberale Oppositionsführer von einem "konstruktiven Gespräch". Duda habe ihm versichert, dass er das Wahlergebnis respektieren werde. "Wenn sich bestätigt, dass die Opposition eine Mehrheit hat, wird er (Duda) nicht einen Augenblick zögern, dem durch die Opposition aufgestellten Kandidaten den Regierungsauftrag zu erteilen", sagte Tusk.

Doch Duda selbst zeigte sich am Donnerstag unentschlossen. "Wir haben in der Tat zwei ernstzunehmende Kandidaten für das Amt des Premiers", sagte er nach den Konsultationen und meinte damit Morawiecki und Tusk. Beide hätten ihm versichert, dass sie eine Mehrheit im Parlament haben würden. Der Präsident ließ offen, wem er den Regierungsauftrag erteilen werde. "Ich muss mir das überlegen", sagte er.  

Droht der demokratischen Opposition die Spaltung?

Worauf hofft die PiS? "Die Taktik der PiS besteht darin, so lange wie möglich zu warten, in der Hoffnung, dass es in der demokratischen Opposition zu Konflikten und dann zur Spaltung kommt", erläutert der Politologe Antoni Dudek, der als einer der besten Kenner der politischen Szene in Polen gilt. "Die National-Konservativen wollen der Koalition Zeit geben, damit sie sich zerstreitet."

In der Tat werden bereits jetzt die ersten Differenzen sichtbar. Das Recht der Frauen Auf Schwangerschaftsabbruch in den ersten 12 Wochen, das die Linke für unverhandelbar hält, wird von Politikern des Dritten Weges als inakzeptabel bezeichnet.

PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski am Wahlabend. Seine Partei hat zwar die meisten Stimmen erhalten, aber die absolute Mehrheit verfehltBild: Czarek Sokolowsk/AP/picture alliance

Kaczynskis Partei will sich aber nicht nur darauf beschränken, passiv auf mögliche Zwietracht in den Reihen der Gegner zu warten. Die PiS versucht, einzelne Abgeordnete anderer Parteien mit lukrativen Posten auf ihre Seite zu ziehen. Der Abgeordnete Kosiniak-Kamysz vom Dritten Weg soll angeblich ein Angebot bekommen haben, als Regierungschef in eine PiS-Regierung einzutreten. TD-Parlamentarier wurden von PiS-Leuten angerufen und mit attraktiven Angeboten gelockt. Bisher sind aber keine Überläufer bekannt.

"Der Ball ist im Spiel, nichts ist entschieden. Wir bekommen Signale von Leuten aus anderen Parteien, dass sie mit uns zusammenarbeiten wollen", tröstet der Pressesprecher der PiS, Rafal Bochenek, seine Parteigenossen.

Tusk kämpft in Brüssel um Milliarden für Polen

Eine lange Übergangszeit wird für den künftigen Regierungschef Tusk zum Problem. Die PiS blockiert die Machtübernahme und beschuldigt ihn, sein wichtigstes Versprechen aus dem Wahlkampf nicht erfüllt zu haben. Die EU-Kommission hat wegen Verstößen der PiS-Regierung gegen die Rechtsstaatlichkeit 35 Milliarden Euro aus dem Corona-Aufbaufonds für Polen eingefroren. Tusk versprach, diese Gelder gleich nach dem Wahlsieg freizumachen. Deshalb reiste er am Mittwoch (25.10.2023) nach Brüssel, wo er unter anderem die Kommissionschefin Ursula von der Leyen traf. "Ich will die Gelder retten, die Polen zustehen", sagte er.

In Brüssel traf Donald Tusk mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zusammenBild: Johanna Geron/REUTERS

Der PO-Abgeordnete Dariusz Jonski vermutet ein anderes Motiv für das Hinauszögern der Machtübergabe. Der Parlamentarier, der sich auf die Aufdeckung von Skandalen spezialisiert hat, verwies auf die Tatsache, dass der Inlandsgeheimdienst in letzter Zeit mehrere Dutzend Reißwölfe im Eilverfahren gekauft habe. Aktenvernichter sollen auch in einigen Ministerien rund um die Uhr im Einsatz sein.

Kaczynski in die Rente?  

Nicht alle PiS-Politiker sind bereit, die harten politischen Tatsachen zu ignorieren. Deshalb hat in der Partei die Suche nach den Verantwortlichen für die Niederlage begonnen. Der Generalsekretär der Partei und enge Vertrauter von Kaczynski, Krzysztof Sobolewski, trat am Mittwoch von seinem Amt zurück. Auch Kaczynski selbst - die Ikone der polnischen Rechten - geriet im eigenen Lager in die Kritik. So antwortete Dudas Kanzleichef Mastalerek auf die Frage eines Journalisten, ob Kaczynski nicht besser in Rente gehen solle, ohne Zögern mit Ja. Einen Grund für den Machtverlust der PiS sieht er in der "Sünde des Hochmuts".  

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.
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