1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Polen ist für die Tschechen das neue Kroatien

Lubos Palata (aus Sopot, Polen)
11. August 2025

Die Tschechen haben sich in die polnische Ostseeküste verliebt. Für viele ist es der Klimawandel, der sie in den Norden zieht, andere bewundern das Nachbarland Polen für seinen wirtschaftlichen Erfolg.

Uferpromenade am Fluss Mottlawa (Mottlau) in Gdansk (Danzig). Auf dem Fluss sind Sportboote zu sehen. Spaziergänger gehen auf der Promenade entlang, am Rand sitzen Restaurantbesucher an Tischen. Leuchtend rosa Blumen ranken sich aus Blumenampeln an der Wand eines Hauses herab
Das Hafenflair in Gdansk (Danzig) begeistert die tschechischen TouristenBild: Luboš Palata/DW

Das "Tschechische Meer" lag in den vergangenen hundert Jahren in Kroatien. Dorthin zog es die meisten Urlauber aus dem Elf-Millionen-Land Tschechien, das keinen eigenen Zugang zum Meer hat. Doch inzwischen strömen immer mehr Tschechen nach Norden an die Ostseeküste Polens. "Das Klima hat sich verändert", erklärt die 50-jährige Ludmila. "Ich möchte nicht mehr in die Hitze Kroatiens oder auch Griechenlands fahren. Ich möchte meinen Urlaub ohne tropische Temperaturen und in Ruhe genießen."

Auf den neuen Trend hat sich auch die staatliche Tschechische Eisenbahngesellschaft eingestellt. Während die Direktverbindungen, die jahrzehntelang nach Split in Kroatien fuhren, eingestellt wurden, verkehrt jetzt viermal täglich der Baltic Express von Prag nach Gdynia, Sopot und Gdansk (Danzig). In der Sommersaison ist er oft komplett ausgebucht.

Der Baltic Express bei seiner Jungfernfahrt im Dezember 2024 Bild: Michal Krumphanzl/CTK Photo/IMAGO

Weitere Hunderttausende Tschechen fahren mit dem Auto an die polnische Ostseeküste und nutzen die Möglichkeit, über die brandneuen und mautfreien polnischen Autobahnen von Tschechien nach Swinoujscie (Swinemünde), Szczecin (Stettin) oder Sopot (Zoppot) zu gelangen. Und im Gegensatz zu den Deutschen erschweren die Polen den Tschechen die Fahrt an die polnische Ostseeküste nicht durch Grenzkontrollen.

Hunderttausende Besucher aus Tschechien

Die "tschechische Invasion" wird von den polnischen Medien aufmerksam verfolgt - und sogar von polnischen Politikern. Artikel über Urlaub in Polen gehören auch zu den meistgelesenen auf tschechischen Nachrichtenportalen, und alle größeren tschechischen Zeitungen und Fernsehsender haben bereits Sonderkorrespondenten an die polnische Ostseeküste entsandt. Die sozialen Medien sind voll von Beiträgen von der polnischen Ostseeküste, in Diskussionsgruppen werden die Vorzüge und Nachteile eines Urlaubs an der Ostsee debattiert.

"Seit letztem Jahr ist die Präsenz tschechischer Touristen an der Ostsee wirklich spürbar", berichtet der Journalist Jakub Medek vom polnischen Nachrichtenradio TOK FM der DW. "Ich habe das Gefühl, dass sie in diesem Sommer die größte Gruppe unter den Ausländern bilden." Zunächst habe es die Touristen aus Tschechien vor allem an die Westküste Polens gezogen. Doch seit es die schnelle Zugverbindung gebe, seien viele tschechische Touristen im Dreistädteverbund Gdansk, Gdynia und Sopot anzutreffen. In Polen werde das "eindeutig positiv wahrgenommen", so Medek.

Dies bestätigen auch offizielle Zahlen. "Die Übernachtungsstatistiken zeigen einen enormen Anstieg tschechischer Touristen in Polen", sagt Pavel Trojan vom tschechischen Vertretungsbüro des polnischen Tourismusverbands gegenüber der DW. "Sie stellen bereits die viertgrößte Touristengruppe dar - direkt nach den Deutschen, Briten und Amerikanern." Für das vergangene Jahr gibt das polnische Statistikamt 410.000 tschechische Touristen mit Hotel-Übernachtungen an. Hinzu kommen diejenigen, die Privatunterkünfte mieten. "Dank der Mobilität im Grenzgebiet und Tagesausflüglern liegen wir daher nach den Deutschen auf dem zweiten Platz der Touristenzahlen in Polen", so Trojan.

Nach ersten Schätzungen soll das laufende Jahr ein Rekordjahr werden. Wie die polnische Website Gazeta.pl berichtet, könnte die Zahl der Tschechen an der Ostsee 800.000 erreichen, eine Zahl, die sogar das bisherige Lieblingsland der Tschechen, Kroatien, in den Schatten stellt. 

Tusk begrüßt die "tschechische Invasion"

Dabei kann ein Urlaub an der polnischen Ostseeküste, wo es auch im August regnen kann und die Wassertemperatur manchmal nicht einmal 20 Grad erreicht, für Tschechen auch enttäuschend sein. Zumindest für die, die bislang Hitze, warmes Wasser und Sonnenbaden gewohnt waren. Für sie war der von Medien geprägte Slogan "Polen ist das neue Kroatien" vielleicht manchmal irreführend.

"Polen unterscheidet sich nämlich grundlegend vom Mittelmeerraum, sowohl was die Landschaft und die Strände als auch Sehenswürdigkeiten, Dienstleistungen und Gastronomie angeht", so Trojan. "Es ist daher besser, offen zu sein, die Regenjacke nicht zu Hause zu vergessen und sich auf ein großartiges Abenteuer vorzubereiten."

Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk und sein tschechischer Amtskollege Petr Fiala in Prag am 9.10.2024Bild: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Die neue Liebe der Tschechen zur polnischen Ostseeküste war auch Thema der letzten gemeinsamen Sitzung der polnischen und tschechischen Regierung in Prag im vergangenen Jahr. "Ich komme aus Gdansk und lebe in Sopot, daher bin ich Augenzeuge dieser sehr angenehmen und willkommenen sommerlichen Invasion tschechischer Touristen an der polnischen Küste", erklärte Premierminister Donald Tusk gegenüber dem Webportal Wirtualna Polska. "Die Tschechen haben alle historischen Rekorde gebrochen. Über eine halbe Million haben die polnischen Strände, die polnische Küste von Szczecin bis Gdansk, besucht", fügte Tusk hinzu.

Teures Bier in Polen

Dabei ist die polnische Ostseeküste für Tschechen nicht billig, die Preise sind vergleichbar mit denen im touristischen Zentrum der tschechischen Hauptstadt Prag oder im weltberühmten tschechischen Kurort Karlsbad. Aber es ist immer noch weniger als die Hälfte dessen, was sie für ähnliche Dienstleistungen an der deutschen Ostseeküste bezahlen würden. Und Urlaub in Kroatien ist auch spürbar teurer geworden. 

Allerdings sind die Lebensmittel in den polnischen Supermärkten deutlich günstiger als in Tschechien. Nur das Bier ist teuer. Das tschechische Nationalgetränk kostet an der polnischen Küste in Restaurants bis zu sechs Euro für einen halben Liter. "Es ist teuer hier", klagt der 60-jährige Jirka, der in Sopot gerade ein kühles Bier genießt. "Aber dafür gibt es hier tschechisches Bier."

Polnische Löhne höher als die tschechischen

Die neue Begeisterung der Tschechen für Polen und seine Bewohner beschränkt sich nicht nur auf den Urlaub an der Ostsee. Die Tschechen bewundern den Entwicklungssprung, den ihr Nachbarland in den letzten Jahren geschafft hat. Noch vor dreißig Jahren war Polen viel ärmer als Tschechien, das bis dahin reichste und am weitesten entwickelte postkommunistische Land Mitteleuropas. Inzwischen hat Polen Tschechien in vielerlei Hinsicht eingeholt und sogar überholt.

Der Strand von Sopot ist bei tschechischen Touristen sehr beliebtBild: Luboš Palata/DW

Zum Beispiel beim Ausbau des Autobahnnetzes oder bei den Löhnen. Auch wenn die tschechische Wirtschaft immer noch etwas leistungsfähiger ist, gilt das für die Löhne nicht mehr. Noch vor drei Jahren lagen die polnischen Löhne um 25 Prozent unter den tschechischen, heute sind sie höher.

"Es nähert sich die Zeit, in der Tschechen zum Arbeiten nach Polen auswandern werden", schreibt die polnische Webseite Obserwator Gospodarczy. Am größten ist der Unterschied beim Mindestlohn, der in Tschechien um ein Drittel niedriger ist als in Polen, wo er derzeit bei 1120 Euro liegt.

Verantwortlich dafür ist auch die Sparpolitik der Mitte-Rechts-Regierung von Petr Fiala, die das Gesamtdefizit der öffentlichen Finanzen Tschechiens auf 2,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gesenkt hat, während das Defizit der öffentlichen Finanzen in Polen im vergangenen Jahr 6,6 Prozent des BIP erreichte.

Lubos Palata Korrespondent für Tschechien und die Slowakei, wohnhaft in Prag