Nord Stream-Anschlag: Polen will nicht ausliefern
13. Oktober 2025
Wolodymyr Z. wartet seit Ende September 2025 in Untersuchungshaft in Warschau auf die Entscheidung über seine Auslieferung an Deutschland. Der 46-jährige Ukrainer wurde mit internationalem Haftbefehl gesucht und am 30.09.2025 in Polen verhaftet. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe verdächtigt ihn, am Anschlag auf die Nord-Stream-Pipeline im September 2022 beteiligt gewesen zu sein. Das Bezirksgericht in Warschau hatte die U-Haft in der vergangenen Woche um 40 Tage - bis zum 9. November - verlängert.
Der Auslieferungsantrag aus Deutschland bringt den liberalkonservativen Regierungschef Donald Tusk in ein Dilemma. Denn Berlin ist für die polnische Mitte-Links-Regierung trotz Spannungen weiterhin ein strategischer Partner. Darüber hinaus liegt Tusk viel daran, sein Land nach Jahren des Rechtsbruchs unter der nationalkonservativen Vorgängerregierung als funktionierenden Rechtsstaat zu präsentieren.
Andererseits herrscht aber in Polen von fast allen politischen Kräften akzeptierter Konsens, dass die Zerstörung der Nord-Stream-Pipeline auch im polnischen Interesse lag und der Attentäter eher Lob und Anerkennung als Strafe verdient hat.
Nicht Sprengung war das Problem
Nach der Festnahme des Verdächtigen betonte Tusk, dass dessen Schicksal in den Händen von unabhängigen Richtern liege. Der polnische Regierungschef machte aber keinen Hehl daraus, dass er gegen die Auslieferung sei.
"Das Problem mit Nord Stream 2 ist nicht, dass sie gesprengt wurde. Das Problem ist, dass sie gebaut wurde", schrieb der liberalkonservative Politiker auf X. Und er legte nach. "Es liegt sicherlich nicht im Interesse Polens und im Interesse eines Gefühls von Anstand und Gerechtigkeit, diesen Bürger anzuklagen oder an einen anderen Staat auszuliefern", sagte Tusk am vergangenen Dienstag beim Besuch der litauischen Regierungschefin Inga Ruginiene.
Beweise überzeugend?
Tusks Vertrauter Tomasz Siemoniak, der Koordinator der Geheimdienste, sieht die Aufgabe der Staatsanwaltschaft darin, "das Gericht zu überzeugen, dass die Auslieferung an Deutschland eine schlechte Idee ist". Es sei fraglich, ob die Beweise, dass diese konkrete Person etwas mit der Sprengung der Pipeline zu tun habe, überzeugend seien, betonte Siemoniak.
Mit seiner klaren Parteinahme für Wolodymyr Z. versuchte Tusk auch der Kritik des rechtskonservativen Lagers entgegenzuwirken. Der proeuropäische und deutschlandfreundliche Politiker wird von seinen rechten Gegnern als "deutscher Agent" beschimpft. Bei einer Protestkundgebung gegen die illegalen Migranten am Samstag in Warschau warf der Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski Tusk vor, in Polen ein "deutsches Protektorat" errichten zu wollen. Der rechtsradikale Aktivist Robert Bakiewicz nannte den Premier einen "Diener Deutschlands" und sagte, ein "imperiales Deutschland" sei genauso gefährlich wie Russland.
Kritik auch aus Ungarn
Die rechtskonservative Opposition nutzte den Auslieferungsantrag aus Karlsruhe umgehend als Vorwand für Attacken gegen die Regierung. Der "Tusk-Staat" wolle den festgenommenen Ukrainer an die Deutschen ausliefern, warnte Pawel Jablonski, ehemaliger Vize-Außenminister von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Wolodymyr Z. drohten in Deutschland "politische Repressionen - jeder, der in der BRD das deutsch-russische Bündnis attackiert, wird als Feind angesehen", schrieb Jablonski auf X.
Kritik kam auch aus Ungarn, obwohl mit völlig anderer Begründung. Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto zeigte sich "schockiert" über Tusks Haltung. "Wir wollen kein Europa, in dem Regierungschefs Terroristen verteidigen", schrieb er auf X.
Nord Stream als rotes Tuch für Polen
Das Nord-Stream-Projekt, das Bundeskanzler Gerhard Schröder und der russische Staatspräsident Wladimir Putin 2005 politisch initiiert hatten, war Polen von Anfang an ein Dorn im Auge. Anfänglich ging es Warschau vor allem um den Verlust der Transitgebühren, denn russisches Gas wurde bis dahin durch Polen nach Westeuropa transportiert. Mit dem Anwachsen der Spannungen um die Ukraine rückten aber geopolitische Argumente in den Vordergrund.
Bereits 2006 wetterte Radoslaw Sikorski, damals Verteidigungsminister, gegen Nord Stream und verglich die Ostsee-Pipeline mit dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939. Seitdem war die polnische Kritik am deutsch-russischen Vorhaben ein Dauerthema in deutsch-polnischen Gesprächen, egal wer in Warschau regierte.
Warum wurde Wolodymyr Z. ausgerechnet jetzt festgenommen?, fragen die polnischen Medien. Denn der Haftbefehl wurde bereits vor einem Jahr ausgestellt, aber der Verdächtige wurde laut Medien vorgewarnt und konnte in die Ukraine ausreisen - es ist unklar, warum er nach Polen zurückkehrte. Schon damals riet Tusk den deutschen Politikern, die Nord Stream 1 und 2 umgesetzt hatten, sie sollten "sich entschuldigen und schweigen".
Vor Gericht in Polen?
Wie das Online-Portal OKO.press spekuliert, wollte die polnische Regierung mit der Festnahme zeigen, dass sie mit Deutschland kooperiert. Warschau sei daran interessiert, dass seine Haftbefehle im westlichen Nachbarland vollstreckt werden.
Die polnischen Medien verweisen auf einen Ausweg aus dem Dilemma um Wolodymyr Z. Auch in Polen laufen die Ermittlungen gegen die Nord-Stream-Sprengung. In diesem Verfahren hat Wolodymyr Z. den Status eines Zeugen. Er wurde sogar vor einigen Tagen vernommen. "Wenn gegen ihn in Polen Anklage erhoben wird, wird er sich vor einem polnischen Gericht verantworten", heißt es bei OKO.press. Der Ukrainer lebt seit drei Jahren in Polen und betreibt bei Warschau eine Baufirma.
Der konservative Think Tank Klub Jagiellonski sieht im deutschen Auslieferungsantrag eine Chance für Tusk. "Mit der Ablehnung kann Tusk zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Er kann seine Durchsetzungskraft gegenüber Berlin demonstrieren und seine Verhandlungsposition gegenüber der Ukraine stärken", heißt es in einer Analyse des Klubs Jagiellonski. Auf diese Weise würde Tusk die Vorwürfe der rechtskonservativen Opposition entkräften, seine Politik sei zu nachgiebig gegenüber Deutschland.