Neuer Aufbruch zwischen Deutschland und Polen
30. Juni 2024"Deutschland ist kein Feind, sondern Verbündeter", mit dieser Botschaft tourt der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski seit Monaten durch die Fernseh- und Radiostudios, um der Kehrtwende in der polnischen Politik gegenüber dem westlichen Nachbarland Nachdruck zu verleihen.
Der Machtwechsel in Polen von der national-konservativen PiS-Regierung zur Mitte-Linkskoalition im Dezember 2023 hat die Überwindung der tiefen Krise in den deutsch-polnischen Beziehungen möglich gemacht. Nun, sechs Monate später, wollen Warschau und Berlin mit einem "Aktionsplan" einen weiteren Schritt gehen und einen Neuanfang starten. Am Dienstag (2.07.2024) nimmt Bundeskanzler Olaf Scholz mit seinem Kabinett an gemeinsamen Regierungskonsultationen in der polnischen Hauptstadt teil.
Erste Regierungskonsultationen seit 2018
Die letzten Regierungskonsultationen fanden 2018 statt, obwohl der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag von 1991 Treffen der Regierungschefs "mindestens einmal jährlich" vorsieht. Scholz kam im Dezember 2021 zum Antrittsbesuch nach Warschau und ließ sich seitdem nicht mehr an der Weichsel blicken.
Antideutsche Rhetorik des wichtigsten Vertreters des national-konservativen Lagers in Polen, Jaroslaw Kaczynski, brachte die Beziehungen fast zum Erliegen. Umso größer war die Freude an der Spree, als der links-liberale Tusk am 13.12.2023 die Regierungsgeschäfte übernahm.
Sehr schnell hat sich die Stimmung zwischen Warschau und Berlin grundlegend geändert. Statt bei jedem Streitfall antideutsche Stimmung anzuheizen, versucht die neue polnische Regierung, die Probleme zwischen den Ländern pragmatisch zu lösen.
Sprachfähigkeit wiederhergestellt
"Die beiden Regierungen haben die Sprachfähigkeit wiedererlangt", sagt Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Der deutsche Osteuropaexperte spricht vom "Wiederaufblühen der Kontakte". Die Regierungskonsultationen sollten "zum Höhepunkt mit hoher Symbolkraft" werden, so Lang.
Das bestätigt auch Marek Krzakala, Abgeordneter von Tusks Partei Bürgerkoalition (KO). "Die PiS hat das Verhältnis zu Deutschland zerstört. Wir aber sind zum regelmäßigen Dialog mit Berlin zurückgekehrt", sagt Krzakala, der die polnisch-deutsche Parlamentariergruppe leitet, der DW.
Gutes Konfliktmanagement
Jüngstes Beispiel für den neuen Umgang miteinander: Die Bundespolizei brachte vor ca. zwei Wochen eine Familie von Asylbewerbern aus Afghanistan ohne Rücksprache mit der polnischen Seite über die Grenze und setzte sie auf polnischem Gebiet ab. Der polnische Grenzschutz protestierte scharf. Die polnischen Medien schlugen Alarm. Doch statt aus dem Fall einen politischen Skandal zu machen, wie das in den PiS-Zeiten üblich war, klärten die zuständigen Minister schnell das Problem. "Gutes Konfliktmanagement", kommentiert Lang.
Einige Problemfälle, die seit Jahren die Beziehungen belasteten, wurden in den vergangenen Monaten schnell gelöst. Deutschunterricht für die deutsche Minderheit in Polen soll ab September 2024 wieder in vollem Ausmaß angeboten werden. Der IV. Band des deutsch-polnischen Geschichtsbuches, aus politischen Gründen jahrelang blockiert, soll bald grünes Licht erhalten. Auch das Deutsch-Polnische Jugendwerk soll mehr Geld aus dem polnischen Haushalt erhalten.
Der Realisierungsentwurf für das Deutsch-Polnische Haus in Berlin - eine Erinnerungs- und Begegnungsstätte für polnische Opfer des Zweiten Weltkriegs, wurde am Mittwoch, den 26.06.2024, von der Bundesregierung noch rechtzeitig beschlossen. Was allerdings bisher fehlt, sind spektakuläre Großprojekte.
Tusk will nicht als germanophil gelten
Agnieszka Lada-Konefal vom Deutschen Polen-Institut in Darmstadt beklagt zu geringes Engagement auf polnischer Seite. "Wegen innenpolitischer Probleme, die die polnische Regierung unter Zeitdruck lösen muss, gelten die Beziehungen zu Deutschland nicht als Priorität", sagt die Vizedirektorin der deutschen Forschungseinrichtung. Und sie verweist auf das spezielle Problem von Tusk. "Weil er von der Opposition als deutscher Agent abgestempelt wird, engagiert er sich in deutschen Themen nicht so stark, wie er sollte", erläutert die Politikwissenschaftlerin. "Auf keinen Fall will er als germanophil gelten", so Lada-Konefal.
Ein von beiden Regierungen seit Monaten vorbereiteter Aktionsplan soll Abhilfe schaffen und eine neue Perspektive der Zusammenarbeit begründen. Es soll ein "umfangreiches Paket", vielleicht sogar ein "großer Wurf" sein, sagen polnische und deutsche Diplomaten, ohne auf Einzelheiten einzugehen. Klar ist, dass die Sicherheit und die Unterstützung der Ukraine im Mittelpunkt stehen werden.
Sicherheit und Ukraine im Vordergrund
"Die Stärkung der Ostflanke der NATO hat eine Schlüsselbedeutung. Wir sollten auf diesem Gebiet aufs Engste mit den Deutschen zusammenarbeiten", meint der Abgeordnete Krzakala. Kaczynski sei im Unrecht, als er sagte, dass "erst sieben Generationen vergehen müssen, bevor deutsche Soldaten polnischen Boden betreten dürfen". Auch Lada-Konefal nennt Sicherheit und Verteidigung als ein Gebiet, wo die Kooperation schnell verstärkt werden kann.
Tusk geht in die Verhandlungen mit Deutschland ohne Minderwertigkeitskomplexe. Als Frontstaat, der von erster Stunde an die von Russland angegriffene Ukraine mit Waffen und humanitärer Hilfe unterstützt hat, hat Polen an Gewicht in der Welt gewonnen. Darüber hinaus gilt Tusk als liberaler Hoffnungsträger, der durch Mobilisierung neuer Wählerschichten die Rechtspopulisten von der Macht verdrängt hat. Deutschland dagegen ist, so wie Frankreich, wegen Erfolgen euroskeptischer Populisten geschwächt.
Polens neues Selbstbewusstsein
Deshalb schreite Tusks Regierung "mit breiter Brust" in Europa voran und fühle sich "auf dem aufsteigenden Ast", so Osteuropaexperte Lang. Er weist darauf hin, dass Tusk, um den Eindruck zu vermeiden, dass er auf Deutschland fixiert ist, eine "diversifizierte Außen- und Europapolitik" betreibe. "Tusk spielt auf verschiedenen Klaviaturen", unterstreicht der SWP-Experte und nennt die USA, Nordeuropa und das Baltikum als gleichrangige Partner.
Wer allerdings auf deutscher Seite glaubt, dass nach dem Machtwechsel in Warschau alle Probleme im Verhältnis zu Polen verschwinden, der kann schnell eines Besseren belehrt werden. "Die Deutschen haben schnell eingesehen, dass Tusk kein Weichei ist", sagt Lang.
Die Polen-Expertin Lade-Konefal stimmt zu: "Bei EU-Themen wie Migration oder Mehrheitsentscheidungen wird es sehr schwer sein, Kompromisse zu finden", sagt sie voraus. "Wir werden den kleinsten gemeinsamen Nenner suchen müssen."
Polens neue Regierung hat die von der PiS forcierten Ansprüche auf Reparationen für den Zweiten Weltkrieg zurückgezogen, die Frage der Wiedergutmachung bleibt aber auf dem Tisch. Der polnische Außenminister Sikorski appellierte im Januar 2024 an die Bundesregierung, bei der Suche nach der Lösung dieser Frage "Kreativität zu zeigen". Ob Berlin schon so weit ist, wird sich am Dienstag zeigen.