Polen und die Finanzkrise: Sturmfest?
3. Februar 2009In der zentralpolnischen Stadt Szydlowiec sitzt die Firma Aris. Arbeitsschutzkleidung wird in der kleinen, aber hellen Fabrikhalle hergestellt. In vier Reihen sitzen rund 30 Frauen an den Nähmaschinen und reihen blaue Stoffteile aneinander. Auf der rechten Seite, gebeugt über einen riesigen Tisch, schneiden fünf Frauen Schnittmuster aus und legen sie in einen großen Karton auf dem Fußboden. Daraus sollen einmal Uniformjacken werden.
Ruhe vor dem Sturm?
Andrzej Zawadzki, ein kleiner, korpulenter Mann, leitet seit gut zehn Jahren die Firma. Von der Finanzkrise hat Zawadzki bisher nichts gespürt: "Wir sind darauf vorbereitet, dass die Finanzkrise auch zu uns kommen könnte. Wir versuchen deshalb sehr intensiv unseren Kundenkreis zu vergrößern und suchen nach Kunden aus verschiedenen Branchen", so der Firmenleiter. Sollte eine Branche einbrechen, so beeinflusse das seinen Absatz dann nicht so stark.
Auch wenn sich das Unternehmen auf Krisenzeiten vorbereitet, große Sorgen macht sich Unternehmer Zawadzki noch nicht: "Momentan sehen wir, dass die Autobranche stark von der Krise betroffen ist, also suchen wir nach Kunden aus den sicheren Branchen wie z.B. der Holz- oder Baubranche, so können wir die Verluste aus der Autobranche mit den anderen ausgleichen."
Arbeitsplätze in Gefahr
Seit der Krise liefert das Unternehmen rund 80 Prozent weniger Schutzkleidung an die Automobilbranche aus. Arbeitsschutzkleidung für Automobilzulieferer gehörte zu Aris Kernkompetenzen. Wie beispielsweise der örtliche Automobilzulieferer, der nur einige Meter entfernt Stoßdämpfer produziert. Seit zwei Monaten hat er die Bestellung von Arbeitsschutzkleidung aber eingestellt.
Der 60-jährige Firmenchef Ryszard Gorlicki zündet nervös eine Zigarette an und zeigt auf die menschenleere Produktionshalle. Alle Räder stehen still - buchstäblich: "Vor der Krise lief der Betrieb in drei Schichten und in einer Abteilung sogar auch samstags und sonntags. Jetzt habe ich meine 50 Mitarbeiter alle in den Urlaub geschickt, was sollte ich denn auch anderes mit den Menschen tun?" Bisher habe er noch niemanden entlassen müssen, aber wenn sich die Lage nicht ändere, sei er bald dazu gezwungen, sagt Gorlicki schulterzuckend.
Mitgefangen, mitgehangen
Nur die Autobranche wurde in Polen direkt von der globalen Finanzkrise betroffen. Gorlicki schickte die Hälfte seiner Ware nach Deutschland. Die Nachfrage aus dem Ausland ging drastisch zurück. Wenn es Deutschland, Frankreich oder Spanien schlecht gehe, dann sei es auch um Polen schlechter bestellt, meint Wirtschaftsexperte Marek Zuber. Und dagegen könne sich Polen kaum rüsten.
"Polens Wirtschaft ist mit der europäischen und auch mit der Weltwirtschaft eng verflochten, das heißt sie kann sich globalen Entwicklungen nicht entziehen", sagt Zuber. Der Grad der Krise in Polen werde davon abhängen, inwiefern die Abnehmerländer von der Rezession betroffen würden. "Vor allem Deutschland, weil es der wichtigste Handelspartner Polens ist. 30 Prozent des Exports gehen nach Deutschland", erklärt Zuber.
Dennoch könne eine Rezession vermieden werden, meint der Experte weiter, denn die Realwirtschaft Polens werde von den Auswirkungen der Finanzkrise nur am Rande beeinträchtigt. Zwar wird es auch mit dem polnischen Wirtschaftswachstum bergab gehen, doch Experten schätzen, dass nach einem Wachstum von gut fünf Prozent im Vorjahr die Wirtschaft auch im diesem Jahr real immer noch um rund drei Prozent wachsen wird.
Polens Wirtschaft steht noch gut da
Nach Schätzungen der EU-Experten ist europaweit mit einem deutlichen Wachstums-Rückgang zu rechnen. Zuber verweist lächelnd auf Zahlen, die seitenweise seinen Schreibtisch überdecken: "Im europäischen Vergleich wird Polen 2009 das Land mit dem kräftigsten Wachstum sein. Die Arbeitslosigkeit wird steigen, das lässt sich angesichts der globalen Wirtschaftskrise nicht vermeiden. Die Löhne werden nicht so schnell steigen wie in den vergangenen Jahren. Es sind aber sicherlich keine gravierenden Folgen der Wirtschaftskrise in Polen zu erwarten."
So positiv gestimmt sind die Mitarbeiterinnen der Firma Aris jedoch nicht: "Wenn ich die Nachrichten höre, dann sieht es so aus, dass die Krise auch nach Polen übergreift. Die Autobranche ist schon stark betroffen. Bisher haben wir von der Krise nur gehört, noch nichts selbst gespürt - hoffentlich bleibt es so", meint die Mitarbeiterin voller Sorge.
Verschonen will die polnische Regierung ihre Bürger so weit wie möglich, zumindest hat sie bereits ein Antikrisenpaket geschnürt: 25 Milliarden Euro hat sie zur Rettung der von der Krise bedrohten Unternehmen bereitgestellt. Bislang wurde dieses Paket aber noch nicht angetastet.