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Politik

Polen und Litauen fordern harten EU-Kurs gegen Lukaschenko

Grzegorz Szymanowski
27. Mai 2021

Die Verhaftung von Roman Protassewitsch bestätigt Warschau und Vilnius in ihrer harten Haltung gegenüber Minsk. Auch belarussische Dissidenten im Exil fordern mehr EU-Sanktionen - und bangen um ihre Sicherheit.

Blogger Roman Protassewitsch
Der belarussische Oppositionelle und Blogger Roman Protassewitsch bei seinem "Geständnis" in MinskBild: Telegram/Social Media/dpa/picture alliance

"Wie schön, das jetzt in Vilnius zu sehen!", twitterte Roman Protassewitsch begeistert Ende März 2021. Die litauische Hauptstadt war gerade erst seit ein paar Monaten das neue Zuhause des belarussischen Oppositionellen und Bloggers. Doch das Bild, dass er mitpostete, zeigte seine eigentliche Leidenschaft: einen Zug von Menschen mit weiß-rot-weißen Flaggen, den Symbolen der Opposition in Belarus, aufgenommen im litauischen Exil.

Nachdem Protassewitsch und seine Freundin Sofia Sapega, Jura-Studentin an einer belarussischen Exil-Universität in Vilnius, am vergangenen Sonntag (23.05.2021) nicht von ihrem Griechenland-Aufenthalt zurückkehrten, schlug die Regierung des EU-Landes Litauen Alarm. Die erzwungene Landung des Ryanair-Flugzeugs in Minsk und die Verhaftung des Paares auf dem Flughafen der Hauptstadt von Belarus sei "nicht nur ein Angriff auf Litauen, sondern ein Signal für die gesamte Europäische Union", so Premierministerin Ingrida Šimonytė.

Auch Polen, wo Protassewitsch 2019 und 2020 gelebt hatte, forderte harte Sanktionen der EU gegen das Regime des belarussischen  Langzeitpräsidenten Alexander Lukaschenko. Am 24. Mai stimmten alle anderen EU-Regierungschefs zu: Die Liste der mit Sanktionen belegten Personen aus Belarus wurde erweitert, "gezielte wirtschaftliche Sanktionen" wurden angekündigt. Europäische Fluggesellschaften sollen ab jetzt Flüge über Belarus vermeiden, belarussische Flieger dürfen nicht mehr in der EU landen.

Einen harten Kurs Brüssels gegen Minsk halten viele in der Region seit langem für überfällig. "Belarus oder Russland werden nur so weit gehen, wie wir es zulassen", meint etwa Estlands Premierministerin Kaja Kallas gegenüber der DW. Man habe das Gefühl, nach dem Zwischenfall in Minsk rücke die EU zusammen. Auch die in Westeuropa verbreitete "Naivität" gegenüber Moskau lasse nach, so Kallas.

Tausende Dissidenten aus Belarus leben in Polen und Litauen

Das sehen auch die Regierungen in Warschau und Vilnius so. Beide Hauptstädte sind seit Jahren Exilorte für regimekritische Belarussen. "Die EU macht nicht genug", sagt Aleś Zarembiuk, Chef des "Belarussischen Hauses" in der polnischen Hauptstadt. Die Organisation hilft Landsleuten, die vor dem Lukaschenko-Regime fliehen. "Wir wissen, dass die EU eine komplizierte Struktur hat und alles lange dauert. Aber eigentlich hätten wir ihre Hilfe schon im vergangenen Jahr gebraucht", sagt er.

Alexander Lukaschenko, hier bei einer Rede vor dem Parlament in Minsk am 26.05.2021, beherrscht Belarus seit 1994Bild: Maxim Guchek/BELTA/AFP via Getty Images

Seit der Niederschlagung der Proteste in Belarus nach den Präsidentschaftswahlen vom August 2020 haben alleine in Polen über 4000 belarussische Regimegegner Zuflucht gesucht. Andere, wie die Minsker Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, gingen nach Litauen. Die Verhaftung von Protassewitsch zeigt nun, dass sie sich auch im Ausland nicht ganz sicher sein können. "Das beunruhigt uns sehr", sagt Zarembiuk.

"Im Kofferraum nach Minsk"

Politiker in Minsk gießen weiter Öl ins Feuer der Angst. Die Regierung von Belarus solle nun auch andere Dissidenten "auf dem Territorium anderer Staaten festnehmen und hierherbringen, zum Beispiel im Kofferraum", schrieb etwa der Abgeordnete Oleg Gajdukewitsch kurz nach Protassewitschs Verhaftung auf Facebook. "Unsere Geheimdienste arbeiten gut", fügte er jubelnd hinzu. Den Beitrag hat der Regime-Politiker inzwischen gelöscht - aber die Angst der Oppositionellen bleibt.

Oleg Gajdukewitsch (l. und auf dem Plakat) im belarussischen Wahlkampf im Mai 2020Bild: DW/A. Boguslawakaja

"Wenn ich zu Terminen gehe, sage ich immer vorher ein paar Menschen Bescheid, damit sie eine Suche starten können, falls ich mich nicht mehr melde", erzählt Olga Karatsch, die von Vilnius aus die zivilgesellschaftliche Organisation "Nasch Dom" (Unsere Heimat) führt. In Belarus ist sie seit über einem Jahr nicht mehr gewesen: "Diese Reise wäre wahrscheinlich einen Kilometer hinter der Grenze zu Ende", fürchtet Karatsch.

Redaktion unter Polizeischutz

Roman Protassewitsch zog schon 2019 von Minsk nach Warschau - aus Angst vor Repressionen gegen Journalisten in Belarus. Die polnische Hauptstadt ist ein Sammelpunkt für regierungskritische Medien aus dem nordöstlichen Nachbarland, die von dort aus über die Entwicklung in ihrer Heimat berichten. Auch Protassewitsch arbeitete dort bis zu seiner Verhaftung für den oppositionellen Telegram-Kanal "Nexta" aus Warschau.

Nexta-Gründer Stepan Putilo in Warschau im August 2020Bild: Wojtek Radwanski/AFP/Getty Images

Nexta-Gründer Stepan Putilo arbeitet seit 2015 von Warschau aus. In den vergangenen Tagen habe er hunderte Drohungen erhalten, berichtet der Oppositions-Journalist. Deren Tenor laute, "dass sie Roman schon haben, und dass nun ich dran bin, dass sie mich erschießen werden, sogar auf der Straße in Polen", so Putilo in der polnischen Tageszeitung "Gazeta Wyborcza". Die Redaktion von Nexta wird schon lange rund um die Uhr von der polnischen Polizei bewacht.

Verständnis für die Probleme der Belarussen

Doch nicht immer wird der Schutz so gewährt, wie die Aufnahmeländer stolz verkünden. Nach der Verhaftung von Protassewitsch erklärte das polnische Außenministerium zunächst, der oppositionelle Blogger habe politisches Asyl in Polen erhalten. Wie polnische Medien herausgefunden haben, war das aber nicht der Fall. Auch in Litauen, wohin Protassewitsch im September 2020 gezogen war, residierte er mit einem normalen Langzeitvisum - wie viele andere belarussische Dissidenten.

Aleś Zarembiuk ist Direktor des "Belarussischen Hauses" in der polnischen Hauptstadt WarschauBild: Galina Petrovskaja

Viele von ihnen hoffen jetzt, dass der Zwischenfall in der EU endlich mehr Aufmerksamkeit für die Lage in Belarus generiert. "Die derzeitigen Proteste laufen seit zehn Monaten, wir brauchen längst eine Strategie des Westens für ein demokratisches Belarus", sagt Aleś Zarembiuk vom "Belarussischen Haus" in Warschau. Auch seine Organisation steht unter Polizeischutz. Er begrüßt den Einsatz von Polen und Litauen: "Sie verstehen die Probleme der Belarussen", sagt er.

Hilfe für Lukaschenkos Opfer

Auf Anfrage der DW teilt das litauische Außenministerium mit, man wolle nun mit internationalen Finanzinstitutionen zusammenarbeiten, "um jegliche Interaktion mit den Regimestrukturen in Belarus zu stoppen". Konkret heißt das: keine Exportkredite, keine Garantien für Darlehen oder staatliche Projekte im Staat Lukaschenkos. Gleichzeitig müssen Opfer staatlicher Repressionen weiter Hilfe bekommen und internationale Ermittlungen zu Verbrechen des Regimes in Belarus fortgesetzt werden.

Blick in den Hafen der litauischen Stadt Klaipeda Bild: picture-alliance/L.-J. Klemmer

Litauen setzt auf internationalen Druck, weil die bilateralen Beziehungen zu Belarus nach knapp 27 Jahren unter Lukaschenkos Herrschaft nur wenig entwickelt sind. "Belarus liegt uns geographisch sehr nah - aber eben nur geographisch", erklärt Linas Kojala, Direktor des Eastern Europe Studies Centre in Vilnius. Auch die Handelsbeziehungen litten unter den ständigen politischen Spannungen: als Reaktion auf Litauens Unterstützung für die Protestbewegung habe Minsk begonnen, seine Exporte vom litauischen Hafen in Klaipeda in russische Häfen umzuleiten.

Verhärtete Fronten

Auch die polnische Minderheit in Belarus wird zum Sündenbock erklärt: Polnische Bildungseinrichtungen wurden geschlossen, fünf führende Angehörige der Minderheit inhaftiert. Ihnen drohen fünf bis zwölf Jahre Gefängnis.

Die jüngste Eskalation nach der Verhaftung von Protassewitsch und Sapega markiert für viele Beobachter eine Zäsur. "Das bedeutet Game Over", sagt Witold Jurasz über das langfristige Ziel Polens, Belarus politisch und wirtschaftlich an sich zu binden, um selbst kein Frontstaat an der Grenze des russischen Einflussbereichs zu werden.

Annährungskurs gescheitert

Der ehemalige Diplomat und heutige Publizist des Nachrichtenportals "Onet" leitete in der Vergangenheit unter anderem die polnische Botschaft in Belarus. Er meint, das Scheitern des zeitweisen Annährungskurses seines Landes an das Regime in Minsk sei zum einen dem brutalen Vorgehen Lukaschenkos geschuldet; zum anderen aber habe Warschau bereits in den Jahren zuvor zu wenig enge Kontakte zur politischen und wirtschaftlichen Elite des Regimes in Belarus gepflegt, um dort wirklich etwas beeinflussen zu können.

Die wirtschaftliche Isolation des belarussischen Regimes könne laut Jurasz langfristig Russland stärken - denn irgendwann sei Minsk zum Verkauf von staatlichem Eigentum gezwungen. "Der Käufer wird Russland heißen, nicht Siemens". So sei zwar eines Tages ein Belarus ohne Lukaschenko vorstellbar - das aber noch stärker von Russland kontrolliert werde als heute. Was die Bedrohung für Polen und die baltischen Staaten weiter steigern würde.

Die meisten belarussischen Dissidenten in Polen und Litauen sind trotzdem für die Unterstützung dankbar, die sie in den EU-Ländern erhalten. Aleś Zarembiuk betont: "Obwohl die polnische Gesellschaft in vielen Fragen gespalten ist - sie spricht immer mit einer Stimme, wenn es darum geht, den Belarussen zu helfen".