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Politik

Polen will im EU-Rat nicht nachgeben

18. September 2018

Die Staaten der EU müssen gegen zwei ihrer Mitglieder ermitteln. Eine heikle und unangenehme Aufgabe, an deren Ende die Frage steht: Sind Polen und Ungarn noch rechtsstaatlich genug für die EU? Aus Brüssel Bernd Riegert.

Symbolbild Justitia Justizia
Bild: Imago

Zum zweiten Mal innerhalb von drei Monaten musste der polnische Europaminister Konrad Szymanski die teils bohrenden Fragen seiner Ministerkollegen in Brüssel zur Justizreform in Polen beantworten. Die EU-Kommission sieht in Polen die Unabhängigkeit der Justiz und damit die Rechtsstaatlichkeit in ernster und systematischer Gefahr. Im letzten Dezember hat sie deshalb ein Sanktionsverfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages eingeleitet. Über Verfahrensschritte und mögliche Strafen entscheiden die übrigen 27 EU-Mitgliedsstaaten im Ministerrat. Polens Europaminister verteidigte noch einmal die Besetzung von Richterposten durch eher regierungsnahe Kandidaten. Es sei das Recht jedes EU-Landes, sein Justizwesen nach eigenen Vorstellungen und Traditionen zu bestimmen. "Wir verteidigen hier, was das polnische Parlament beschlossen hat", sagte Szymanski vor den Beratungen.

Unbeugsam: Richterin Gersdorf will ihren Posten nicht räumenBild: Imago/Zuma Press

Besonders umstritten ist zurzeit die Zwangspensionierung von Richterinnen und Richtern am Obersten Gerichtshof in Warschau. Per Gesetz hatte die nationalistische Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) das Pensionsalter von 70 auf 65 Jahre gesenkt. Mit einem Schlag sollten so etliche Richterposten frei werden, die die Regierung mit konformen Richtern nachbesetzen will. Allerdings weigert sich die bisherige Präsidentin des Gerichts, Malgorzata Gersdorf, ihren Richterstuhl zu räumen. Sie hat in einem außergewöhnlichen Schritt den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg um Hilfe gebeten.

Deutschland und Frankreich sehen keine Fortschritte Polens

Deutschland und Frankreich haben nach der Anhörung Polens im Ministerrat eine gemeinsame Erklärung abgegeben, in der sie die polnische Regierung wegen der Richterpensionierungen kritisieren. "Der Dialog hat bisher nicht zu substantiellen Fortschritten geführt; die Bedenken wegen der polnischen Justizreform bestehen fort", sagte der deutsche Staatsminister Michael Roth heute in der Sitzung. Deutschland und Frankreich forderten die polnische Seite auf, mit der Neubesetzung von Richterposten so lange zu warten, bis der EuGh über anhängige Verfahren zur polnischen Justizreform entschieden hat. Das dürfte in drei bis fünf Monaten der Fall sein. Staatsminister Roth tritt dafür ein, der polnischen Regierung sehr scharf auf die Finger zu sehen und das Artikel-7-Verfahren, das noch nie zuvor angewendet wurde, nicht schleifen zu lassen: "Es darf keinen Zweifel daran geben, dass die EU das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit uneingeschränkt ernst nimmt, achtet, verteidigt und schützt. Das ist nicht nur eine Aufgabe für die EU-Kommission, sondern auch für die Mitgliedsstaaten."

Enttäuscht von Warschau: Staatsminister Roth kritisiert die polnische RegierungBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Der Zeitpunkt für eine Verschärfung des Verfahrens ist aber nach Meinung der meisten EU-Staaten noch nicht gekommen. Für den nächsten Schritt, die Feststellung, dass der Rechtsstaat in Polen in Gefahr ist, wäre eine Mehrheit von vier Fünfteln der 27 stimmberechtigten Mitgliedsstaaten notwendig - das wären 22 EU-Mitglieder. Diese Mehrheit würde er im Moment noch nicht sehen, meinte ein EU-Diplomat am Rande der Beratungen in Brüssel. Erst in einem weiteren Schritt würde dann die tatsächliche Aushöhlung des Rechtsstaates von den Mitgliedsstaaten festgestellt, und zwar einstimmig. Ungarn hat aber mehrfach erklärt, dass es nicht gegen die Brüder im Geiste in Polen stimmen würde. Als dritter und letzter Schritt würden dann Sanktionen, wie Geldstrafen oder der Entzug der Stimmrechte Polens, festgelegt. Dafür reichte die sogenannte qualifizierte Mehrheit der Mitgliedsstaaten.

Verfahren sind langwierig

In allen Phasen des Verfahrens würden Polen immer wieder Fristen zur Nachbesserung und zum Einlenken eingeräumt. Bis das Ende des Artikel 7-Verfahrens erreicht wird, können noch viele Monate, wenn nicht Jahre vergehen. Bis dahin wären sämtliche Richterposten wohl nach dem Gutdünken der regierenden PiS vergeben, fürchten EU-Diplomaten. Das Gremium, das für die Richterernennung in großen Teilen der polnischen Justiz zuständig ist, wurde von der Regierung ebenfalls auf Linie gebracht. Der europäische Verband der Richterkollegien reagiert jetzt darauf mit dem Rauswurf des polnischen Richterrates. Zur Begründung hieß es, die polnische Richterernennung erfolge nicht mehr unabhängig von der Politik. Die Gewaltenteilung sei nicht mehr gewährleistet.

Die EU-Kommission wird den Druck auf Polen erhöhen. Parallel zum Artikel 7-Sanktionsverfahren des Ministerrates hat die Kommission ein "Vertragsverletzungsverfahren" angestrengt. Da Polen sich weigert, auf die Bedenken der EU-Kommission wegen der Richterpensionierung einzugehen, wird EU-Kommissar Frans Timmermans am Mittwoch voraussichtlich eine weitere Klage gegen die polnische Regierung vor dem EuGh in Luxemburg einreichen. Der Gerichtshof kann Polen zu empfindlichen Geldstrafen verurteilen.

Ungarn und Polen schützen sich gegenseitig

Auf Vorschlag des Europäischen Parlaments müssen sich die Mitgliedsstaaten der EU demnächst auch mit dem bedrohten Rechtsstaat in Ungarn beschäftigen. Das Parlament hatte vergangene Woche die Einschränkung der Medienfreiheit, die Gängelung von Wissenschaftlern und die Einschränkung von demokratischen Grundrechten in Ungarn scharf verurteilt. Ungarn ist damit das zweite Land der EU, gegen das ein Artikel 7-Verfahren eröffnet wird. "Es ist sehr bedauerlich, dass wir uns nun auch noch mit der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn werden beschäftigen müssen. Ich bin sehr besorgt über den Umgang mit der Zivilgesellschaft und den Medien in Ungarn", sagte der deutsche Staatsminister Martin Roth am Dienstag in Brüssel. 

Ungarns Premier Orban macht der EU schwere VorwürfeBild: picture-alliance/AP Photo/J.-F. Badias

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hatte die Vorwürfe bei seinem Auftritt im Europäischen Parlament pauschal als "Lügen und Erfindungen" bezeichnet. Die Regierung in Budapest will gegen das Votum des Parlaments zur Eröffnung des Artikel 7-Verfahrens vor dem EuGh in Luxemburg klagen, weil die Stimmen falsch gezählt worden seien. Die notwendige 2/3-Mehrheit sei nicht erreicht worden. Die Klage habe wenig Aussicht auf Erfolg, meinen hingegen Rechtsexperten des Europäischen Parlaments. Ungarn muss am Ende eines langen Verfahrens ebenfalls eine Verurteilung durch die übrigen EU-Mitglieder nicht fürchten. Polen hat den ungarischen Rechtspopulisten bereits zugesichert, im Artikel 7-Verfahren ein Veto zugunsten Ungarns einzulegen. Die beiden "angeklagten" Staaten schützen sich also gegenseitig.

Das Tauziehen um die Rechtsstaatlichkeit in Polen und Ungarn werde wohl vor den Europawahlen im Mai 2019 kein Ende finden, fürchten EU-Diplomaten in Brüssel. "Vor den Wahlen zum Europäischen Parlament will keine Seite nachgeben."

Europarat kritisiert Ungarns Grenzregime

Gegen Ungarn hat die Europäische Kommission auch eine Klage wegen seiner Asylgesetzgebung und der mutmaßlich schlechten Behandlung von Asylbewerbern in den Transitzonen an der Grenze eingereicht. Der Europarat, ein Zusammenschluss von europäischen Staaten zur Überwachung der Menschenrechte, legt noch eine Schippe drauf. Ein Ausschuss des Europarates, der kein Organ der Europäischen Union ist, wirft ungarischen Grenzschützern vor, Asylbewerber und Flüchtlinge zu misshandeln, zu schlagen und ohne rechtmäßige Verfahren gewaltsam nach Serbien abzuschieben. Der Bericht des "Anti-Folter-Komitees" des Europarates wurde heute in Straßburg veröffentlicht und bezieht sich auf Vorfälle aus dem Oktober 2017.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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