1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Polen und Ungarn fallen bei Rechtsstaatlichkeit durch

13. Juli 2022

Justiz, Medien, Korruption: Der Rechtsstaat in Ländern wie Ungarn und Polen ist nach einer Analyse der EU-Kommission akut in Gefahr. Und es gibt noch andere Sorgenkinder.

Justitia vor einer EU-Flagge
Justitia vor einer EU-Flagge (Symbolbild) Bild: Klaus Steinkamp/McPhoto/imago stock&people

Trotz des jahrelangen Drucks auf Polen und Ungarn attestiert die EU-Kommission beiden Ländern weiter gravierende Defizite bei Demokratie und Grundrechten. Die Kommission prangert in ihrem Rechtsstaatlichkeits-Bericht abermals eine mangelnde Unabhängigkeit der Justiz in Polen an und rügt "hochrangige Korruptionsfälle" in Ungarn. Deutschland wird aufgerufen, stärker gegen die Einflussnahme von Lobbyisten auf die Politik vorzugehen.

Die für Werte zuständige EU-Vizekommissionspräsidentin Vera Jourova betonte, der dritte Jahresbericht zur Rechtsstaatlichkeit in den 27 Mitgliedstaaten stehe in einem "außerordentlichen geopolitischen Kontext". Während der russische Präsident Wladimir Putin in der Ukraine auch gegen Demokratie und Menschenrechte zu Felde ziehe, könne die EU "nur dann glaubwürdig sein, wenn in unserem eigenen Haus Ordnung herrscht".

EU-Kommissarin Vera Jourova: Die EU muss ihr Haus in Ordnung haltenBild: Dursun Aydemir/AA/picture alliance

Vor allem in Polen und Ungarn sieht die Kommission die EU-Vorgaben nicht erfüllt: In Polen bemängelt die Kommission seit Jahren die Einflussnahme der nationalkonservativen Regierungspartei PiS auf die Justiz. Zugeständnisse machte Warschau erst, nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) im November eine tägliche Millionenstrafe verhängt hatte, die sich nach Brüsseler Angaben inzwischen auf 300 Millionen Euro summiert.

Am Freitag tritt in Polen ein Gesetz zur Abschaffung der umstrittenen Disziplinarkammer in Kraft, die missliebige Richter entlassen oder bestrafen kann. Dies reicht der EU-Kommission zufolge jedoch nicht aus, um die Gewaltenteilung zu garantieren. Auch sieht die Kommission deutliche Unzulänglichkeiten im Kampf gegen Korruption, eine Gefahr für die Medienvielfalt und die Unabhängigkeit öffentlich-rechtlicher Medien.

Der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro wies die Kritik zurück. In dem EU-Bericht gehe es "nicht um die Justiz, sondern um den Sturz der PiS-Regierung", die in Polen ein demokratisches Mandat habe. Die EU versuche, Polen zu erpressen.

Missbrauch von EU-Geldern?

Ungarn wiederum wird des Missbrauchs von EU-Geldern verdächtigt. Die EU-Kommission hatte deshalb im April kurz nach der Wiederwahl von Regierungschef Viktor Orban ein Sanktionsverfahren eingeleitet, das zur Kürzung von EU-Subventionen führen kann. Außerdem gibt es Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz. Weiter heißt es, Unzulänglichkeiten bestünden nach wie vor mit Blick auf Lobbyismus, den Wechsel von Politikern in die Wirtschaft sowie die Parteien- und Wahlkampffinanzierung. Zudem wirft die EU-Kommission der Orban-Regierung vor, von ihren Befugnissen während des Corona-Notstands "ausgiebig Gebrauch" gemacht zu haben - auch in Bereichen, die nicht in Zusammenhang mit der Pandemie stehen.

Viktor Orban beim EU-Gipfel Ende Mai in Brüssel Bild: KENZO TRIBOUILLARD/AFP/Getty Images

Orbans Kabinettschef Gergely Gulyas kritisierte, der Bericht sei "ein sehr interessantes neues Kapitel in der Diffamierungskampagne" Brüssels.

Aber es gibt auch andere Länder mit erheblichem Verbesserungsbedarf. So sei etwa die wahrgenommene Unabhängigkeit der Justiz in Kroatien und der Slowakei sehr niedrig, hält der Bericht fest. In Bulgarien seien Lobbying und der Schutz von Whistleblowern bislang nicht angemessen geregelt, und in Österreich gebe es Probleme mit Blick auf eine mögliche politische Einflussnahme bei der Besetzung von Management- und Vorstandsposten öffentlich-rechtlicher Medien. Auch bei Rumänien meldet die EU-Kommission hinsichtlich des Justizsystems Bedenken an.

Bundesregierung soll Vorschriften gegen "Drehtür-Effekt" verschärfen

Von Deutschland verlangte sie, stärker gegen die Einflussnahme von Lobbyisten auf die Politik vorzugehen. Die Bundesregierung müsse etwa die Vorschriften gegen den sogenannten Drehtür-Effekt verschärfen, heißt es in dem Bericht. Damit ist der Wechsel früherer Politiker oder Staatsbediensteter in die Wirtschaft gemeint.

Wegen der mangelnden Fortschritte steht die Kommission als Hüterin der Europäischen Verträge aber auch selbst in der Kritik. "Bei der PiS-Regierung in Polen und Viktor Orban in Ungarn lässt die EU-Kommission eine deutliche Sprache vermissen", kritisierte die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katharina Barley (SPD).

EU-Justizkommissar Didier Reynders wies den Vorwurf zurück. Seine Behörde werde "weiter alle zur Verfügung stehenden Instrumente" gegen die beiden Länder nutzen, betonte er. Vizekommissionspräsidentin Jourova sagte, vor allem bei der Vergabe der milliardenschweren EU-Haushaltsmittel sei die Behörde "wachsam".

se/ie (afp, dpa)