1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Polens Regierung verstärkt Schulüberwachung

17. Januar 2022

Die Unterwerfung der Justiz und der Medien ist in Polen in vollem Gange. Jetzt kommen die Schulen an die Reihe. Eine stärkere Kontrolle des Staates soll die Verbreitung konservativer Werte garantieren.

Protest gegen Strafen für Sexualkunde-Unterricht in Polen
Im Oktober 2019 protestierten Menschen in Polen gegen eine Inkriminierung des SexualkundeunterrichtsBild: picture-alliance/dpa/C. Sokolowski

Seit sechs Jahren treibt die polnische Rechte unter Führung der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) den zentralistischen Umbau von Staat und Gesellschaft in Polen voran. Bisher waren vor allem Justiz und Medien betroffen. Doch nun ist auch das Schulwesen verstärkt an der Reihe.

Bislang genossen Schulen, die den Gemeinden und anderen Selbstverwaltungsorganen unterstellt waren, einen relativ großen Spielraum bei der Personalpolitik und der Programmgestaltung. Jaroslaw Kaczynski und seiner PiS-Partei war dieser Zustand seit langem ein Dorn im Auge. Nun soll mit zu viel Autonomie im Bildungswesen Schluss sein.

Parlament ändert Bildungsgesetz

Das Parlament in Warschau verabschiedete am vergangenen Donnerstag (13.01.2022) eine Gesetzesnovelle, die die Kompetenzen der zentralen staatlichen Schulaufsichtsbehörde auf Kosten der lokalen Selbstverwaltung stärkt. Schulleitern, die Anweisungen aus der Zentrale nicht umsetzen, droht nach nur einer einzigen Abmahnung die sofortige Entlassung. Erweitert wurden auch die Kontrollmöglichkeiten des Bildungsministeriums über private Schulen und andere Bildungseinrichtungen.

Polens Bildungsminister Przemyslaw CzarnekBild: Mateusz Marek/picture-alliance

Besonders umstritten ist in der "Lex Czarnek”, wie das Gesetz nach dem Bildungsminister Przemyslaw Czarnek genannt wird, das neue Verfahren bei Unterrichtsangeboten von Nichtregierungsorganisationen. Um die Genehmigung für eine Veranstaltung auf dem Schulgelände zu bekommen, muss eine NGO spätestens zwei Monate vor dem Termin ein detailliertes Konzept beim Schulleiter vorlegen. Das letzte Wort hat auch hier die Aufsichtsbehörde. Außerdem reicht der Widerspruch eines einzigen Schülers, um die geplante Veranstaltung zu verhindern.

Wird Sexualkunde aus Schulen verbannt?

Kritiker des Gesetzes fürchten, dass nach seinem Inkrafttreten keine Veranstaltungen mehr zu Themen stattfinden können, die von Polens Machthabern als kontrovers gesehen werden, etwa zu Sexualkunde oder zu Aufklärung über LGBTQ. Konflikte zwischen einzelnen Schulen und der Aufsichtsbehörde gab es schon früher. In Krakau etwa riet die Regierungsvertreterin der Behörde, Barbara Nowak, im November vergangenen Jahres Lehrern davon ab, mit ihren Schulklassen eine regierungskritische Theateraufführung zu besuchen. Damals blieb ihre Empfehlung folgenlos. 

Streik polnischer Lehrerinnen und Lehrer in Warschau im April 2019 gegen das Bildungssystem und für höhere LöhneBild: picture alliance/NurPhoto/M. Luczniewski

"Dieses Gesetz führt die direkte Steuerung der Schulen durch Politiker ein und schafft das Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder ab", sagte die Abgeordnete der liberalkonservativen Bürgerkoalition (KO) Krystyna Szumilas während der Aussprache über das Gesetz am vergangenen Mittwoch (12.01.2022) im Parlament. Die ehemalige Bildungsministerin warnte vor der Gefahr, dass die Kinder zu "versklavten, untergeordneten und für die Propaganda der Regierungspartei anfälligen" Menschen erzogen würden.

Minister will über Moral wachen

"Sie haben die Schulen politisiert, wir wollen sie entpolitisieren", sagte hingegen Bildungsminister Czarnek an die Adresse der Opposition. Die Schüler bräuchten nach seiner Ansicht einen starken Staat. Die pädagogische Aufsichtsbehörde solle aufpassen, dass die Unterrichtsinhalte in allen Schulen "gleich und nicht demoralisierend" seien.

Das Thema "Lex Czarnek" dominierte auch alle Talkshows am Wochenende. "Als Vater kann ich mir nicht vorstellen, dass meine Kinder an einem Unterricht teilnehmen, in dem sie ohne Berücksichtigung ihrer Entwicklungsstufe sexuell aufgeklärt werden", sagte Vize-Bildungsminister Tomasz Rzymkowski im Fernsehsender TVN am Sonntag.

Hoffnung auf sein Veto: Polens Staatspräsident Andrzej DudaBild: picture-alliance/D. Karvountzis

"Ich hoffe, dass Staatspräsident Andrzej Duda zur Vernunft kommt und sein Veto einlegt", sagte ihrerseits Joanna Scheuring-Wielgus von der Partei Lewica (Linke) im Radiosender ZET am Sonntag. In der Tat ist Duda die letzte Hoffnung der Opposition auf eine Blockade des Gesetzes.

Schüler zu Patrioten erziehen, die später PiS wählen

Die "Lex Czarnek" ist nicht das einzige Vorhaben der polnischen Rechten, um die Lehrpläne mit ihrer Geschichtspolitik und ihrem Verständnis von Patriotismus in Einklang zu bringen. Mit dem Beginn des neuen Schuljahres im September soll das neue Fach "Geschichte und Gegenwart" den bisherigen Unterricht über Gesellschaft und Staat ersetzen.

"Wir sind bereit, Generationen junger, historisch ahnungsloser Polen zurückzugewinnen", hatte Bildungsminister Czarnek bereits vergangenen Oktober erklärt. Noch offener artikulierte der Vize-Parlamentschef Ryszard Terlecki die Erwartungen seiner Partei an Schulprogramme. Die Schulbildung solle junge Polen zu Patrioten machen, sagte der PiS-Politiker am Rande einer Parlamentssitzung am 3. Januar zu Journalisten. Und wenn sie Patrioten seien, würden sie PiS wählen.

Kritik von Historikern

Ende Dezember wurden die Programmrichtlinien für das neue Fach veröffentlicht. Eine Stellungnahme der Historiker-Kommission der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN) dazu vom 5. Januar fällt äußerst kritisch aus: In ihr ist von "einseitiger Interpretation" historischer Ereignisse und Personen die Rede, wodurch die Gefahr einer "Ideologisierung oder sogar Indoktrinierung" des Unterrichts entstehe.

Deutsch-polnisches Geschichtsbuch "Europa - Unsere Geschichte": In Deutschland zugelassen, in Polen noch nichtBild: Wydawnictwa Szkolne i Pedagogiczne

Noch radikaler zerriss die Inhalte des neuen Schulfachs der Historiker Piotr Podemski von der Warschauer Universität. In der Wochenendausgabe der linksliberalen Gazeta Wyborcza betonte der Wissenschaftler, dass die Autoren der Richtlinien - besonders bei der Darstellung der Zeit nach der Aufklärung - die "ideologischen Bremsen" ausgeschaltet hätten. Im Programm seien "alle polnischen Minderwertigkeitskomplexe gegenüber den Deutschen, dem Westen und seiner Eliten" zum Vorschein gekommen.

"Der Unterricht soll zu der Überzeugung führen, dass Deutsche und Russen genetisch böse, Franzosen und Briten unmoralisch und ängstlich sind, während Polen mit dem Gen des Edelmuts und Heldentums ausgestattet sind", schreibt Podemski.

In diesem Licht scheint es dann auch kaum noch verwunderlich, dass das deutsch-polnische Geschichtsbuch "Europa - Unsere Geschichte", eine hochgeschätzte Gemeinschaftsleistung, in Polen seit mehr als einem Jahr auf die Zulassung durch das Bildungsministerium wartet.

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.