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Politik

685 Milliarden Euro zur Wiedergutmachung

7. März 2018

Polnische Reparationsforderungen belasten seit vergangenem Sommer das deutsch-polnische Verhältnis. Nun wurde erstmals eine konkrete Zahl genannt. Die Bundesregierung hält das Problem dagegen für endgültig geregelt.

Wehrmachtssoldaten an polnischer Grenze am 1. September 1939
Wehrmachtssoldaten an polnischer Grenze: Deutscher Überfall am 1. September 1939Bild: AP

Fast 73 Jahre ist der Zweite Weltkrieg zu Ende - doch es gibt weiter Streit um die Wiedergutmachung für die deutschen Kriegsverbrechen in Polen. Der Abgeordnete der polnischen Regierungspartei Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), Arkadiusz Mularczyk, bezifferte jetzt den Wert der durch die Deutschen verursachten Zerstörungen und Verluste mit 850 Milliarden Dollar (umgerechnet 685 Milliarden Euro).

Nach Angaben des nationalkonservativen Politikers basiert diese neue Schätzungen auf Berechnungen des polnischen Amtes für Kriegsschäden von 1947, die jetzt aktualisiert wurden. "Wir reden von sehr großen aber begründeten Entschädigungssummen für Kriegsverbrechen, für zerstörte Städte und Dörfer und das verlorene demografische Potenzial unseres Landes", sagte Mularczyk dem Sender PolsatNews.    

Entschädigung für "gigantische Verluste"

Der PiS-Abgeordnete leitet seit September eine Parlamentariergruppe im Sejm, deren Aufgabe darin besteht, die polnischen Kriegsverluste neu zu bilanzieren, um Politikern Argumente für eventuelle Verhandlungen zu liefern. 1989 - nach dem Ende des Kalten Krieges - hatten Polen und Deutschland einen Prozess der Versöhnung und Verständigung eingeleitet. Politiker beider Länder waren bemüht, die aktuelle Politik von der Vergangenheit zu trennen, ohne die deutschen NS-Verbrechen zu vergessen.

Willy-Brandt-Ehrenmahl im Gebiet des ehemaligen Warschauer Ghettos: Symbol der deutsch-polnischer VersöhnungBild: picture alliance/dpa/U. Baumgarten

Umgerechnet etwa 1,6 Milliarden Euro hat Deutschland aufgrund verschiedener Abkommen seit dem Zweiten Weltkrieg als Entschädigung an Polen gezahlt. Forderungen nach weiteren Reparationen gab es erstmals im Jahr 2005 - nach der Machtübernahme durch die PiS-Partei. Sie blieben allerdings ohne Folgen, weil das nationalkonservative Lager bald die Macht wieder abgeben musste. Im Sommer 2017 brachte PiS-Chef Jarosław Kaczyński das heikle Thema wieder auf die Tagesordnung. Er sprach von "gigantischen Verlusten" und kündigte eine "historische Gegenoffensive" an. "Polen hat nie auf die Entschädigungen verzichtet. Diejenigen, die so denken, liegen falsch", betonte Kaczyński.

Deutschland winkt ab

Die deutsche Regierung reagierte abweisend. Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer sagte, Deutschland stehe politisch, moralisch und finanziell zu seiner historischen Verantwortung, aber die Frage der Reparationen sei rechtlich und politisch bereits abschließend geregelt. Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages stützte die Position der Regierung in Berlin. Alle Ansprüche wegen deutscher Verbrechen im Zweiten Weltkrieg hätten spätestens mit dem Abschluss des Zwei-plus-vier-Vertrags 1990 ihre Gültigkeit verloren, heißt es in dem Gutachten. Der Vertrag gelte als "Schlussstrich unter die Reparationsfrage". Darüber hinaus habe die polnische Regierung im August 1953 offiziell auf weitere Reparationszahlungen verzichtet.

Die polnische Seite ließ sich durch deutsche Argumente nicht beeindrucken. Gutachter des polnischen Parlaments kamen zu dem Schluss, dass die Ansprüche sowohl politisch, als auch rechtlich offen seien. Experten stellen dabei die Legalität der polnischen Regierung, die 1953 auf die Ansprüche verzichtet hat, infrage. Polen habe damals zur sowjetischen Einflusszone gehört und hätte auf Anordnung aus Moskau gehandelt, ohne Rücksicht auf seine Interessen, hieß es.

Erinnerung als Retourkutsche

"Die Polen haben bisher nur ein Prozent dessen an Kompensation erhalten, was die Bürger in den westlichen Ländern oder in Israel erhalten haben", sagte der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". "Dabei waren unsere Verluste im Verhältnis zur Bevölkerungszahl die höchsten der Welt." Der neue polnische Außenminister Jacek Czaputowicz versuchte Mitte Januar bei seiner Antrittsvisite in Berlin, die Wogen zu glätten. "Wir möchten, dass diese Debatte geführt wird", erklärte er. Sie solle aber nicht das Verhältnis beider Regierungen belasten, versicherte der polnische Chefdiplomat. In der Tat hat Polens Regierung offiziell bisher keine Ansprüche gegenüber Berlin angemeldet.

Die enormen Kriegsverluste, die Polen im von Deutschen verschuldeten Krieg erlitten hat, sind eine historische Tatsache. Von den rund 35 Millionen Bürgern des Landes kamen während der deutschen Besatzung sechs Millionen ums Leben. Die Hauptstadt Warschau wurde weitgehend dem Erdboden gleichgemacht, das ganze Land zu großem Teil ausgeplündert und zerstört.

PiS-Chef Kaczyński: "Polen hat nie auf die Entschädigungen verzichtet"Bild: imago/Eastnews

Deutsche Experten und Publizisten vermuten allerdings, dass die erneute PiS-Reparationsforderung innenpolitische Gründe hat: "Eigentlich aber geht es gar nicht um die unbestrittenen Verbrechen der Wehrmacht und der SS in Polen während der Besatzung 1939 bis 1945, schreibt der Journalist Sven Felix Kellerhoff in der Tageszeitung "Die Welt". "Vielmehr geht es um das Schüren antideutscher Emotionen - deshalb auch die gigantische Zahl". Und sein Kollege Michael Thumann von der Wochenzeitung "Die Zeit" meint: "Heute benutzen Arkadiusz Mularczyk und die PiS die Erinnerung als Retourkutsche, wenn Brüssel und Berlin die Partei für den autoritären Staatsumbau kritisieren."

Auf die Frage, warum er keine Reparationen von Russland verlangt, antwortete der Sejm-Abgeordnete Arkadiusz Mularczyk mit entwaffnender Ehrlichkeit: Leistungen von Deutschland seien "realistischer". "Russland ist ein Land, das das Völkerrecht nicht einhält, das dieses Recht bricht", schildert der PiS-Politiker die Lage. Mularczyk will demnächst nach Berlin reisen, um im Bundestag die deutschen Abgeordneten an Deutschlands Schuld zu erinnern.

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.
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