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Politik

Polen will ein anderes Europa

Barbara Wesel
4. Juli 2018

Polens Premier Morawiecki wirbt im EU-Parlament für die EU als Wirtschafts- und Verteidigungsbündnis unabhängiger Nationen ohne gemeinsame Regeln. Kritik an seiner Justizreform weist er zurück. Aus Brüssel Barbara Wesel.

Frankreich | Polens Prime Minister Morawiecki im Europaparlament in Strasbourg
Bild: Reuters/V. Kessler

Es ist Zufall, dass Mateusz Morawiecki ausgerechnet in dieser Woche an der Reihe ist, im Europaparlament seine Vision für Europa vorzutragen, gerade zwei Tage nachdem die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen seine Regierung eröffnet hat. Während in Polen Richter gegen ihre Zwangspensionierung protestieren, verteidigt der Regierungschef die seit Langem umstrittene Justizreform: "Jedes Land hat das Recht, sein eigenes Rechtssystem mit Hinblick auf seine eigenen Traditionen einzurichten." Was er in Straßburg entwirft, ist die Vision eines illiberalen Europas ohne demokratische Zwänge, eines Bündnisses total unabhängiger Nationalstaaten ohne politische Verpflichtungen für die Gemeinschaft.

EU als loses Bündnis von Nationalstaaten

"Europa muss die Beziehung zwischen Mitgliedsländern und den EU-Institutionen neu ausbalancieren", fordert Morawiecki. Und er nutzt dafür den Begriff der Freiheit der Bürger, der allerdings beim polnischen Premier nur von unabhängigen Nationalstaaten ausgeübt werden soll. Nationale Identitäten müssten mehr respektiert werden, und die Zukunft der EU sei nicht vorherbestimmt: "Es ist nicht unausweichlich, dass weitere Macht von den Mitgliedsstaaten auf die EU-Ebene übergeht", sagt Polens Premier. Weitere Integration sei nie ein Selbstzweck gewesen.

Nationale Interessen werden höher gehängt als das EU-Gemeinschaftswohl - so stellt sich Polens Premier Morawiecki die Zukunft Europas vorBild: Getty Images/AFP/P. Hertzog

Andererseits aber will der polnische Premier die Wohltaten der EU unbedingt erhalten: Man müsse die Ungleichheit bekämpfen, und darum gebe es in den Haushaltsverhandlungen jetzt große Kämpfe. Aber die Kohäsionsfonds müssten unbedingt erhalten werden, weil sie helfen könnten, Trennungen in der EU zu überwinden. Morawiecki kämpft hier um den künftigen Anteil seines Landes an EU-Hilfen. Bisher war Polen größter Netto-Empfänger, ist aber im nächsten Budget von Kürzungen bedroht: Polens Wirtschaftsleistung ist zuletzt gestiegen, zudem berät die EU über mögliche Einschnitte wegen der polnischen Weigerung, an einer EU-weiten Verteilung der Flüchtlinge mitzuarbeiten.

Die Umverteilung der Mittel also will der polnische Premier unbedingt erhalten und darüber hinaus die EU als Verteidigungsbündnis ausbauen, um der Aggression Russlands entgegenzutreten. Außerdem will Morawiecki die NATO stärken; er sieht Polen als Bollwerk gegen einen neuen Anti-Amerikanismus und will weiter gute Beziehungen zu den USA pflegen.

Polen verbittet sich Kritik

"Es ist nicht gut, wenn stolze Nationen von anderen belehrt werden": Mit diesem Kernsatz verbittet sich der Regierungschef Kritik der EU-Kommission an der Justizreform und an anderen von der PiS-Partei eingeführten Neuregelungen in Polen. So etwas schaffe nur Polarisierung, und die "stolze polnische Nation" lehne diese Art von Einmischung ab.

Auch in Polen selbst ist die Justizreform der Regierung höchst umstrittenBild: Getty Images/AFP/J. Skarzynski

Die EU hat inzwischen in schier endlosen Gesprächsrunden auf den Erhalt der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit der Justiz in Polen gedrungen, weil alle Mitgliedsländer die demokratischen Grundrechte achten müssten. Das führte allerdings nicht zu einem Umdenken in Warschau, so dass zum ersten Mal in der Geschichte ein Artikel 7 Verfahren wegen anhaltender und schwerer Vertragsverletzung eingeleitet wurde. Am Ende könnte dies sogar zu einem Entzug des Stimmrechts für Polen führen.

Aber Mateusz Morawiecki weist alle Vorwürfe aus Brüssel zurück und bestreitet rundweg ihren Wahrheitsgehalt: Die Medien in Polen seien völlig frei und die Justiz werde nach der Reform unabhängiger sein denn je. Im alten System hätte es zu viele Postkommunisten gegeben: "Osteuropa wird manchmal in einem falschen Licht gesehen", beklagt der Premier.

"Wir brauchen kein neues Europa"

Manfred Weber, Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament, attackiert Morawiecki auf ganzer Linie für das Verhalten seiner Regierung: "Es gibt so viele Fragen: Warum ist das staatliche Fernsehen ein Propagandainstrument und kein freies Medium mehr? Warum werden friedliche Demonstranten verhaftet, während die Gewalt von Rechtsextremen nicht geahndet wird?", so Weber. "Es gibt keine Freiheit ohne Rechtsstaatlichkeit", betont er. Und er stellt infrage, ob es richtig sei, für Polen nur die Souveränität der Staaten zu beschwören und ein Anti-EU Klima im Land zu schaffen. 

Weber beschwört schließlich: "Wir brauchen kein anderes Europa, es gibt bereits eine EU." Ein Europa des Nationalismus und des Egoismus aber könne nicht funktionieren und für das Wohl der Bürger arbeiten. Der EVP-Vorsitzende beklagt auch die von der PiS-Regierung geschürte anti-deutsche Stimmung, die die Verständigung erschwere. Das Problem bei diesem leidenschaftlichen Appell für ein demokratisches Europa ist nur, dass es glaubwürdiger wäre, wenn die Christdemokraten auch den Ungarn Viktor Orbàn kritisieren würden. Er aber gehört zu ihrer Parteiengruppe und wird deshalb verschont, obwohl die Abschaffung der Medienfreiheit und die Gleichschaltung der Justiz in Ungarn ein mindestens ebenso großes Problem und das Land auf dem Weg zur Autokratie weit fortgeschritten ist.

"Die EU ist eine Gemeinschaft der Werte" - Europas Chefliberaler Guy Verhofstadt sparte nicht mit Kritik an Morawieckis EuropaplänenBild: FREDERICK FLORIN/AFP/Getty Images

Auch von den Sozialdemokraten und vor allem vom wortgewaltigen Chef der Liberalen kommt scharfe Kritik an den Aktionen der Regierung in Warschau: "Die EU ist eine Gemeinschaft der Werte. Richter unter (politische) Kontrolle zu stellen, ist inakzeptabel und kann nicht toleriert werden", erklärt Guy Verhofstadt. Das sei keine Frage der Tradition, sondern eine Frage der Grundsätze. Und er appelliert an Morawiecki persönlich: "Drehen Sie das Rad zurück und bringen Sie Polen zurück in die Familie demokratischer Staaten, wenden Sie sich ab von der Illusion der sogenannten illiberalen Staaten, zurück in den Mittelpunkt europäischer Politik."

Die Regierung in Warschau wird diesen Ruf ignorieren wird und eher darauf setzen, die neue Teilung Europas in populistisch gefärbte, nur noch dem Namen nach demokratische Staaten mit nationalistischer Grundhaltung zu unterstützen. Bislang hatte die PiS-Regierung ihre Verbündeten nur in der Visegrad-Gruppe, jetzt kann sie auf neue Freunde bei Rechtsextremen etwa in Österreich oder Italien hoffen. Mateusz Morawiecki und seine Parteifreunde sehen sich in der EU derzeit eher auf der Gewinnerstraße, so viel wurde aus seiner extrem kämpferischen Rede klar.

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