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Politik

Polens Demokratie in Gefahr

3. November 2016

Warschau bleibt auf Konfrontationskurs im Streit um die Reform des Verfassungsgerichts. Gegenüber Brüssel zeigt die Regierung sich demonstrativ abweisend, im Inland spielt sie auf Zeit.

Andrzej Rzeplinski Präsident Verfassungsgericht in Polen
Bild: picture-alliance/dpa/R. Guz

Polens oberster Richter

03:07

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Sie beschimpfen ihn als "Verräter" und "Terroristen", schicken ihm Drohbriefe und fordern: "Rzepliński hinter Gitter!" Für die Anhänger der regierenden PiS-Partei ist der höchste Verfassungsrichter Polens ein Staatsfeind. Er aber will sich nicht den Nationalisten beugen, hat vor Drohungen keine Angst. "Ein Richter, der Angst bekommt, ist kein Richter mehr" sagt er im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Angst macht beeinflussbar und einer, der sie kriegt, ist nichts weiter als ein Staatsbeamter, der seinem Chef gefallen will". Und als solcher will Rzepliński nicht in die Geschichte eingehen.

In Umfragen landet er derzeit auf dem vierten Platz bei der Frage, wem die Polen vertrauen. Demonstrativ fährt er trotz Drohungen weiter mit öffentlichen Verkehrsmitteln und dem Fahrrad zur Arbeit. Personenschutz hat er ohnehin nicht. Nur wenn internationale Gäste mit Personenschützern zu Besuch kommen, stellt die Regierung Rzepliński jemanden zur Seite.

Heftig umstritten: Das Verfassungsgericht in WarschauBild: picture-alliance/dpa/R.Guz

Das Verfassungsgericht spaltet

Für viele in Polen ist der Richter ein Symbol, eine Bastion im Kampf um die Rechtsstaatlichkeit des Landes. Dass diese jetzt gefährdet ist, hängt mit dem Demokratieverständnis der Regierungspartei zusammen – meint Rzepliński. Die PiS sehe das Wählermandat als einen Blankoscheck und glaubt, sie könne aufgrund ihrer Mehrheit Macht ausüben, wie sie es wolle, ohne Kontrolle. "Dabei sind es die Richter, die wirklich im Namen des Volkes Recht sprechen", sagt er.

Den Zorn der Regierenden zog Rzepliński auf sich, als er Anfang 2016 ihre Justizreformen für verfassungswidrig erklärte. Diese würden die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts einschränken, urteilte das höchste Gericht, dem er vorsteht. Die Regierung ignoriert die Urteile. Die Folge: Eine Lähmung der Judikative.

Das wiederum bringt seit fast einem Jahr Tausende Bürger auf die Straßen. Sie gehen demonstrieren für die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichtes - bis zu einer Million durften es bisher gewesen sein. Auch internationale Institutionen stärken das polnische Verfassungstribunal: Die Venedig-Kommission des Europarates mahnt die Regierung zu Gesetzesänderung, die Europäische Kommission droht mit Sanktionen. Zuletzt publizierten gar Richter im fernen Australien eine ungewohnt scharfe Erklärung und kritisierten das Vorgehen der polnischen Regierung gegenüber Juristen.

Spiel auf Zeit

So viel Unterstützung für Rzepliński ist der Regierung ein Dorn im Auge. Immer wieder versuchen ihre Politiker am Image des Richters zu sägen. "Dieser Mensch hat längst beschlossen, in Zukunft Politiker zu werden und er nutzt sein letztes Amtsjahr, um seine politische Karriere vorzubereiten", meint Ryszard Czarnecki, PiS-Abgeordneter und Vizepräsident im Europäischen Parlament.

Tatsächlich endet Rzeplińskis Amtszeit Mitte Dezember. "Danach werde ich wieder angehende Juristen an der Uni unterrichten", sagt er über seine Zukunftspläne leicht seufzend, während er aus den Fenstern seines Büros direkt auf den Regierungssitz blickt. Dort macht man sich längst über den Rzeplińskis Nachfolge Gedanken.

Tausende Polen demonstrieren für die Unabhängigkeit des VerfassungsgerichtesBild: Reuters/K. Pempel

Der nächste Präsident des Verfassungsgerichts wird aller Voraussicht nach kein Blockierer sein, sondern aus den PiS-freundlichen Reihen stammen. Dann dürfte Warschau ein paar der angemahnten Nachbesserungen im Gesetz zum Verfassungsgericht umsetzen und kann so tun, als löste es endlich das Problem. Warum sollte dann die EU-Kommission noch mit Sanktionen drohen? Dass Warschau auf Zeit spielt, wurde am 27. Oktober wieder deutlich, als es eine erneute Frist der EU-Kommission verstreichen ließ. Brüssel solle sich nicht in "die internen Angelegenheiten Polens" einmischen, hieß es in Warschau.

Europa in der Sackgasse

Jetzt dürfe Europa jedoch nicht nachgeben, meint Andrzej Rzepliński. "Europäische Amtsträger, wie Frans Timmermanns, der stellvertretende Vorsitzende der Kommission, sind nicht naiv und werden es nicht einfach hinnehmen", glaubt der Richter. Doch der Spielraum Brüssels ist nicht groß. Wenn die Kommission Sanktionen gegen Polen verhängen will, müssen alle in Europa mitziehen. Legt ein Land ein Veto ein - was bei Ungarn als wahrscheinlich gilt - wird sich die Kommission als zahnloser Tiger entpuppen. Auch außenpolitisch würden Sanktionen gegen ein Mitgliedsland das Image schädigen.

"Europa hat wichtigere Probleme", meint Ryszard CzarneckiBild: Galyna Stadnyk

Genau darauf spekulieren die PiS-Politiker. "Der Streit wird sich bald legen. Europa hat heute viel wichtigere Probleme, etwa die Flüchtlingskrise und den Kampf gegen den Terror", meint der Europaabgeordnete Ryszard Czarnecki. "Für mich als Bürger Europas wäre das eine Katastrophe", sagt dagegen Rzepliński. "Das würde bedeuten, dass europäische Normen in Polen den fernöstlichen Standards weichen und erst hinter der Oder-Neisse-Grenze wieder gelten".

Ruhe vor dem Sturm

In sechs Wochen räumt der Verfassungsrichter seinen Stuhl. Bis dahin muss er noch viel Druck aushalten. "Ich hoffe, es wird ein schöner, kalter Wintertag sein, wenn ich gehe", sagt er bei der Führung durch Flure und Säle des Verfassungsgerichtes - an einem herbstlichen Tag. Es klingt, als wollte er den Moment des Auszugs weiter in die Ferne rücken lassen.

Ob Rzepliński als Juraprofessor an der Warschauer Uni wirklich ein ruhigeres Leben führen wird, ist nicht klar. Derzeit laufen schon zwei Untersuchungen gegen ihn. Eine Staatsanwaltschaft prüft, ob der Verfassungsrichter sich mit mancher Entscheidung strafbar machte. Sie könnte den höchsten Richter Polens bald auf die Anklagebank setzen. Spätestens dann wird die Kommission zeigen müssen, wie ernst sie es mit der Demokratie in Europa meint.

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