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PolitikPolen

Polens Ex-Justizminister Ziobro findet Zuflucht in Ungarn

Jacek Lepiarz (aus Warschau)
10. November 2025

Als Justizminister beteuerte Zbigniew Ziobro, Unschuldige brauchten keine Angst vor dem Gericht zu haben. Nachdem er seine Immunität verloren hat, entzieht er sich in Budapest weiter der Festnahme, statt sich zu stellen.

Ein Mann, Zbigniew Ziobro, steigt in ein Auto ein. Hinter ihm stehen zwei Polizisten. Kameraleute und Fotografen halten sie Szene fest
Im Januar 2025 wurde Ex-Minister Zbigniew Ziobro von der Polizei festgenommen. Der erneuten Festnahme hat er sich durch Flucht nach Ungarn entzogenBild: Dawid Zuchowicz/Agencja Wyborcza.pl/REUTERS

Die Aufhebung der Immunität eines Politikers oder Ministers ist im polnischen Parlament keine Seltenheit. Doch bei der Abstimmung am vergangenen Freitagabend (7.11.2025) spürten die Abgeordneten, dass dieser Fall ein besonderes Gewicht hat. Denn sie sollten darüber entscheiden, ob Ex-Justizminister Zbigniew Ziobro seine Immunität verliert und wegen Verdachts auf Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung in Untersuchungshaft kommt. Der rechtskonservative Politiker galt während seiner Amtszeit als Polens "Sheriff", der mit eiserner Hand für Recht und Ordnung im Lande sorgte.

Der Sejm, das Unterhaus des polnischen Parlaments, stimmte mit deutlicher Mehrheit der Aufhebung der Immunität in allen 26 von der Staatsanwaltschaft beantragten Straftatbeständen zu und gab am Ende grünes Licht für die Festnahme und U-Haft des 55-Jährigen. 244 Parlamentarier votierten dafür, 198 stimmten dagegen - und so wurde aus Ex-Minister und Parlamentarier Zbigniew Ziobro im Handumdrehen der per Haftbefehl gesuchte "Zbigniew Z."

Der ehemalige polnische Justizminister Zbigniew Ziobro in Warschau im November 2022Bild: Wojtek Radwanski/AFP

Der Jurist aus Krakau hatte in der rechtskonservativen polnischen Regierung, die im Herbst 2015 an die Macht gekommen war, das Justizministerium geleitet und wurde wenig später auch Generalstaatsanwalt. Beide Posten hatte er auch zwischen 2005 und 2007 schon einmal inne.

Mit dieser Machtfülle ausgestattet forcierte er, trotz Einwänden der Europäischen Union, den radikalen Umbau der polnischen Justiz mit dem Ziel, die ganze Rechtsprechung unter politische Kontrolle zu stellen, um unbehindert von juristischen Regeln durchregieren zu können.

Korruption und Machtmissbrauch

Strafrechtlich verfolgt wird Ziobro allerdings nicht wegen der Politisierung des Justizwesens, sondern wegen Korruptionsverdachts. Im Zentrum der Vorwürfe steht der dem Justizministerium unterstellte Gerechtigkeits-Fonds. Die Mittel aus diesem Topf, die vor allem den Opfern von Verbrechen zugutekommen sollten, benutzte Ziobro als schwarze Parteikasse für die von ihm gegründete und geleitete Gruppierung Souveränes Polen (SP). SP trug zusammen mit der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS ) von Jaroslaw Kaczynski in den Jahren 2015-2023 die rechtskonservative Regierung mit.

Mit dem Geld für die Opfer der Verbrechen wurden der Wahlkampf von SP-Politikern sowie dessen mediale Unterstützung finanziert. Die Staatsanwaltschaft wirft Ziobro Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vor, die 150 Millionen Zloty (umgerechnet 35 Millionen Euro) veruntreut haben soll. Die Brisanz dieser Taktik erkannte sogar Kaczynski. In einem Brief, der bei Ziobro zu Hause gefunden wurde, warnte der PiS-Chef seinen Bündnispartner vor politischen und strafrechtlichen Folgen seines Tuns.

Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski sagt vor dem Pegasus-Untersuchungsausschuss des polnischen Parlaments aus (15.03.2023)Bild: Andrzej Iwanczuk/NurPhoto/picture alliance

Mit Mitteln aus diesem Fonds wurde zudem die israelische Spionagesoftware Pegasus gekauft. Das Programm, das im Kampf gegen die organisierte Kriminalität helfen sollte, wurde auch zum Ausspähen der liberalen Opposition und von Journalisten missbraucht. Mit Pegasus konnten sich die Dienste auf Smartphones aufschalten, Daten herunterladen und Gespräche abhören.

Veruntreuung von Geldern

Mit der Festnahme von Ziobro wurde der polnische Inlandsgeheimdienst ABW beauftragt. Ob der Zugriff gelingt, ist allerdings fraglich. Denn der ehemalige Minister hält sich seit einiger Zeit in Ungarn auf. Der ungarische Regierungschef Viktor Orban publizierte Ende Oktober (30.10.2025) auf dem Kurznachrichtendienst X ein Foto von sich selbst mit Ziobro - und warf der Regierung von Donald Tusk vor, eine "politische Hexenjagd" gegen den Ex-Justizminister zu betreiben.

Bereits seit Dezember 2024 residiert in Budapest auch ein enger Vertrauter von Ziobro, Ex-Vize-Justizminister Marcin Romanowski. Um der Verhaftung wegen ähnlicher Vorwürfe zu entgehen, floh er in die ungarische Hauptstadt und bekam dort politisches Asyl, wodurch die Beziehungen zwischen Warschau und Budapest einen Tiefstand erreichten.

In zahlreichen Interviews für rechte Medien begründete Ziobro seine Reise nach Budapest mit seiner Teilnahme an einer "lange geplanten Konferenz". Er ließ offen, ob er in Ungarn Asyl beantragen wird. Er sagte, er habe bereits ein Ticket für die Rückreise nach Warschau gekauft, sei aber gewarnt worden, dass es bei seiner Festnahme zu einer Provokation kommen könnte. Die Aktivitäten gegen ihn seien Rache von Regierungschef Donald Tusk dafür, dass er Ermittlungen gegen Leute aus dessen Umgebung geführt habe. Außerdem wollte der Premier von anderen Problemen, etwa finanziellen Engpässen im Gesundheitswesen, ablenken. Ziobro selbst leidet seit Jahren an Krebs, was ihn aber nicht an seinen politischen Aktivitäten hindert.

Geteiltes Echo in Polen

"Die Abrechnung ist Tatsache geworden", sagte Tusk nach der Abstimmung im Parlament. Er versicherte, dass er sich nicht von Rache oder Revanche leiten lasse, sondern von der Überzeugung, dass Politiker wegen Straftaten zur Rechenschaft gezogen werden sollten. Die Bestrafung der Menschen aus der Vorgängerregierung wegen Korruption oder Machtmissbrauch gehörte zu den wichtigsten Versprechen der Kräfte, die im Oktober 2023 den Sieg der Mitte-Links-Koalition von Tusk ermöglicht hatten.

Polens Präsident Karol NawrockiBild: Kuba Stezycki/REUTERS

Ein Sprecher von Präsident Karol Nawrocki kritisierte die Maßnahmen gegen Ziobro. Die Aufhebung der Immunität und Zustimmung zu seiner Festnahme schafften eine "absurde und extrem gefährliche" Situation, die zeige, wie die Regierung Tusk das Recht instrumentalisiere, sagte Rafal Leskiewicz. Das polnische Staatsoberhaupt kann Ziobro im Falle einer Verurteilung begnadigen.

Mit seiner Law and Order-Politik machte sich Ziobro in Polen allerdings viele Feinde. 96 Prozent der Kommentare in den sozialen Medien kritisieren den Ex-Minister, berichtete die Onlineplattform ONET. Sogar manche PiS-Politiker verdächtigten den Ziobro, kompromittierende Details über eigene Parteifreunde gesammelt zu haben.   

Warten auf den Machtwechsel in Budapest

Vor dem Marsch der Unabhängigkeit am kommenden Dienstag (11.11.2025) tauchten in Warschau Plakatwände mit der Parole "Solidarisch mit Minister Ziobro" auf. An der jedes Jahr von rechten und nationalistischen Kreisen organisierten Veranstaltung, die an die Wiedergewinnung der staatlichen Unabhängigkeit Polens 1918 erinnert, sollen diesmal sowohl Präsident Nawrocki als auch PiS-Chef Kaczynski teilnehmen. Es ist zu erwarten, dass auch der Fall Ziobro ein Thema des Marsches sein wird.

Er werde keine Spezialeinheit nach Budapest schicken, um Ziobro zurückzuholen, sagte Tusk. Er stehe allerdings mit dem ungarischen Oppositionsführer Peter Magyar in Kontakt. Im Frühling 2026 sollen die Ungarn ein neues Parlament wählen. Falls Orbans Partei Fidesz verliert, kann es für Ziobro und seine Gesinnungsgenossen in Budapest sehr eng werden.

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.