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Politik

Polens "Maulkorbgesetz" gefährdet Rechtsstaat

16. Januar 2020

Das Disziplinierungsgesetz der nationalkonservativen Regierung in Polen untergräbt nach Ansicht von Verfassungsexperten weiter die Unabhängigkeit der Richter. Die Kritik aus Europa wächst - zur Freude der Opposition.

Polen Oberstes Gericht in Warschau
Polen Oberstes Gericht in WarschauBild: picture-alliance/Zumapress/O. Marques

In seiner Resolution vom Donnerstag (16.01.) brachte das Europäische Parlament (EP) seine Sorge vor einer weiteren "Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der gemeinsamen Werte" durch Polen und Ungarn zum Ausdruck. Wegen des Umbaus der Rechtssysteme hat die EU-Kommission bereits vor Jahren ein nach Artikel-7-Rechtsstaatsverfahren gegen Warschau und Budapest eingeleitet. Jetzt forderte das EP die Kommission aber dazu auf, das Verfahren zu beschleunigen. Außerdem will sie den Fluss von EU-Geldern in beiden Ländern vom Stand der Rechtsstaatlichkeit abhängig machen.

Das geplante Disziplinierungsgesetz beschneide unter anderem die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit von Richtern, teilte die Venedig-Kommission des Europarates am Donnerstag in einer dringenden Stellungnahme mit. Die Kommission berät Staaten in Verfassungsfragen. Sie bezeichnete es als "Verletzung europäischer Normen" und als "Aushöhlung der richterlichen Unabhängigkeit". Das umstrittene Gesetz ist Teil der vor einigen Jahren eingeführten Justizreform, die die Gerichte unter Regierungskontrolle stellt. Richter müssten in Zukunft auch ihre Zugehörigkeit zu Berufsorganisationen und Bürgerinitiativen angeben. Die Kommission fordert in seiner Stellungnahme das polnische Parlament dazu auf, das Gesetz nicht zu verabschieden. 

Die EU sorgt sich um die Rechtsstaatlichkeit Polens, aber auch UngarnsBild: picture-alliance/NurPhoto/B. Zawrzel

Strafen für die Richter

Die Kritik an dem Gesetz ist groß: Die PiS wolle damit kritische Richter mundtot machen, sagt die liberale Opposition und bezeichnet es als "Maulkorbgesetz". Jetzt steht das Gesetz im Senat, der zweiten Parlamentskammer, zur Debatte.

Im Sejm verfügt die rechtsnationale PiS-Regierung über die absolute Mehrheit und ist damit in der Lage, die Gesetze im Schnelltemp - oft sogar über die Nacht und ohne eingehende Analyse - durchzudrücken. Doch im Senat ist das nicht mehr möglich, seit die PiS dort bei der Wahl im November 2019 ihre Mehrheit verloren hat. Die Senatsdebatte über das Disziplinierungsgesetz wird deshalb in Polen als Test für die Stärke der Opposition gewertet.

Die Kritik aus Europa 

Für den Senatsmarschall Tomasz Grodzki von der oppositionellen liberalen Bürgerplattform ist die Rückendeckung durch internationale Institutionen wichtig. Er lobt die Venedig-Kommission dafür, dass sie sich "der Sache so ernst angenommen hat". "Die Debatte wird jetzt reicher und interessanter, und der Senat wird eine bessere Grundlagen für die Entscheidung haben”, sagte Grodzki gleich nach der Veröffentlichung des Dokuments.

Wochenlang war er selbst im Kontakt mit den Verfassungsexpeten der Kommission. Als die Vize-Präsidentin der Europäischen Kommission Vera Jurova im Dezember 2019 Warschau bat, die Venedig-Kommission zu konsultieren, versprach ihr Grodzki sofort, "alle Entwürfe von Rechtsakten zu prüfen, die die Rechtsstaatlichkeit in Polen und die polnische Justiz gefährden könnten". Er lud die Experten der Venedig-Kommission nach Warschau ein und erntete heftige Attacken und Kritik dafür.

Außenminister Jacek Czaputowicz wollte sich auch nicht mit den Experten der Venedig-Kommission treffenBild: picture-alliance/T. Gzell

 

Attacken auf den Senatsmarschall

Die PiS-Regierung hatte sich für die internationalen Experten während ihres Warschau-Besuches keine Zeit genommen. Laut Außenminister Jacek Czaputowicz sei der Senat nicht dazu befugt, Außenpolitik zu betreiben. Die Einladung der internationalen Institution durch den Senatsmarschall erwecke "tiefe rechtliche Zweifel".

Der Justizminister wirft den Experten der Venedig-Kommission "antipolnische Interessen" vor und spricht auch von einem möglichen Gerichtsprozess gegen Grodzki. Laut rechtsnationaler Medien soll Berufschirurg Grodzki in Korruption verwickelt sein. Er soll angeblich als Arzt Bestechungsgeld angenommen haben.

Die "Einmischung in die inneren Angelegeheiten”

Kritisch sehen die Behörden auch den Brief der Menschenrechtskommissarin des Europarates Dunja Mijatovic an den Senatsmarschall Darin forderte sie die Ablehnung des Gesetzes durch den polnischen Senat. Laut Vize-Außenminister Szymon Szynkowski vel Sek sei eine "so klar formulierte Erwartung” an den Senatsmarschall eine "präzedenzlose Einmischung in die polnischen Gesetzgebungsprozesse”, die die Unabhängigkeit des polnischen Parlaments verletze.

Solidaritätskundgebung für polnische Richter in WarschauBild: Getty Images/AFP/C. Sokolowski

Die Reaktion bestätigt nur die langjährige Haltung der PiS-Regierung, die die Kritik aus Europa konsequent ablehnt. Unbeeindruckt bleibt sie auch vom letzten Eilantrag der EU-Kommission an den Europäischen Gerichtshof (14.01.), in dem gefordert wird, Polen anzuweisen, dass die Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs aufgehoben wird. Sonst würde der "Einschüchterungseffekt" auf die Richter noch zunehmen, so ein Kommissionssprecher. Der Eilantrag gibt dem EuGH die Möglichkeit, die Angelegenheit binnen weniger Tage zu behandeln.

Ein Test für die Opposition

Laut polnischer Verfassung muss sich der Senat binnen 30 Tagen zu jedem vom Sejm verabschiedeten Gesetz äußern. Er kann Änderungen vorschlagen und so den Prozess verlangsamen. Er kann es auch ganz verwerfen, doch dann würde das Gesetz wieder im Sejm landen, wo die PiS die Mehrheit hat. Die Opposition hofft nun, dass die international Rückendeckung Teile der Justizreform stoppen kann.

 

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