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Politik

Präsidentschaftswahl unter Fragezeichen

5. Mai 2020

Für den 10. Mai sind in Polen Präsidentschaftswahlen angesetzt. Die regierende PiS will sie trotz Pandemie durchsetzen, doch das dafür notwendige Gesetz kann im Parlament scheitern. Dann müsste man die Wahl verschieben.

Polen Symbolbild Briefwahl
Debatte über Briefwahl spaltet PolenBild: picture-alliance/NurPhoto/B. Zawrzel

Kurz vor Ostern haben Mitarbeiter der staatlichen Krankenkasse für Landwirte (KRUS) einen unerwarteten Auftrag bekommen. Plötzlich sollten sie so schnell wie möglich ihre 1,3 Mio. Mitglieder mit dem Infoblatt über die Beitragshöhe und dem nicht verbindlichen Ethikkodex beliefern. Im ganzen Land haben die KRUS-Mitarbeiter ihre Dienst- oder Privatwagen mit Kartons beladen, um die Adressaten persönlich aufzusuchen. Die ungewöhnliche Aktion hatte ihre politischen Gründe. Den Infoblättern wurde ein Dankesbrief des amtierenden Präsidenten Andrzej Duda an die Landwirte angeheftet und ein anderer, in dem er vom Landwirtschaftsminister als derjenige Kandidat gepriesen wurde, der die Landwirte "in besonderer Obhut" habe.

Amtsinhaber Andrzej Duda will ein zweites MandatBild: Reuters/F. Goga

Der unsichere Wahltermin

Die vom investigativen Portal OKO.Press aufgedeckte Aktion ist eines der Beispiele, wie die staatlichen Institutionen Dudas Wahlkampf unterstützen. Auch das Staatsfernsehen hält für ihn alle Kanäle offen, während die Oppositionskandidaten ihren Wahlkampf wegen Pandemie eingestellt oder im bescheidenen Ausmaß von zu Hause führen dürfen. Die massive Unterstützung des PiS-Kandidaten durch die staatlichen Institutionen bringt Ergebnisse. Laut Umfragen dürfte Duda schon im ersten Wahlgang am 10. Mai das Rennen machen. Doch der Termin hängt im Moment an einem seidenen Faden.

Die regierende nationalkonservative PiS will wegen der Pandemie eine allgemeine Briefwahl organisieren, um das Ansteckungsrisiko zu verringern. PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski möchte die Wahl nicht verschieben, weil sein Kandidat Andrzej Duda jetzt der klare Favorit ist. Doch es gibt ein Problem: für die allgemeine Briefwahl am 10. Mai gibt es keine rechtliche Grundlage.

Proteste gegen eine "Pseudowahl"

Vor einem Monat hat die PiS-Mehrheit im Sejm, dem Unterhaus des Parlaments, die Möglichkeit einer allgemeinen Briefwahl für alle abgesegnet. Laut PiS-Chef Kaczynski bringe die Briefwahl nämlich kein Ansteckungsrisiko mit sich. Gegen die Durchführung der Wahlen mitten in der Pandemie protestiert sowohl die Opposition, als auch ehemalige polnische Staats- und Regierungschefs. Staatsrechtler nennen die kurzfristige Einführung der allgemeinen Briefwahl einen Verfassungsbruch, weil laut einem Urteil des Verfassungsgerichts die Wahlordnung nicht später als 6 Monate vor der geplanten Wahl geändert werden darf. Ex-EU-Ratspräsident Donald Tuskspricht von einer "Pseudowahl", die Opposition von einer "Farce".

Ex-EU-Ratspräsident Donald Tusk spricht von einer "Pseudowahl"Bild: picture-alliance/dpa/AP Photo/D. Vojinovic

425 polnische Rechtswissenschaftler haben an die Regierung appelliert, "die verfassungswidrigen Wahlen nicht durchzuführen". Das wichtigste Argument: das Prinzip der Geheimhaltung könne nicht gewährleistet werden, weil die Wahlunterlagen Personendaten der Wähler beinhalteten. Außerdem würde die Briefwahl die im Ausland lebenden Polen ausschließen. Die Staatliche Wahlkommission hält die Durchführung allgemeiner, gleicher und geheimer Wahlen im Mai für unrealistisch. Der Gesundheitsminister warnt vor dem Mai-Termin unter Hinweis auf das Ansteckungsrisiko.

Eine Spaltung im Regierungslager

Auch die Mehrheit im Oberhaus, dem Senat, lehnt die allgemeine Briefwahl ab.

Der Senat hatte bis 6. Mai Zeit, seine Entscheidung über die allgemeine Briefwahl dem Sejm vorzulegen. Jetzt müsste der Sejm nochmals das Veto überstimmen. Doch das kann für die PiS riskant werden. Der Grund: ein Teil der Regierungskoalition spielt nicht mit.

Die Koalition, die neben der PiS auch aus zwei konservativen Splitterparteien - Solidarisches Polen und Verständigung - besteht, verfügt über 235 von 460 Stimmen. Im Protest gegen die Organisation der Wahlen mitten in der Pandemiezeit ist Vizepremier und Chef der Verständigung, Jaroslaw Gowin, zurückgetreten. Wenn die 18 Abgeordneten der Partei gegen die Briefwahl stimmen, dann würde diese im Parlament endgültig durchfallen.

Zurzeit scheint aber ein anderes Szenario möglich. Die PiS-Senatoren könnten die Abstimmung so lange mit formellen Tricks aufhalten, bis der von der Verfassung vorgeschriebene Termin vorbei ist. Damit wäre die nochmalige Abstimmung im Sejm überflüssig und das Gesetz würde direkt dem Staatspräsidenten zur Unterschrift zugeleitet. Dass er unterschreibt, gilt mehr als sicher.

PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski möchte die Wahl nicht verschiebenBild: Getty Images/AFP/W. Radwanski

Die politische Krise

Obwohl die rechtliche Lage nicht klar ist, hat die Regierung bereits mit der Vorbereitung von Wahlunterlagen begonnen. Das wird von Staatsrechtlern als Verfassungsbruch kritisiert. Auch in dem Szenario, dass die allgemeine Briefwahl ohne nochmalige Abstimmung durchkommt, wird die PiS ein großes Problem haben. Die Wahlunterlagen müssten innerhalb von 3 Tagen alle 30 Millionen Wähler erreichen, was logistisch undenkbar ist. Schon jetzt sprechen Kritiker von einer illegitimen Wahl.

Eine Alternative wäre die von der Opposition seit langem vorgeschlagene Einführung des Naturkatastrophenzustands wegen der Pandemie. Dann dürften die Wahlen legal verschoben werden und könnten erst 90 Tage nach der Aufhebung des Naturkatastrophenzustands stattfinden. Politisch gesehen wäre das aber für die regierende PiS von Nachteil. Denn in der Zeit nach der Corona-Krise wird wohl kaum noch Geld für kostspielige Wahlgeschenke verfügbar sein, die der PiS bisher zu Wahlsiegen verholfen haben.