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Polen: Abweisung von Migranten an der Grenze wird legal

Monika Sieradzka in Warschau
26. Februar 2025

Ein neues Gesetz erlaubt eine Aussetzung des Asylrechts. Es soll Polen vor Migranten schützen, die über Belarus nach Europa kommen. Juristen sehen es als Verstoß gegen die Menschenrechte und die polnische Verfassung.

Im Vordergrund ist Stacheldraht zu sehen, dahinter ein Uniformierter, der den Betrachtenden den Rück zukehrt, dahinter ein Metallzaun und Grenzpfosten, die mit den polnischen Farben Weiß und Rot bemalt sind
Ein polnischer Soldat am Zaun an der weißrussisch-polnischen Grenze im Wald bei Bialowieza im Juni 2024Bild: Kacper Pempel/REUTERS

Polens Premierminister Donald Tusk sieht sein Land in Gefahr. Nicht nur wegen des russischen Kriegs in der benachbarten Ukraine, sondern auch wegen der aus Moskau und Minsk gesteuerten Migration.

"Wir haben es mit einer neuen Form der Migration zu tun, bei der autoritäre Regime den Menschenschmuggel in großem Stil organisieren", sagte Tusk im Oktober 2024 in Brüssel. Die europäischen Regierungschefs sprachen damals von einer Instrumentalisierung der Migration durch Russlands Herrscher Wladimir Putin und Belarus' Langzeitdiktator Alexander Lukaschenko.

Polens Premierminister Donald Tusk bei einer Pressekonferenz in Warschau im Januar 2025Bild: Antoni Byszewski/Fotonews/Newspix/IMAGO

Es begann 2021, als die Anzahl versuchter Grenzübertritte an der 418 Kilometer langen polnisch-belarussischen Grenze im rasanten Tempo stieg. Menschen aus dem Nahen Osten, Asien und Afrika kamen mit Touristenvisa nach Belarus und wurden - oft durch belarussische Soldaten - direkt an die polnische Grenze gebracht. 

Obwohl Warschau den Schutz der Grenze mit Stacheldrahtzäunen verstärkt hat, ist die Route von Belarus nach Polen in die EU inzwischen eine berüchtigte Fluchtroute geworden. Die preisgekrönte polnische Regisseurin Agnieszka Holland hat die schrecklichen Zustände an der "Grünen Grenze" 2023 eindrücklich in ihrem gleichnamigen Spielfilm beschrieben.

Dem polnischen Grenzschutz wird vorgeworfen, Menschen abzuweisen, ohne dass sie einen Antrag auf internationalen Schutz stellen dürfen. Die illegalen Pushbacks wurden durch polnische Gerichte in mehreren Fällen bestätigt und verurteilt. 

Tusk will die Migration einschränken

Jetzt will Donald Tusk mit einem neuen Gesetz gegen Migranten vorgehen. Die neue Regelung sieht die zeitweise Aussetzung des Asylrechts vor. Am 21. Februar wurde eine entsprechende Gesetzänderung mit einer Mehrheit von 386 Stimmen im Parlament verabschiedet. Nur 38 Abgeordnete waren dagegen.

Das Gebäude des polnischen Parlaments, des "Sejm", in WarschauBild: Forum Jan Morek/dpa/picture-alliance

Das Recht, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, dürfte demnach ausgesetzt werden, wenn "eine Instrumentalisierung stattfindet" und "die Handlungen der Instrumentalisierung eine ernsthafte und tatsächliche Bedrohung für die Sicherheit des Staates oder der Gesellschaft darstellen".

Ausgenommen von der Regelung sind Minderjährige, schwangere Frauen, ältere und kranke Menschen, aber auch Personen, die im Nachbarland - also in Belarus - verfolgt würden, was aber zuerst nachgewiesen werden muss. Die Aussetzung des Asylrechts darf von der Regierung für höchstens 60 Tage verordnet werden. Über eine Verlängerung muss das Parlament abstimmen. 

Es geht "nur" um die Migrantenrechte

Während einige Juristen und linke Parlamentsabgeordnete von einem Verstoß gegen die Menschenrechte sprachen, argumentiert der stellvertretende Innenminister Maciej Duszczyk vor dem zuständigen Parlamentsausschuss: "Wir sprechen nur über die Aussetzung der Rechte von Migranten. Es gibt eine Abstufung der Bürgerrechte, der Menschenrechte. Es gibt einen Staat, dessen Bürger Vorrang haben." Außerdem glaube er nicht, "dass ein Grenzschutzbeamter eine Mutter mit einem Kind sieht und ihnen die Einreise nach Polen verweigert. Solche Situationen können einfach nicht passieren".

Ende Mai 2023 versuchten etwa 30 Migranten, den Grenzzaun zwischen Belarus und Polen nahe Bialowieza zu überwinden.Bild: Agnieszka Sadowska/AP/picture alliance

Darauf reagierte der Verein für juristische Intervention (Stowarzyszenie Interwencji Prawnej) mit einer Stellungnahme: "Herr Maciej Duszczyk scheint eine bemerkenswert geringe Vorstellungskraft zu haben und außerdem die Presse nicht zu lesen - denn für solche Situationen ist seit einiger Zeit der Grenzübergang Brest-Terespol [zwisshen Polen und Belarus] berüchtigt, ganz zu schweigen von dem, was in den Grenzwäldern passiert", kommentierte der Verein auf Facebook. 

Legalisierung von Pushbacks

Die Situation an der Grenze würde "solche radikalen Schritte und Verletzungen der grundlegenden Menschenrechte nicht rechtfertigen" schreibt Stowarzyszenie Interwencji Prawnej - weiter mit Hinweis auf die relativ kleine Anzahl von 2700 Anträgen auf internationalen Schutz, die der Grenzschutz der nordöstlichen polnischen Region Podlachien im Jahr 2024 angenommen hat.

Für Urszula Wolfram, Chefin der Freiwilligenorganisation "Humanitäre Nothilfe Podlachien" (Podlaskie Ochotnicze Pogotowie Humanitarne, POPH), sei die neue Regelung nichts anderes als "eine Legalisierung der bisherigen Pushback-Praxis" der polnischen Behörden. "Wie soll das aussehen?" fragt sie im Gespräch mit DW in Warschau. "Soll der Grenzschutz einfach den Menschen in die Augen schauen - und dann selbst die Entscheidung treffen, ob sie Anspruch auf internationalen Schutz haben?" Es läge überhaupt nicht in der Zuständigkeit des Grenzschutzes, zu entscheiden, wer das Recht auf internationalen Schutz hat: "Dafür ist in Polen das Ausländeramt zuständig." 

Verstoß gegen das Völkerrecht

Die Juristin Hanna Machinska von der Helsinki Foundation spricht von einer "drastischen Verletzung des Völkerrechts". "Das Gesetz verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Wenn es also zu einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kommt, wird Polen dieses Verfahren verlieren", warnt die ehemalige polnische Vize-Ombudsfrau für Menschenrechte. Es verstoße auch gegen die polnische Verfassung, die das Recht auf Asyl garantiere.

Die Juristin Hanna Machinska von der Helsinki Foundation Bild: Piotr Grzegorzewski/DW

Dahinter sieht Machinska eine rein politische Kalkulation der Regierenden. Mit dem Anti-Migrationsgesetz wolle Tusk die Wähler aus dem rechten Spektrum ansprechen, so Machinska. "Man kann aber nicht gegen die Opposition vorgehen, indem man internationales Recht bricht", betont die Juristin.

Migration als Wahlkampfthema 

Im Mai 2025 wird in Polen ein neuer Präsident gewählt. Ob das neue Anti-Migrationsgesetz dem Kandidaten von Donald Tusks Bürgerplattform (PO), dem Warschauer Oberbürgermeister Rafal Trzaskowski, tatsächlich zusätzliche Stimmen bringen könnte, steht offen. Fakt ist, dass der überzeugte Europäer in seinem Wahlkampf eine neue Rhetorik annimmt.

"Niemand in Europa soll denken, dass sie uns zu irgendetwas zwingen werden", sagte er in einem Interview mit dem Portal interia.pl mit Hinweis auf den europäischen Migrationspakt, der 2026 in Kraft treten soll. Polen hat in der EU gegen den Pakt gestimmt - mit der Begründung, der darin vorgesehene Verteilung von Migranten innerhalb der EU sei nicht akzeptabel.

In diesem Sinne äußert sich auch der rechts-konservative Präsidentschaftskandidat Karol Nawrocki, der von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unterstützt wird. Und greift dabei Deutschland an. "Ich bin nicht einverstanden mit dem, was in der Migrationspolitik der Europäischen Union geschieht. Ich habe nicht die Absicht, als Präsident Polens zu tolerieren, dass unsere westlichen Nachbarn, die Deutschen, ihre Probleme, ihre Fehler in der Migrationspolitik regeln und dabei die Sicherheit unserer Frauen und Kinder aufs Spiel setzen", sagte er bei einem Wahlkampftreffen.

Mit solchen Aussagen treffen beide Politiker den Nerv der polnischen Gesellschaft. Laut einer Umfrage des Rundfunksenders RMF24 beantworten 75 Prozent der Polinnen und Polen die Frage, ob ihr Land Migranten aufnehmen soll, mit "Nein" - und nur 20 Prozent mit "Ja". Fünf Prozent waren unentschlossen.

Inzwischen ist das neue Gesetz zur Migrationseinschränkung im Senat, der höheren Kammer des polnischen Parlaments, wo er vermutlich durchgewunken wird. Auch die Unterschrift des rechts-konservativen Staatspräsidenten Andrzej Duda scheint nur eine Formalie zu sein. Im Frühjahr, wenn die Migrantenzahlen wieder steigen, könnte das Gesetz bereits in Kraft sein. 

Korrektur: Wir haben die Zahl der Gegenstimmen zu dem Gesetzentwurf im Sejm korrigiert. Es waren 38 Gegenstimmen und nicht 22, wie wir fälschlicherweise zunächst geschrieben hatten.