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PolitikPolen

Polens Regierungspartei macht Wahlkampf mit Auschwitz

Jacek Lepiarz aus Warschau
1. Juni 2023

Polens liberale Opposition will am Sonntag den größten Protestmarsch seit dem Fall des eisernen Vorhangs 1989 veranstalten. Mit einem umstrittenen Videospot will die Regierung die Menschen von der Teilnahme abbringen.

Die Bahngleise und das Eingangstor des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz
Die Bahngleise und das Eingangstor des Konzentrations- und Vernichtungslagers AuschwitzBild: Friso Gentsch/dpa/picture alliance

Knapp vier Monate vor der Parlamentswahl in Polen steigt im nationalkonservativen Regierungslager die Nervosität. Der liberale Oppositionsführer Donald Tusk hat zu einer Protest-Demonstration gegen die Regierung aufgerufen. Am kommenden Sonntag (4.06.2023) sollen in Warschau so viele Menschen auf die Straße gehen wie noch nie seit dem Ende der kommunistischen Herrschaft im Jahr 1989. Die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) fürchtet, dass eine Großdemonstration mit massenhafter Beteiligung einen Wendepunkt im Wahlkampf darstellen könnte.

Um die Menschen von der Teilnahme an der Demonstration abzubringen, veröffentlichte die Partei von Jaroslaw Kaczynski am Mittwoch per Twitter ein Video, das in Polen und darüber hinaus für Empörung sorgt.

Wahlspot mit Auschwitz-Filmmaterial

Der kurze Spot zeigt das Torhaus zum Vernichtungslager Birkenau sowie den Eingang zum Stammlager Auschwitz. Deutlich sichtbar ist die zynische Aufschrift "Arbeit macht frei" über dem Tor. Dann die Information, dass im Lager mehr als eine Million Menschen ermordet wurden und dass im Zweiten Weltkrieg sechs Millionen Polen starben. Eingeblendet wird ein Tweet des regierungskritischen Journalisten Tomasz Lis, der für die PiS eine Hassfigur ist.  

Er hatte zwei Tage zuvor auf Twitter geschrieben, es werde sich schon eine "Kammer" für Präsident Andrzej Duda und Jaroslaw Kaczynski finden. In Polen wird unter "Kammer" meistens eine Gaskammer verstanden. Lis hatte sich entschuldigt und den Tweet gelöscht. Er habe mit der "Kammer" eine Gefängniszelle gemeint, erklärte er. Die PiS nutzte jedoch die Gelegenheit zum Schlag gegen die Opposition und ihre geplante Demonstration. Während in dem Wahlvideo das Logo der Protestdemonstration gezeigt wird, fragt eine Stimme aus dem Off: "Willst du wirklich unter diesem Motto mitgehen?"

Der liberale polnische Journalist Tomasz Lis, hier auf einem Foto von 2019Bild: Mateusz Wlodarczyk/NurPhoto/picture alliance

Mit dem Wahlspot knüpft PiS an frühere Erfolge an. Denn freche Videos waren bisher eine Stärke der polnischen Nationalkonservativen. Ein Video, in dem Tusks Großvater beschuldigt wurde, freiwillig in der Wehrmacht gedient zu haben, hatte Lech Kaczynski im Jahr 2005 geholfen, die Präsidentenwahl zu gewinnen. Die Spots, die die angebliche Verarmung der Bevölkerung durch die Politik der Liberalen, spielten eine entscheidende Rolle bei den Erfolgen der PiS bei den Parlamentswahlen in der Vergangenheit. Doch die jüngste Idee des Wahlkampfstabs könnte sich als kontraproduktiv erweisen. 

Welle der Empörung über Auschwitz-Video der polnischen Regierungspartei

Der Auschwitz-Spot hat eine breite Welle der Empörung ausgelöst. Die Gedenkstätte Auschwitz protestierte öffentlich gegen das Video. "Die Instrumentalisierung der Tragödie von Menschen, die in Auschwitz gelitten haben und umgekommen sind, egal von welcher Seite der politischen Auseinandersetzung, beleidigt die Erinnerung an die Opfer", erklärte die Museumsleitung. Das Video sei "trauriger Ausdruck des moralischen und intellektuellen Verfalls der öffentlichen Debatte".

Polens Präsident Andrzej Duda verneigt sich in Erinnerung an die Opfer des Holocaust am 28.04.2022 in AuschwitzBild: Wojciech Grabowski/Zuma/IMAGO

Kritisch äußerte sich auch Polens Präsident Andrzej Duda. "Die Erinnerung an die Opfer deutscher Verbrechen in Auschwitz ist heilig und unantastbar. Die Tragödie der Millionen Opfer kann nicht im politischen Kampf missbraucht werden. Solche Handlungen sind unwürdig und nicht zu entschuldigen", schrieb Duda, der sonst fast immer zur PiS steht, in den sozialen Medien.  

"Das ist ein Tabubruch", sagte der liberale Bürgermeister von Warschau, Rafal Trzaskowski. Gegen den "Missbrauch des Holocaust im aktuellen politischen Kampf" protestierten auch in Polen tätige jüdische Organisationen.

"Die PiS steht unter Druck" 

"Der Auschwitz-Spot, der den Protestmarsch in die Nähe von antisemitischen Parolen rückt, kann der PiS sehr schaden", schreibt Michal Plocinski in der Zeitung Rzeczpospolita (1.06.2023). "Die Regierungspartei vergeudet damit das ganze 'Soft-Power-Kapital', das Polen durch die Unterstützung der Ukraine in der Welt gewonnen hat." Auf diese Weise liefere Polen der Welt neue Argumente, dass es autokratisch und antisemitisch sei, obwohl das zweite nicht stimme, so der Publizist.

PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski steht für die rechtsnationale Politik in PolenBild: Artur Widak/NurPhoto/picture alliance

"Dieses umstrittene Video zeugt von der Verzweiflung im Regierungslager", urteilte der Politologe Wojciech Rafalowski von der Universität Warschau im privaten Fernsehsender TVN. "Die PiS steht unter Druck und hat mit dieser Manipulation einen Fehler begangen", sagte der Wissenschaftler.

Die jüngsten Entscheidungen der Regierungspartei, vor allem die Einberufung einer Sonderkommission zur Überprüfung russischer Einflüsse, die verhindern soll, dass Tusk im Falle seines Sieges bei der Parlamentswahl die Regierung übernimmt, hätten die Opposition eher konsolidiert.

In der PiS verteidigt man das Auschwitz-Video

Als Tusk vor Wochen zum Protestmarsch aufgerufen hatte, hatten die anderen regierungskritischen Parteien zunächst mit Zurückhaltung reagiert. Die Vorsitzenden von zwei Mitte-Rechts-Parteien - Polska 2050 von Szymon Holownia und die Bauern-Partei PSL von Wladyslaw Kosiniak-Kamysz - fürchteten die Dominanz der Tusk-Partei. Jetzt rufen beide Politiker Mitglieder ihrer Parteien zur Teilnahme an der Demonstration auf.

Unbeeindruckt von der Kritik verteidigt die PiS ihren Wahlwerbespot. Michal Moskal, Chef der politischen Kanzlei des PiS-Vorsitzenden Kaczynski, sagte der Internetplattform Interia: "Wir haben die Heuchelei (der Opposition) gezeigt. Das tut weh." Moskal wird von den Medien als Ideengeber des Spots vermutet. "Wir haben nur auf die Sprache des Hasses geantwortet", argumentiert der PiS-Abgeordnete Marek Ast.

Und die Europa-Abgeordnete Anna Zalewska teilte den Tweet mit dem Auschwitz-Video, ergänzt durch den Zusatz "Für Deutschland". Nach der in der PiS geltenden Sprachregelung vertritt Tusk in Polen deutsche Interessen. Für manche ist er sogar deutscher "Kollaborateur".

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.
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