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Politik

Polens Schulreform mit Nebenwirkungen

Paul Flückiger
2. September 2017

Durch die nationalkonservative Bildungsreform sollen in Polen 7000 Schulen geschlossen und rund 9000 Lehrer entlassen werden. Die neuen Lehrpläne werden sich vor allem auf nationale Themen konzentrieren.

polen Zehntausende demonstrieren in Polen gegen geplante Schulreform
Schon lange gibt es in Polen Proteste gegen eine Schulreform (Warschau, 19.11.2016)Bild: Getty Images/AFP/J. Skarzynski

Fast eine Million Unterschriften hatten Eltern und Lehrergewerkschaften gegen die radikale Bildungsreform der Kaczynski-Regierung gesammelt. Doch das von der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) dominierte Parlament schmetterte das Referendumsbegehren kurzerhand ab. Und so kann die von Bildungsministerin Anna Zalewska in nur zehn Monaten mit heisser Nadel gestrickte nationalkonservative Bildungsreform nun zum traditionellen offiziellen Schulbeginn am 1. September trotz großen Widerstands unter Lehrern und Eltern beginnen.

Rückkehr zum realsozialistischen Oberstufenmodell

Der Kern der PiS-Schulreform beruht auf der Abschaffung der so genannten Gymnasien, einer Art mittleren Oberstufe für die 12- bis 15-Jährigen. Rund 7000 Gymnasien werden per Schulanfang am Freitag abgeschafft und die Kinder zurück in die Grundschulen geschoben.

Die Gymnasien wurden 1999 von der Regierung Jerzy Buzek eingeführt, um den Bildungsabstand der polnischen Kinder zur EU zu verkleinern und die Chancen zwischen Stadtkindern und Landkindern anzugleichen. Ergebnisse der Pisa-Studien der letzten Jahre scheinen den Reformansatz im Nachhinein zu bestätigen. "Polen hat in den letzten zehn Jahren einen enormen Fortschritt gemacht", sagt Andreas Schleicher, der Leiter der Pisa-Untersuchungen. Heute befindet sich Polen in den Pisa-Studien regelmäßig unter den ersten zehn Ländern.

Römer sind aus dem Geschichtsunterricht verbanntBild: Imago/Chromorange

Den Gymnasien wird jedoch vorgeworfen, sie seien nur geschaffen worden, um die Kinder in den problematischen Teenager-Jahren zu isolieren. Eine Integration mit jüngeren Kindern in einer Grundschule sei besser, argumentiert die PiS. Die Kaczynski-Regierung kehrt nun zum Modell der sozialistischen Volksrepublik Polen zurück. Dieses kannte nur die Grundschule (Jahrgang eins bis acht) und das sogenannte Lyzeum, die höhere Oberstufe. Über das richtige Modell wird in Polen seit Jahren auch unter Eltern und Lehrern gestritten und dies keineswegs entlang der Parteilinien.

Neue Schuldirektoren nach PiS-Wünschen

Dank der Abschaffung der Gymnasien und ihrer Einverleibung in die Grundschule wurde das Bildungsministerium auf einen Schlag Tausende Schuldirektoren los. In den neu erweiterten Grundschulen konnte es neue Direktoren nach eigenem Gutdünken besetzen. Eine schöne Möglichkeit, um die eigenen Parteigänger für ihre Loyalität zu belohnen und sie für die Zukunft gefügig zu machen. Insgesamt verlieren laut der regierungskritischen Lehrergewerkschaft ZNP rund 9000 Lehrer ihre Arbeitsstelle. Allerdings würde die Zahl der Lehrer auch ohne PiS-Schulreform wegen der sich verringernden Kinderzahl sinken. Polen hat eine der geringsten Geburtenraten der EU.

Neben Personalentscheidungen zu eigenen Gunsten geht es der PiS auch um die ideologische Umgestaltung der Schulbildung. PiS-Politiker lassen keinen Zweifel daran, dass sie ihre konservative Revolution auch unter den Jüngsten verbreiten wollen. So sollen die Erst- bis Drittklässler neu das Schachspiel erlernen und auch dabei angeleitet werden, für sich selbst und ihre Mitschüler Verantwortung zu übernehmen.

Ab sofort gibt es kein Gymnasium mehr in PolenBild: picture-alliance/PAP/J. Bednarczyk

Bildungsexperten, Elternvereinigungen und die Opposition kritisieren, dass der Lehrstoff nicht wie bisher miteinander verbunden wird. Bisher waren die Schulbücher aufeinander abgestimmt und Themen tauchten gleichzeitig etwa im Polnisch- wie auch im Geschichtsunterricht auf.

Geschichtsunterricht ohne Holocaust

Nach dem neuen Lehrprogramm werden dieses Jahr die Erst-, Viert- und Siebtklässler unterrichtet. Für die übrigen Jahrgänge stehen noch keine neuen Lehrbücher bereit. Der Geschichtsunterricht beginnt wie bisher in der vierten Klasse, doch werden laut der Historikervereinigung alltags- und zivilisationsgeschichtliche Aspekte aus den fünf zugelassenen Geschichtsbüchern gestrichen. Dafür soll vor allem Militärgeschichte und die Ahnengalerie der polnischen Helden gepaukt werden.

Der Geschichtsunterricht der Viertklässler beginnt nicht mehr wie bisher bei den Griechen und Römern, sondern mit Mieszko I, dem ersten polnischen König im 10. Jahrhundert. Weltgeschichtliche Bezüge fehlen, alles dreht sich nur noch um Polen. In der Geschichte des Zweiten Weltkriegs wird der Holocaust nicht mehr erwähnt; in der neuesten Geschichte, ist Polens EU-Beitritt nur ein Nebenaspekt. Viel wichtiger sind die anti-kommunistischen Partisanen, die bis in die 1950er-Jahre gegen das realsozialistische Regime gekämpft hatten – und natürlich Papst Johannes-Paul II. Nicht aus den fünf Geschichtsbüchern getilgt wurde Lech Walesa. Allerdings wird die Rolle von Anna Walentynowicz beim Danziger Streik von 1980 mehr gewürdigt als bisher. Im Biologieunterricht soll bei der Sexualkunde nicht mehr auf Verhütungsmöglichkeiten hingewiesen werden.

Darf im Unterricht nicht fehlen: Papst Johannes Paul II.Bild: DW/A. Maciol

Viele Lehrer haben inzwischen angekündigt, anstelle der PiS-gerechten, neuen Lehrmittel doch lieber gemäß eigenem Programm unterrichten zu wollen. Allerdings wird sich nur eine Minderheit der Lehrerschaft diese Mühe machen. Bildungsexperten warnen vielmehr davor, dass mit der nationalkonservativen Bildungsreform auch der pädagogisch als überholt geltende Frontalunterricht eine Wiederauferstehung erleben könnte.

Lehrer und Eltern demonstrieren

Für Montagabend, nach dem ersten richtigen Schultag in Polen, haben Lehrer und Eltern vor dem Bildungsministerium eine Demonstration gegen die PiS-Reform unter dem Motto "Die Schule gehört uns!" angekündigt. Die Demonstration  wird von der großen, oppositionellen Lehrergewerkschaft ZNP unterstützt, der rund drei Viertel der Lehrerschaft angehören. Die kleine, regierungsfreundliche Abteilung Bildung der Gewerkschaft "Solidaronosc" hat sich gegen die Demonstration ausgesprochen, weil diese "politisch motiviert" sei.

Allerdings wächst auch in der "Solidarnosc" der Unmut über Bildungsministerin Zalewska. Diese hätte noch immer keine Vorschläge für die geforderten Lohnerhöhungen zum Neujahr 2018 vorgestellt, klagt "Solidarnosc". Die Gewerkschaft fordert mindestens 15 Prozent. Im gegenteiligen Fall will auch "Solidarnosc" ihre rund 80.000 Mitglieder unter den Lehrern gegen die Kaczynski-Regierung auf die Strasse schicken.

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