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Polio in Pakistan noch nicht besiegt

Martina Merten
25. Dezember 2016

Pakistan zählt neben Afghanistan und Nigeria zu den letzten Ländern, in denen der Kampf gegen Kinderlähmung noch nicht gewonnen ist. Und das trotz intensiver und großflächiger Impfkampagnen.

Pakistan Impfhelfer bei den Polio-Impfungen in einem Slum von Karatschi
Bild: DW/M. Merten

Muhammad Shaikh verzieht keine Miene. Der Staatssekretär für Gesundheit sitzt auf einer plüschigen Couch in einem Fünf-Sterne Hotel in Pakistans Hauptstadt Islamabad. Schnell und ohne Zögern beantwortet er jede Frage nach dem Stand des heimischen Gesundheitswesens. Und auch nach dem Stand der Bekämpfung von Polio, der Krankheit, die weltweit noch in den Achtziger Jahren jährlich für Hunderttausende von Lähmungen und Todesfällen bei kleinen Kindern verantwortlich war. Der Atomstaat Pakistan zählt aber bis heute neben Nigeria und seinem Nachbarland Afghanistan zu den letzten Ländern, in denen das verheerende Virus noch nicht vollständig ausgerottet werden konnte.

Die Gründe liegen Staatssekretär Shaikh zufolge auf der Hand: "40 Prozent unserer Kinder sind unterernährt", sagt Shaikh gegenüber der DW. Viele Kinder erhielten keinerlei Routineimpfungen. Während in einem Land wie Deutschland die viermalige Gabe von inaktiviertem Impfstoff  (IPV) für eine Immunisierung ausreiche, müssten die meisten Kinder in Pakistan etliche Runden von Lebendimpfstoff (OPV) oral erhalten, am besten gepaart mit IPV, um gegen das Virus gewappnet zu sein.

Pakistans Staatssekretär für Gesundheit Ayub Shaikh weiß um die schlechten Bedingungen, unter denen viele Kinder leidenBild: DW/M. Merten

Impfkampagne unter schlechten Rahmenbedingungen

Zudem herrschten vielerorts miserable hygienische Verhältnisse. Weniger als die Hälfte der pakistanischen Bevölkerung hat Zugang zu Toiletten. Durchfallerkrankungen seien bei Kindern an der Tagesordnung, schildert Shaikh. Ein geschwächter Körper mit einem schwachen Immunsystem, der noch dazu mit einer Durchfallerkrankung zu kämpfen hat, nehme den Impfstoff nicht gleichermaßen auf wie ein gesunder Mensch. So erklärt er sich auch, dass von den 19 neuen Polio-Fällen, die 2016 in Pakistan gemeldet wurden, die Hälfte der Kinder gegen das Virus geimpft war. Bei diesen Kindern waren die Impfungen nicht wirksam.

Die Hälfte der Fälle stammt aus den abgelegenen nordwestlichen Grenzregionen, die meisten anderen aus der südlichen Provinz Sindh, darunter aus Karatschi. Hier, fern von der Hauptstadt, von Plüschsesseln und Fünf-Sterne-Hotels, zeigt sich in weiten Teilen, was der Staatssekretär mit den desolaten Verhältnissen meint: In Karatschi, einem 20-Millionen-Moloch im Süden Pakistans, lebt ein Großteil der Familien von weniger als zwei Dollar am Tag. Die Glitzer-High-Society, die immer mal wieder in westlichen Medien in Verbindung mit Karatschi auftaucht, sie ist hier nur schwer zu finden. Slums reihen sich aneinander, den meisten staatlichen Gesundheitsstationen mangelt es an moderner medizinischer Ausstattung.

Wartezimmer im Freien: Vor dem großen Civil Hospital in KaratschiBild: DW/M. Merten

Erfolg Indiens als Ansporn

Den schwierigen Verhältnissen zum Trotz hat es sich die Globale Kampagne zur Ausrottung der Kinderlähmung (Global Polio Eradication Initiative, GPEI) - ein Zusammenschluss aus Weltgesundheitsorganisation, Rotary International, Unicef, dem Center for Disease Control in den USA und lokalen Partnern - auf die Fahnen geschrieben, noch härter zu arbeiten, um auch den letzten Meter zu schaffen. Auch Pakistan soll endlich das "Polio free"-Label erhalten, sagt Aziz Memon, Vorstand des Rotary PolioPlus-Ausschusses in Pakistan. Zu Beginn der GPEI-Kampagne im Jahr 1994 infizierten sich in Pakistan noch rund 20.000 Kinder pro Jahr mit dem Virus, 2015 ging die Zahl auf 54 Kinder zurück, in 2016 waren es nur noch 18 Fälle. "Wir sind nah dran, aber wir haben es noch nicht geschafft", betonte Aziz am Rande des Welt-Polio-Tages Ende Oktober auf einer Konferenz in Islamabad.  Indien, der ewige Rivale, verzeichnete den letzten Polio Fall in 2011, seit 2014 gilt das Land offiziell als poliofrei.

Um auch diese letzten Meter zu schaffen, laufen die Kampagnen in Pakistan im Rahmen der Ausrottungsinitiative inzwischen das gesamte Jahr hindurch, erklärt Emma Sykes, bei der WHO in Islamabad für Öffentlichkeitsarbeit rund um das Polio-Programm in Pakistan zuständig. Einmal pro Monat finden jeweils montags bis mittwochs von Tür zu Tür Impfrunden statt. Zusätzlich gibt es an einigen Orten wie kleinen Gesundheitszentren oder an Krankenhäusern feste Stützpunkte, an denen Familien ihre Kinder gegen das Polio-Virus impfen lassen können.  Von Donnerstag bis Freitag finden noch einmal "Von Tür zu Tür"-Impfrunden statt, um nach denjenigen Kindern zu fragen, die die Impfhelfer von Montag bis Mittwoch nicht finden konnten. Im Anschluss an diese fünf Tage diskutieren die Mitarbeiter der Anti-Polio-Kampagne, was gut gelaufen ist und was hätte besser laufen können.

Fröhliche Farben, aber prekäre Lage für die Kinder im Slum von KaratschiBild: DW/M. Merten

Kampf muss auch gegen Armut geführt werden

Seit 2015 verabreichen Impfhelfer Kindern in Gegenden, in denen die reine OPV-Gabe aufgrund schwacher Immunität nicht ausreicht, gleichzeitig inaktivierten Polio-Impfstoff (IPV). Inzwischen erhalten vier Millionen Kinder in Pakistan eine Kombination aus OPV und IPV. Künftig soll diese Zahl noch weiter ansteigen, erklärt Dr. Rana Safdar, nationaler Koordinator der Impfkampagne in Islamabad. Es werde alles getan, um das verheerende Virus endlich loszuwerden und das Vertrauen in die Impfungen bei den Familien zu schaffen.

Vertrauen alleine werde aber nicht ausreichen, sagt Tahir Aziz Shaikh, der in einem der 30 sogenannten kleinen "Town Health Center" in Karatschi arbeitet, gegenüber der DW. "Die Regierung in Pakistan muss die Armut bekämpfen", sagt der Arzt. Und die hygienischen Bedingungen müssten sich dringend verbessern. Dann werde sein Land auch endgültig die Kinderlähmung los.

 

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