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Politik

Corona als Chance für Online-Demokratie

17. Mai 2020

Noch nie war die Demokratie so digital: Bundestagsausschüsse per Videostream, Parteiversammlungen im Internet. Deutschland holt auf bei der Digital-Demokratie. Doch die Digitalisierung hat auch ihre Grenzen.

Deutschland | Digitaler Grünen-Parteitag zur Corona-Krise
Politik virtuell: die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert HabeckBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Deutschland digital; das geht - auch in der Politik. Die Grünen haben es Anfang Mai gezeigt, bei ihrem sogenannten Länderrat. Mehr als 100 Delegierte, 30.000 Zuschauer vor ihren Bildschirmen. Demokratie per Livestream mit Laptop und Headset. Auch wenn der Länderrat kein echter Parteitag ist, war er für die Grünen in Corona-Zeiten immerhin ein Format, das Funktionäre und die Basis zusammenbringen kann. Denn große öffentliche Veranstaltungen wie Parteitage sind wegen der Pandemie derzeit nicht erlaubt.

Politik virtuell: die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert HabeckBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Die beiden Parteivorsitzenden, Robert Habeck und Annalena Baerbock, standen mit Schutzmasken und auf Abstand vor Kameras in der Parteizentrale in Berlin. Die Delegierten waren aus dem ganzen Land zugeschaltet. Immer wieder einmal blieb der Ton weg oder das Bild fror ein. 

Digitalisieren oder Verschieben

Digitale Demokratie – Politikberater Martin Fuchs sieht Chancen und RisikenBild: Privat

Aber alles in allem, findet Martin Fuchs, Politikberater und Blogger, war der Verlauf der Veranstaltung durchaus "solide und okay". Fuchs schreibt in seinem Blog "Hamburger Wahlbeobachter" über Politik und digitale Kommunikation. Dass es solche Veranstaltungen wie die der Grünen überhaupt gibt, sagt er der DW, "das freut mich sehr, weil sich die Gesellschaft insgesamt immer schneller digitalisiert". Da müsse die Politik in Deutschland mithalten, die im internationalen Vergleich eher hinterherhinke.

Die deutschen Parteien haben ihre Parteitage, also das höchste Entscheidungsgremium, auf den Herbst oder Winter verlegt. Ausnahme: die kleine Schwesterpartei der CDU, die bayerische CSU. Sie will es den Grünen nun nachmachen, am 22. Mai ihren Parteitag digital abhalten. Die Partei hatte schon im vergangenen Jahr - lange vor Corona - ihre Parteistatuten so geändert, dass der Digitalparteitag nun den Vorgaben entspricht. Bayern eben: Lederhose und Laptop, wie die Parteiführung gern betont.

Die CSU-Staatsministerin für Digitalisierung im Kanzleramt, Dorothee Bär, ist stolz darauf. Die "CSU war schon immer Vorreiter, wenn es um digitale Parteiarbeit geht", sagt sie der DW. Der Digitalparteitag habe viele Vorteile, schon rein logistisch. Beispiel: die gesparte Anreise: "Ein Delegierter aus meinem Wahlkreis zum Beispiel sitzt da schon mal drei bis vier Stunden im Auto, um nach München zu kommen." Eine Umfrage in der CSU habe ergeben, so Bär, "dass sich 90 Prozent unserer Mitglieder mehr digitale Parteiarbeit wünschen".

Demokratie heißt Debatte und Begegnung

Sieht die CSU bei der Digitalisierung vorn: Staatsministerin im Bundeskanzleramt für Digitalisierung, Dorothee Bär (CSU)Bild: P. Blau

Aber der anstehende Parteitag der CSU zeigt auch die Grenzen der Digital-Demokratie deutlich auf. Zwar dürfen die Delegierten am 22. Mai über Anträge und Vorschläge abstimmen, nicht aber über Personal oder die Satzung. Das sei nach deutschem Parteienrecht nicht zulässig, erklärt Politik-Experte Fuchs: "Die Idee des Grundgesetzes ist es, dass Personalwahlen geheim stattfinden müssen", alles andere sei sehr schnell manipulierbar.

Virtuelle Parteitage, so Fuchs, seien nur eine "Zusatzmöglichkeit" für eine lebendige Demokratie. Parteitage könnten sie nicht ersetzen. Der Erlebnischarakter, die vollen, lärmigen Hallen, die Begegnungen auf den Gängen mit Unterstützern, Gegnern, Journalisten und fremden Menschen am Würstchenstand, das alles gehöre zu den Konventen dazu, zu denen sich oft weit mehr als 1000 Menschen in großen Hallen versammeln: "Parteitage leben eben nicht nur durch die Reden, sondern auch durch das Netzwerken. Solche Veranstaltungen sind der Kitt der Parteien", sagt Fuchs. Das Internet könne solche Veranstaltungen nicht ersetzen. Das sieht auch Staatsministerin Dorothee Bär so. "Muss er aber auch gar nicht. Ich kann mir für die Zukunft sehr gut ein Sowohl-als-auch vorstellen."

Auf Abstand: die Abgeordneten des Deutschen Bundestags bei der Regierungsbefragung am 13. MaiBild: Reuters/H Hanschke

Dennoch: Die Digitalisierung von Politik und Gesellschaft insgesamt sei "eine Chance", sagt Marco Buschmann von der Oppositionspartei FDP. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer ist Mitglied in einer Arbeitsgruppe des Bundestagspräsidenten, die die Digitalisierung im Parlament auch nach Corona voranbringen soll. "Wir haben im Moment eine enorme Chance, in Staat und Gesellschaft einen Digitalisierungsschub zu befördern, weil uns schlicht die Not dazu gezwungen hat, alte Vorbehalte aufzugeben", sagt Buschmann der DW. Corona als Chance.

Zum Beispiel werde in der Arbeitsgruppe darüber nachgedacht, an Video-Ausschuss- oder Fraktionssitzungen als Option festzuhalten und sogar Sitzungen des Parlamentes "digital zu ergänzen", etwa für Abgeordnete, die einer Hochrisikogruppe angehören und nicht im Plenum anwesend sein können. Für Buschmann sind das Debatten, "die wären vor einigen Wochen noch undenkbar gewesen".

Digital wählen? Da herrscht große Skepsis

Der Blogger, die CSU-Staatsministerin und der FDP-Politiker sind sich in einem einig: Wahlen sollen nicht digital werden, jedenfalls noch nicht. Blogger und Politikberater Fuchs sagt dazu: "Jeder digital denkende Mensch würde wohl die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn das käme. E-Voting oder Online-Voting ist viel zu angreifbar." Auch bei Digitalstaatsministerin Dorothee Bär überwiegt jetzt noch die Skepsis. Sie glaubt zwar, dass man die Wahlbeteiligung damit wohl erhöhen könnte, Manipulationen aber eben nicht ausgeschlossen wären: "Im Moment halte ich die technischen und verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf Online-Bundestagswahlen für noch nicht ausgeräumt." Aber generell kann sich Bär in der Zukunft Online-Abstimmungen vorstellen, wenn die Systeme manipulationssicherer sind. Für FDP-Geschäftsführer und Jurist Buschmann sprechen viele Grundsatzurteile des Verfassungsgerichtes eindeutig dagegen, "insbesondere der Grundsatz der Geheimheit der Wahl".

Deutschland ist mit der Digitalisierung von Politik, Verwaltung und der Arbeitsorganisation in der Corona-Krise ein gutes Stück vorangekommen: Videokonferenzen, digitale Fraktions- oder Ausschusssitzungen, E- Antragsformulare bei Ämtern und das Home-Office gehören nun schon fast zum Alltag. Eines dürfe aber nicht passieren, warnt Marco Buschmann von der FDP. Wenn es einen Impfstoff oder Medikamente gegen COVID-19 gebe, dass dann alle sagten: "Wunderbar, jetzt können wir weitermachen wie bisher!" Sonst könnte Deutschland schnell wieder hinterherhinken bei der Digitalisierung der Politik.

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