1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Politiker - ein lebensgefährlicher Beruf

17. Oktober 2021

Die Ermordung des britischen Parlamentsabgeordneten David Amess hat weltweit Bestürzung ausgelöst. Und macht erneut aufmerksam auf einen gefährlichen Trend: Die Bedrohung für Politiker nimmt zu - weltweit.

UK Leigh-on-Sea | Premierminister Johnson | Trauer im Mordfall David Amess
Premierminister Boris Johnson bei der Trauerfeier für den ermordeten Abgeordneten David Amess am 16. OktoberBild: Alberto Pezzali/AP/picture alliance

Morddrohungen, Hassmails, anonyme Anrufe: In den vielen Ländern sind Politiker bei ihrer Arbeit auf Polizeischutz angewiesen. Hier einige Aufsehen erregende Fälle der letzten Jahre.

Großbritannien

Der konservative Abgeordnete David Amess ist der zweite britische Politiker innerhalb von fünf Jahren, der ermordet wurde. Bereits im Juni 2016 wurde im Vorfeld des Brexit-Referendums ein Attentat auf die Labour-Abgeordnete Helen Joanne Cox ausgeübt. Sie war - ebenfalls während einer Bürgersprechstunde - von einem 52-jährigen Mann niedergestochen und angeschossen worden, der während seiner Attacke "Britain first" (Großbritannien zuerst) rief.

Der Tory-Politiker David Amess wurde am 15. Oktober während einer Bürgersprechstunde in einer Kirche in Essex erschossenBild: Matrix/imago images

Die britische Innenministerin Priti Patel erklärte, dass Abgeordnete sich durch das Attentat auf David Amess nicht einschüchtern lassen dürften. Die Polizei würde die Sicherheit der Abgeordneten verbessern.

"Wir machen weiter. Wir dürfen uns nicht davon abhalten lassen, unserer Demokratie zu dienen. Wir sind eine offene Gesellschaft", sagte sie dem britischen Sender BBC.

Doch die Angst sitzt tief. Die Labor-Abgeordnete Diane Abbott erklärte, dass sie künftige Treffen mit Bürgern lieber hinter einer Schutzscheibe abhalten würde. Und die Schwester der ermordeten Abgeordneten Joanne Cox, Kim Leadbeater, sagte der BBC, ihr Mann habe sie gebeten, ihr Unterhausmandat niederzulegen.

Niederlande

Fährt aus Sicherheitsgründen nicht mehr mit dem Fahrrad ins Büro: Mark Rutte, Ministerpräsident der NiederlandeBild: Robin Utrecht/dpa/picture alliance

In den Niederlanden sind Politiker durch organisierte Kriminalität und politische Spaltung bedroht. Es kursieren Hassmails oder Morddrohungen in den digitalen Netzwerken.

Ende September berichtete die Zeitung "De Telegraaf" darüber, dass Mark Rutte ins Visier der "Mocro Mafia" geraten sei. Die Sicherheit für den niederländischen Premierminister, der eigentlich gerne mit dem Fahrrad in sein Büro fährt, wurde verstärkt.

Gegen die marrokanisch-stämmigen Drogenbanden hatte bereits der Investigativ-Reporter Peter de Vries gekämpft. Er war zusammen mit anderen Kronzeugen, die in einem Gerichtsprozess gegen einen Drogenboss aussagen, im Juli dieses Jahres ermordet worden.

Der niederländische Politiker Pim Fortuyn wurde am 6. Mai 2002 in Hilversum erschossenBild: AP

Bereits 2002 war der rechtspopulistische Politiker Pim Fortuyn ermordet worden. Fortuyn vertrat kontroverse Standpunkte. So erklärte er die multikulturelle Gesellschaft für gescheitert und polemisierte gegen Tierschutz. Er wurde kurz vor den Parlamentswahlen 2002, bei denen er mit dem Slogan antrat, "Wählt mich, dann dürft ihr Pelzmäntel tragen", von einem niederländischen Umweltaktivisten erschossen.

Deutschland

Deutschland wird seit einigen Jahren von einer Reihe politischer Attentate erschüttert. In Köln wurde die parteilose Henriette Reker vor dem Tag ihrer ersten Wahl zur Oberbürgermeisterin von Köln am 17. Oktober 2015 von einem Attentäter mit rechtsextremem Hintergrund angegriffen und schwer verletzt. Reker überlebte das Attentat.

Henriette Reker überlebte das Attentat und setzt ihre Arbeit als Oberbürgermeisterin von Köln fortBild: picture-alliance/dpa/F. Gambarini

Zwei Jahre später traf es den Bürgermeister von Altena. Andreas Hollstein, von 1999 bis 2020 im Amt, wurde am 27. November 2017 in einem Döner-Imbiss der Stadt von einem betrunkenen 56-jährigen Mann mit einem Messer angegriffen, der gegen die Aufnahme von Flüchtlingen in der Stadt wetterte. Der Angreifer wurde von dem Besitzer des Imbisses und seinem Sohn überwältigt, Hollstein überlebte das Attentat.

Wie gefährlich rechtsradikale Netzwerke sind, zeigte erneut das tödliche Attentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 1. Juni 2019. Der CDU-Politiker wurde vor seinem Haus von dem Rechtsextremisten Stephan Ernst erschossen.

Einen Monat später, im Juli 2019, klagten Bürgermeister aus ganz Deutschland bei einem vertraulichen Treffen mit Bundespräsident Walter Steinmeier über die wachsende Anzahl von Bedrohungen, Hassmails, Beleidigungen und mangelnden Polizeischutz. 

Nach Angaben des Bundesinnenministeriums wurden im Jahr 2020 insgesamt 1534 Straftaten gegen Politiker und Parteimitglieder in Deutschland verübt. Gegenüber 2019 bedeutet diesen einen Anstieg von neun Prozent.

Brasilien

Personenschutz gehört in Brasilien für viele Politiker zum Alltag, sowohl auf Gemeindeebene als auch für Abgeordnete und Minister. In dem größten südamerikanischen Land ereigneten sich vor den Präsidentschaftswahlen 2018 zwei brutale politische Mordanschläge.

Am 14. März wurde die Stadträtin Marielle Franco aus Rio de Janeiro in ihrem Auto erschossen. Die Politikerin, Mitglied der brasilianischen "Partei Sozialismus und Freiheit" (Psol), hatte seit Jahren gegen willkürliche Polizeigewalt und außergerichtliche Hinrichtungen gekämpft. Sie war 2016 erneut ins Stadtparlament gewählt worden. Der Mord ist bis heue nicht aufgeklärt.

Gedenken an die ermordete Politikerin Marielle Franco drei Jahre nach ihrem Tod in Sao PauloBild: Amanda Perobelli/REUTERS

Der Täter der Attacke gegen Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hingegen wurde gefasst. Bolsonaro war am 6. September 2018 bei einem Wahlkampftermin in der Innenstadt von Rio de Janeiro mit einem Messer in den Bauch gestochen worden. Der Täter stammt aus dem linken politischen Lager und erklärte, er habe die Tat "auf Wunsch Gottes" begangen.

USA

In den USA hat die Spaltung der Gesellschaft zur Gewaltbereitschaft im rechten und linken politischen Lager gleichermaßen beigetragen. Die Demokratin Gabrielle Dee Giffords wurde am 8. Januar 2011 in einem Vorort der Stadt Tucson im US-Bundesstaat Arizona von einem 22-jährigen Mann angeschossen.

Bei dem Attentat, das während einer öffentlichen Veranstaltung stattfand, starben sechs Menschen, darunter ein neunjähriges Mädchen. Giffords zog sich nach ihrer Genesung aus der Politik zurück und setzt sich seitdem für strengere Waffengesetze ein.

Überlebt: Der Republikaner Steve Scalise fährt mit einem elektrischen Rollator zur Abstimmung im RepräsentantenhausBild: picture-alliance/dpa/AP/J. S. Applewhite

Der republikanische Kongressabgeordnete Steve Scalise aus Louisiana überlebte ebenfalls ein politisches Attentat. Er wurde am 14. Juni 2017 auf einem Baseball-Turnier angeschossen. Der Täter stammte aus dem linksextremen Lager. Scalise gilt als Trump-Anhänger und erkennt den Wahlsieg von Joe Biden bis heute nicht an.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen