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Politik

"Lieber ein Ende mit Schrecken"

Wolfgang Dick
20. November 2017

Die Sondierungsgespräche zwischen Union, Grünen und FDP sind nach dem Ausstieg der Liberalen erst einmal gescheitert. Das Platzen der Koalitionsmöglichkeit war notwendig, meint der Politkwissenschaftler Christian Hacke.

Deutschland Jamaika-Koalition Abbruch Sondierungsgespräche | Christian Lindner, FDP
Kehrt einer Jamaika-Koalition den Rücken: FDP-Chef Christian LindnerBild: Getty Images/AFP/O. Andersen

DW: Inwieweit schadet das Scheitern der Sondierungen den demokratischen Parteien, vielleicht sogar der Demokratie an sich?

Hacke: Es ist schwer abzuschätzen, aber ich glaube, dass der Imageschaden schon enorm ist. Und ich muss sagen, als ich mir diese Nacht die Nachrichten ansah, habe ich richtig aufgeatmet und gesagt: Endlich! Lieber ein Ende mit Schrecken als Schrecken ohne Ende. Das war die letzten Wochen nicht mehr mit anzusehen, denn es war völlig absehbar, dass es keine Einigung geben würde. Da haben die Akteure immer ihre Gemeinsamkeiten beschworen, aber man wusste, sie bewegen sich nicht aufeinander zu. Das war erschreckend. Ich denke, dass sich eine Verdrossenheit über den Staat und die Parteien bei der breiten Bevölkerung deutlich gezeigt hat.

Inwieweit ist dies jetzt das Ende der geschäftsführenden Kanzlerin Angela Merkel?

Prof. Christian Hacke: "Merkel hätte führen müssen"Bild: Uni Bonn

Die Kanzlerin hätte von Anfang an wissen müssen, dass sie kein Gespann vor sich hat mit vier Pferden, die in dieselbe Richtung laufen, sondern mit vier Pferden, die in unterschiedliche Richtungen wollen. Sie hätte von Anfang an die sachpolitischen Zielvorgaben klarmachen müssen, dann hätten sich die Parteien innerhalb einer Woche melden müssen, ob man sich einigen kann oder nicht. Sie hätte führen müssen. Das hat sie aber nicht getan. Ihr einziges Ziel war Machterhalt um jeden Preis. Ich würde mich nicht wundern, wenn dies die Götterdämmerung für die Kanzlerin ist.

Haben Sie eine Vermutung, wie sich der Bundespräsident entscheiden wird?

Er hat sich ja schon sehr weit hinausgelehnt, indem er die Kontrahenten aufgefordert hat, sich zu einigen und dass mit dem Thema Neuwahlen nicht gespielt werden sollte. Das war sehr kühn. Er wird nun letztlich, wenn die Kanzlerin auf ihn zukommt, auf Neuwahlen eingehen müssen. Das hängt jetzt davon ab, was weiter in den Sondierungen der Kanzlerin passiert. Eine schwarz-grüne Regierung halte ich jedenfalls für völlig ausgeschlossen. Die SPD hat eine große Koalition abgelehnt. Wie groß der Machthunger dort dann doch ist, kann man jetzt noch nicht sagen.

Inwieweit dürfte die jetzige Situation den Linken und der AfD nutzen?

Der große Gewinner bei Neuwahlen, das steht jetzt schon fest, dürfte die AfD sein. AfD-Wähler werden noch viel verdrossener sein und werden diese Situation für sich zu nutzen wissen. Das war einfach ein unwürdiges Schauspiel, wie ich es in der Geschichte der Bundesrepublik mit Blick auf Situationen nach einer Wahl noch nie erlebt habe.

Welche politischen Möglichkeiten halten Sie denn jetzt für am wahrscheinlichsten ?

Ich glaube, dass es nicht zu einer Minderheitsregierung kommen wird. Das sind ja über zwanzig bis dreißig Stimmen, die immer fehlen. Damit können Sie keine regierungsfähige Politik betreiben. Mehrheiten muss es schon geben. Wenn das nicht ist und die große Koalition auch ausfällt als Alternative, dann bleibt einfach nichts anderes, als Neuwahlen herbeizuführen. Dann kann man den Verantwortlichen jetzt nur raten, dass sie aus den letzten Wochen gelernt haben. Die Bevölkerung erwartet, dass rasch eine neue Regierung zustande kommt. Neuwahlen müssen deshalb so schnell wie möglich angesetzt werden.

Welches Signal sendet diese Entwicklung ins Ausland ? Immerhin stehen ja auch noch einige wichtige außenpolitische Entscheidungen im Bundestag an.

Der erste Aspekt ist ja, dass bei den Verhandlungen der vergangenen Wochen Außenpolitik überhaupt keine große Rolle spielte. Wir sind so provinziell geworden. Dieses Land ist so mit sich selbst beschäftigt, mit Nebensächlichkeiten in der Innenpolitik, dass die großen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, also Schlüsselfragen, nicht im Ansatz besprochen wurden. Der zweite Aspekt, dass die Bundesrepublik fast regierungsunfähig ist, in der Mitte Europas, wird im Ausland sehr skeptisch wahrgenommen. Schlimmer kann es gar nicht sein. Minderheitsregierungen sind natürlich über kurz oder lang zum Tode verurteilt, weil sie keine eigenen Mehrheiten haben. Das als Notlösung ins Auge zu fassen, halte ich für mehr als waghalsig.

Prof.Christian Hacke ist Politikwissenschaftler und lehrte an der Universität der Bundeswehr sowie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Er ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Das Gespräch führte Wolfgang Dick.

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