1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Literatur

Politischer wacher Erzähler: Saša Stanišić

28. September 2016

In seinem aktuellen Buch "Fallensteller" erweist sich Saša Stanišić als hintergründig witziger Geschichtenerzähler. Dafür bekam er den Rheingau-Literaturpreis, für das "Meisterstück eines Sprachvirtuosen".

Autor Saša Stanišić Lesung
Bild: DW/ M.Smajic

Tief im Osten Deutschlands, in der Uckermark, in der auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel beheimatet ist, spielt eine der Erzählungen von Saša Stanišić. Dort wo sich Hase und Igel gute Nacht sagen, wo die Öde der verlassenen Dörfer jeden Besuch eines Fremden zur Sensation werden lässt.

Und eines Tages taucht in diesem brandenburgischen Dorf ein Mann auf: "Knollennase, hinten Zopf, vorne Glatze, schwarzer Mantel mit hohem Kragen, wie aus einem Jahrhundert, in dem die Männer Beinkleider trugen. Unter dem Arm ein Käfig." Unvermittelt steht dieser aus der Zeit gefallene Herr, ein Fallensteller, auf einmal in der Sonne, direkt vor der Garage, in der sich Ulli und seine Kumpels schon nachmittags treffen. "Wir trinken in Ullis Garage, weil nirgends sonst Sitzgelegenheiten und Lügen und ein Kühlschrank so zusammen kommen, dass es für Männer miteinander und mit Alkohol schön und gleichzeitig nicht zu schön ist."

Der unheimliche Fremde hat dem neuen Buch den Titel gegeben: Im "Fallensteller" hat Stanišić (37) den Spielort seines vorherigen Romans nochmal aufleben lassen: "Fürstenfelde, Brandenburg. Einwohnerzahl ungerade. Bei uns am Ortseingang steht ein Schild: 'Jetzt wird's schön'. Anzahl der auf der aktuellen Wanderkarten als sehenswerte Einzelbäume gekennzeichneten Bäume: zwei."

Begnadeter Vortragskünstler

Knapp 100 Lesungen absolviert der Schriftsteller Saša Stanišić inzwischen jedes Jahr. Er ist ein sehr gefragter Gast für unterhaltsame Lesungen. Sein Debütroman "Als der Soldat das Grammophon reparierte" (2006) wurde in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Mit dem zweiten Roman wurde er zum Shooting Star der Buchbranche, der Preis der Leipziger Buchmesse machte ihn 2014 erstaunlich schnell auch international bekannt. Doch der Autor genießt in aller Bescheidenheit seinen Ruhm.

Saša Stanišić freut sich über den Leipziger BuchpreisBild: picture-alliance/dpa

Das Handwerk des professionellen literarischen Schreibens hat Stanišić am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig gelernt. Die intensive Arbeit an seinen Texten zeigt ihm, wie viel mehr ein Autor über all das nachdenken muss, was zwischen den Zeilen mitschwingt. Beim Schreiben ist er am liebsten von Leuten umgeben, erzählt er im DW-Interview. "In Hamburg, wo ich mittlerweile lebe, gehe ich sehr oft in die Ärztliche Zentralbibliothek. Die lernen da wie wahnsinnig, da kann ich mich gut konzentrieren. Um nicht aufzufallen, nehme ich mir immer ein paar medizinische Bücher aus dem Regal."

"Das Wort angucken, und das Wort guckt zurück"

Stanišić lässt seine Protagonisten literarisch auch durch die Welt reisen. Jeder ist irgendwie auf der Flucht - vor irgendwas oder irgendwohin. Ferdinand Klingenreiter lernen die Leser kennen, einen alternden Zauberkünstler, der auf der Bühne des Gemeindesaals gegen seine Versagensängsten kämpft. Mo, den chaotischen Reisefreak, der sich immer in die falschen Frauen verliebt - mit Vorliebe Menschenrechtsaktivistinnen.

Dann ist da noch Meerrettich-Michael und Georg Horvath, Geschäftsmann aus Deutschland, der nach Brasilien fliegt, um dort die Übernahme einer heimischen Brauerei einzufädeln. "Zuviel Inflight-Riesling und seit dreißig Stunden keinen Schlaf und ein Sitznachbar aus Fernost, der sich jetzt schon wieder ein Bonbon in dem Mund schiebt."

Georg ist kein nervöser Mann, aber die stoische Ignoranz seines Flugnachbarn macht ihn fertig. Das Anstrengendste an diesen Geschäftsreisen, so legt es Stanišić seinem Protagonisten in den Mund, sei der ewige Small Talk und die Enge der Flugsitze. "Georg Horvath zieht die Schuhe an, stöhnt in die Schnürsenkel. Mehr Sport, weniger Kohlenhydrate. In der Business Class ist niemand dick. In der Business Class sind alle Business Class."

"Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren"

Saša Stanišić ist ein bühnenreifer Erzähler. Wie bei einem Poetry Slam, an den seine Lesungen erinnern, wird ohne Ende gelacht. Der Schriftsteller selbst kann sich manchmal vor Lachen kaum noch auf den Text konzentrieren. Es vergeht keine Seite ohne sprachliche Überraschungen. Auf einmal taucht mittendrin ein Sprachbild, ein kleine Philosophie des Alltags, aus dem Fluss der Erzählung auf: "Das Sympathische an Fischen ist ihre konstante Niedergeschlagenheit. Es gibt den fröhlichen Fisch nicht."  Und der Schriftsteller weiß, wovon er spricht. Schon als Kind, in seiner Heimat Bosnien, war er passionierter Angler, erzählt er im DW-Interview. Er liebt die Stille am Ufer des Flusses, die den Gedanken keinen Widerstand auferlegt.

Folgenreicher Bestseller: Inzwischen ist das Dorf schon Pilgerstätte für Saša Stanišić-FansBild: picture-alliance/dpa

Die ersten Geschichten schreibt Saša mit 12 Jahren auf serbo-kroatisch. Er ist vierzehn Jahre alt, als seine Eltern mit ihm 1992 aus dem Krieg in Bosnien nach Deutschland fliehen. Zum Glück landen er und seine Mutter in Heidelberg. Der Förderunterricht an der Internationalen Gesamtschule dort eröffnet ihm schnell neue Sprachwelten und er lernt auf Deutsch zu schreiben. "Ich fand diese Zeit unheimlich hilfreich, weil ich nicht überfordert war, sondern erstmal zwei, drei Monate Zeit hatte, um überhaupt in der deutschen Sprache anzukommen."

Stanišić: "Den Prozess des Schreibens genieße ich sehr:"

Stanišić erhielt am Sonntag (24.09.2016) den Rheingau Literaturpreis 2016. Stolz hält er auf der Bühne im hoteleigenen Vortragssaal die Urkunde hoch, wie der Sieger eines Marathonlaufs. Der Preis, mit 10.000 Euro und 111 Flaschen edlen Weins aus der berühmten deutschen Weinregion dotiert, sei noch nie für einen Erzählband vergeben worden, begründet Jurymitglied Heiner Boehnke die Entscheidung. Aber die literarischen Geschichten von Saša Stanišić seien einfach zu gut. Er habe damit das "Meisterstück eines Sprachvirtuosen" abgeliefert. Der Autor bedankt sich mit einer Kostprobe seiner Vortragskunst. Die Lacher sind auf seiner Seite.

Mittendrin erzählt er von den Spätfolgen seines letzten Romanes "Vor dem Fest", der mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet und dadurch mit einem Schlag bekannt wurde. „Das führte dazu, dass Leute ein vermehrtes Interesse an dem echten Dorf entwickelt haben, sich auf ihr Fahrrad geschwungen haben und in die Nordwest-Uckermark gefahren sind. Es kam zu einem richtigen Literatur-Tourismus nach Fürstenfelde in Brandenburg." Alles lacht. 

„Jede Heimat ist nur eine zufällige"

Für den Schriftsteller Saša Stanišić ist die eigene Fluchtgeschichte aus dem Jugoslawienkrieg immer präsent. "So viel erinnert an 1992, an unsere Flucht nach Deutschland, an Ungewissheiten unterwegs, das Ausgeliefertsein, Fußmärsche, Angst", schreibt er in seinem Blog "kuenstlicht". Er sei unendlich dankbar, sagt er immer wieder in Interviews, dass er soviel Chancen in Deutschland hatte, hier studieren konnte - und jetzt als erfolgreicher Schriftsteller eine Stimme hat, die gehört wird. Das findet auch Eingang in seine Literatur: "Jede Heimat ist eine zufällige. Dort wirst du halt geboren, hierhin vertrieben, da drüben vermachtest du deine Nieren an die Wissenschaft. Glück hat, wer den Zufall beeinflussen kann."

Das neueste Werk des AutorsBild: Pegasus

In seinen inzwischen sehr erfolgreichen Büchern kommt bei aller literarischen Situationskomik seine politische Wachheit durch. "Mehr Literaten als Nazis", beschreibt er im "Fallensteller" das kleine Dorf in der Uckermark. "Fürstenfelde ist mehrheitlich unbesorgt..Immerhin sind fünf syrische Flüchtlinge in die zwei gezogen, direkt gegenüber von der Garage. Babylonisches Sprachengewirr, wenn die Säufer, die Einheimischen, die Berliner und die Syrer zusammenkommen."

"Ich träume gern Verlierer", lässt der Schriftsteller am Schluss seiner Rede im Hotelsaal der Burg Schwarzenstein die amüsierten Zuhörer wissen. Der Hintersinn seiner Worte blitzt kurz im Augenwinkel auf. "Ich gebe Ihnen in meiner Geschichte eine Perspektive", setzt er nach einer dramaturgisch wirksamen Pause dazu. Sein Blick wird nachdenklich und ernst. Stille für einen Moment, der Satz schwingt nach. Das ist ihm wichtig. 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen