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Politik

Politische Krise in Peru spitzt sich zu

15. November 2020

Nach dem Rücktritt von Übergangspräsident Merino hat Peru keinen Staats- und Regierungschef mehr. Zuvor hatte es bei Massenprotesten gegen die Absetzung von Präsident Vizcarra Tote und zahlreiche Verletzte gegeben.

Peru Lima | schwere Ausschreitungen nach Entmachtung von Präsident Vizcarra
Bild: Sebastian Castaneda/REUTERS

Nach nur fünf Tagen im Amt hat der peruanische Übergangspräsident Manuel Merino seinen Rücktritt erklärt. Er reagierte damit auf die Proteste gegen die Absetzung seines Vorgängers Martín Vizcarra und Rücktrittsforderungen des Parlaments. Bei den Protesten war es zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen. Mehr als hundert Demonstranten wurden verletzt, zwei junge Männer im Alter von 22 und 24 Jahren starben durch Polizeigewalt. 

Angesichts des Entsetzens über das Blutvergießen auf den Straßen reichten alle Minister von Merinos Kabinett ihren Rücktritt ein. Der Übergangs-Parlamentspräsident Luis Valdez stellte Merino ein Ultimatum bis zum Sonntagabend (Ortszeit), zurückzutreten. Andernfalls werde es ein Vertrauensvotum geben. Das Parlament nahm Merinos Rücktritt mit 120 zu 1 Stimmen an.

Später trat Valdez, der für die Nachfolge des Präsidenten als nächster an der Reihe war, selbst zurück. Damit wurde der Weg frei für eine Neuwahl des Parlamentsvorstands, der den neuen Übergangsstaatschef bestimmen soll. Allerdings kamen bei einer Abstimmung im Kongress zunächst nicht genügend Stimmen für einen neuen Vorstand zusammen.

Vargas Llosa: "Repression muss aufhören"

Zuvor hatte sich auch der peruanische Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa in die Debatte eingeschaltet. "Es ist absurd und dumm: Die beiden Jugendlichen haben friedlich demonstriert und sind zu Unrecht von Sicherheitskräften erschossen worden", erklärte er gegenüber der spanischen Nachrichtenagentur efe. "Diese Repression muss aufhören."

Merino, ehemaliger Chef des peruanischen Kongresses, hatte einen Tag nach der Absetzung von Präsident Vizcarra wegen "dauerhafter moralischer Unfähigkeit" durch den Kongress am 9. November das Präsidentenamt übernommen. Vizcarra wird vorgeworfen, in seiner Amtszeit als Gouverneur von 2011 bis 2014 im Südosten des Landes Bestechungsgelder von Baukonzernen angenommen zu haben.

Interimspräsident Manuel Merino bei seiner Amtseinsetzung am 10. November im Kongress von Peru Bild: REUTERS

Beliebt beim Volk, unbeliebt im Parlament

Doch im Gegensatz zum peruanischen Kongress ist Vizcarra bei der Bevölkerung außerordentlich beliebt. In den letzten Umfragen erreichte der Ex-Präsident Zustimmungswerte von rund 60 Prozent, das peruanische Parlament hat lediglich Beliebtheitswerte von 15 Prozent.

Nach der Absetzung Vizcarras ist im Land eine öffentliche Debatte darüber entbrannt, ob diese wirklich rechtmäßig war. Kritiker werfen dem Kongress vor, seine Macht politisch missbraucht zu haben und sprechen von einem Staatsstreich.

"Es gibt Zweifel an der Unschuld Vizcarras und die Leute, die auf die Straße gehen, wollen, dass die Vorwürfe gerichtlich geklärt werden", sagt der politische Analyst Alonso Gurmendi von der Pazifik-Universität in Lima im DW-Gespräch. Doch dies müsse nach dem Ende seines Mandates geschehen, so wie es die Verfassung vorschreibe. "Deswegen lehnen die Leute Merino als Präsident ab", erklärt er.

Für den Politologen Fernando Tuesta von der Katholischen Universität Perus war die Absetzung von Vizcarra "ganz klar nicht verfassungskonform." Es sei unmöglich, den Begriff "moralische Unfähigkeit" objektiv zu belegen. "Mit der Abstimmung wurden 20 Jahre kontinuierliche Demokratie in Peru in die Tonne getreten", sagt Tuesta.

"Problematischer Präzedenzfall"

Gemäß Artikel 113 der Verfassung Perus kann das Präsidentenamt nur dann unbesetzt bleiben, wenn der Amtsinhaber verstirbt, freiwillig zurücktritt, das Land unerlaubt verlässt und nicht im vorgeschriebenen Zeitraum zurückkehrt, oder wenn der Kongress ihm "anhaltende moralische Unfähigkeit" attestiert. 

Beliebt beim Volk: Der abgesetzte Präsident Martin Vizcarra darf in den kommenden 18 Monaten nicht das Land verlassen Bild: Alonso Chero/Zumapress/picture alliance

Ein weiterer Grund für eine Amtsenthebung sind Straftaten, die nicht unter die präsidiale Immunität fallen und im Artikel 117 der Verfassung geregelt sind. Dort ist festgelegt, dass der Präsident während seiner Amtszeit nur wegen fünf Vergehen angeklagt werden kann: Vaterlandsverrat, Verhinderung von Wahlen, Auflösung oder Verhinderung der Zusammenkunft des Kongresses, und Behinderung der Arbeit von Wahlorganen.

Die auf Verfassungsrecht spezialisierte peruanische Anwältin und Journalistin Rosa María Palacios glaubt, dass der peruanische Kongress einen "problematischen Präzedenzfall" geschaffen hat. "Die vermeintlichen Straftaten Vizcarras dürften nicht während seiner Amtszeit untersucht werden. Die Absetzung ist ein verschleierter Staatsstreich", sagt Palacios im DW-Gespräch. 

Der politische Analyst Alonso Gurmendi stimmt ihr zu: "Wenn der Kongress von jetzt an mit zwei Dritteln seiner Abgeordneten immer darüber entscheiden kann, dass ein Präsident unmoralisch handelt, hat Artikel 117 ausgedient", sagt er der DW. "Denn es ist nirgendwo genau definiert, was unmoralisch für den Kongress bedeutet."

Bereits am 12. November demonstrierten Tausende Peruaner in Lima gegen die Absetzung von Präsident Vizcarra. Bild: Rodrigo Abd/AP Photo/Alex Rosemberg

Das letzte Wort

Das letzte Wort hat nun das Oberste Peruanische Verfassungsgericht, das am 18. November über Vizarras Einspruch entscheidet. Experten hoffen darauf, dass die Richter dem Parlament bei der Verwendung des Begriffs der "dauerhaften moralischen Unfähigkeit" und der daraus folgenden möglichen Absetzung eines Staatsoberhauptes Grenzen aufzeigen. 

Auch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), der 35 Staaten aus Nor- und Südamerika angehören, hat angesichts der politischen Krise in Peru das Verfassungsgericht darum gebeten, die Entscheidung des Parlamentes auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu prüfen. Vizcarra darf unterdessen laut Gerichtsentscheid wegen strafrechtlicher Ermittlungen das Land in den nächsten 18 Monaten nicht verlassen.

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