Er war der erste Star der Street-Art-Szene. Am 4. Mai wäre er 60 geworden, doch er starb mit 31. Die Ausstellung "Keith Haring. The Alphabet" in Wien zeigt die anhaltende Relevanz seiner ikonischen Kunstwerke.
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Kunst als Aktivismus: Keith Harings politische Botschaft
Am 4. Mai hätte er seinen 60 gefeiert, doch er starb 1990. Keith Haring war in der New Yorker Popkunst-Szene berühmt für seine schlichten Zeichnungen mit beißender politischer Kritik.
Bild: The Keith Haring Foundation
Von Hieroglyphen inspiriert
Keith Haring war von altägyptischen Hieroglyphen fasziniert. Er ließ sich davon inspirieren und entwickelte eine eigene Kommunikationsform, die mit sparsamen Zeichen und Linien auskommt. "Innerhalb aller Formen wohnt eine Grundstruktur mit wenigen Linien, die auf das Gesamtobjekt hinweist und selber zum Symbol wird", sagte er 1978.
Bild: The Keith Haring Foundation
John Lennons Tod hinterließ eine Lücke
Haring war vor allem ein Künstler, der auf die brisantesten Themen seiner Zeit reagierte. Dieses Gemälde mit Vinyllack auf Plane war Harings Antwort auf die Ermordung John Lennons am 8. Dezember 1980. "Am nächsten Morgen wachte ich auf und hatte dieses Bild im Kopf - ein Mann mit Loch im Bauch - und habe das Bild immer mit John Lennons Tod in Verbindung gebracht", sagte er.
Bild: The Keith Haring Foundation
Hundejagd
Haring wurde zwar von Graffitikünstlern inspiriert, sah sich jedoch selbst nicht als einer. Ein Bild, das für ihn zum Markenzeichen wurde, ist der Umriss eines Tieres, das im Laufe seiner Arbeit mehr und mehr einem Hund ähnelte. In seinen späteren Werken erscheint dieses Tier mitunter als Mensch, der auf allen Vieren kriecht.
Bild: The Keith Haring Foundation
Die Liebe geht über den Konsum: Andy Mouse
Ein einfaches rotes Herz gehört zu Harings typischen Bildmotiven. Hier symbolisiert es ein Risiko, das zwei Menschen eingehen wollen. Rechts steht Andy Mouse. Diese Figur ist zwar von Disneys Mickey Mouse abgeleitet, zugleich aber eine Huldigung an den Popkünstler Andy Warhol. In diversen Kontexten gilt Andy Mouse als Kritik an Massenkonsum und Popkultur.
Bild: The Keith Haring Foundation
Massenverbreitung durch Medien
Haring war wie sein Zeitgenosse Neil Postman, Autor des Buches "Wir amüsieren uns zu Tode", ein visionärer Kritiker von Fernsehern und Computern. Hier sieht man eine Raupe mit Bildschirmkopf. Das Gemälde aus dem Jahr 1983 enthält für Haring typische Symbole, die eine Warnung aussprechen: Maschinen stellen für Menschen eine akute Gefahr dar und könnten das Ende ihrer Existenz bedeuten!
Bild: The Keith Haring Foundation
Tödliches Kreuz
In Harings von Zeichen geprägter Kulturkritik taucht das Kreuz häufig als Todesort oder Todeswaffe auf. In diesem Bild steht es sinnbildlich für die Bewegung der evangelikalen Christen, die in den frühen 1980er Jahren die USA mit ihren im Fernsehen verbreiteten Botschaften überzog. In Interviews warnte der Künstler vor Dogmatismus und "Herrschaftsreligionen."
Bild: The Keith Haring Foundation
Der X-Mann
Ist das X als Zielscheiben-Markierung zu verstehen? Oder einfach als Buchstabe? Buchstaben sind ein Leitmotiv in Harings Arbeit: Demnach wird die aktuelle Ausstellung in der Wiener Albertina "The Alphabet" genannt. Hier scheint die X-Form eine Massen-Mentalität zu repräsentieren, die einen Menschen auseinander reißen kann.
Bild: The Keith Haring Foundation
Kreideumrisse mit politischer Aussage
In den USA waren die turbulenten Achtziger von Aids, militärischen Eingriffen und der ungebändigten Habgier-Kultur der Wall Street geprägt: Alle drei Themen kommen in diesem Bild vor.
Bild: The Keith Haring Foundation
Der Affe als goldenes Kalb
In Anklang an die biblische Geschichte vom Tanz um das goldene Kalb wird hier ein Affe von einer Menschenmasse angebetet. Affen kommen in Harings Werken öfter vor, insbesondere bei seinen Werken zugunsten von ACT UP, einer Gruppe von Aktivisten, die Betroffene mit der Immunschwäche Aids unterstützten.
Bild: The Keith Haring Foundation
Unbenanntes Selbstportrait (1985)
Haring suchte ganz früh nach Gelegenheiten, seine Kunst einem breiten Publikum zugänglich zu machen - und fand sie auf den leeren, schwarzen Plakatwänden der New Yorker U-Bahn-Stationen in den frühen 1980er Jahren. Graffitis war bereits an jeder Ecke zu sehen, aber Haring machte es anders: Statt Stiften benutzte er Kreide und machte temporäre Zeichnungen wie dieses Selbstportrait.
Bild: The Keith Haring Foundation
Künstler bei der Arbeit
Beim Malen ging Haring ähnlich vor wie einst Pablo Picasso. Picassos Sohn Claude schilderte das so: "Er blieb ganz nah am Bild, malte von oben bis unten, beugte die Knie und trat kein einziges Mal zurück, um zwischendurch zu schauen, wie es aussah. Nur nachdem alles bedeckt war, ging er ein paar Schritte zurück. Dann war er fertig, und daraus ist ein wunderbares Gemälde geworden."
Bild: Nationaal Archief
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Alles grober, rauer, industrieller: Aus der heutigen Perspektive kann man sich die Stadt New York in den späten 1970er und frühen 80er Jahren nur schwer vorstellen. Die mit Graffitis vollgeschmierten U-Bahnen standen in denkbar großem Kontrast zu den polierten schwarzen Limousinen, die Promis die Fifth Avenue entlang kutschierten. Diese Extreme bildeten die Kulisse für die außergewöhnlichen Kunstwerke Keith Harings.
Erfindung des 'Haring-Alphabets'
Der im Bundesstaat Pennsylvania geborene Künstler ging 1978 als 20-Jähriger nach Manhattan und besuchte dort die "School of Visual Arts". Er machte zwar keinen Abschluss, doch zu seinen Dozenten gehörten Künstler wie Joseph Kosuth und Simone Forti, die ihn anregten, Kunst zu machen, die eine Antwort auf den Zeitgeist und aktuelle Themen gibt.
Zunächst schuf Haring Collagen in öffentlichen Räumen. Sie bildeten Persönlichkeiten der Zeitgeschichte ab, wie etwa Ronald Reagan oder Papst Johnnes Paul II. Unbenutzte Reklametafeln in U-Bahn-Stationen sah er als leere Leinwände an und bemalte deren schwarze Oberflächen mit weißer Kreide. So entstanden die charakteristischen linienförmigen Figuren, die Haring berühmt machten.
Keith Harings Zeichensprache - sein hieroglyphenartiges, persönliches "Alphabet" - war von Bildern aus seiner Kindheit geprägt, wie man ihnen in den Kinderbüchern von Dr. Seuss oder den Zeichnungen von Walt Disney begegnet. Seine Kreationen muten deshalb selbst wie Cartoon-Zeichnungen an.
Pop-Art-Politik
Insgesamt 100 seiner Werke kann man noch bis zum 24. Juni in der Ausstellung "Keith Haring. The Alphabet" im Albertina Museum in Wien sehen: von der U-Bahn-Kunst bis hin zu Zeichnungen, Skulpturen und Gemälden. Im Fokus sind Stücke, die mit sozialem Wandel und Gesellschaftsthemen zu tun haben.
Er wohnte erst zwei Jahre in New York, da hatte Haring sich bereits einen Namen in der lebendigen lokalen Kunst- und Kulturszene gemacht. Zu seinen engsten Freunden gehörte der erste schwarze Superstar der Kunstszene, Jean-Michel Basquiat. Er arbeitete mit Grace Jones an einem Modeprojekt zusammen und bemalte ihren Körper. Er war auch mit Andy Warhol befreundet und ging mit ihm 1985 Arm in Arm zur Hochzeit von Madonna und Sean Penn.
Keith Harings Werke spiegelten das Leben in New York wider und hielten wichtige Momente der Popkultur fest. Seine grob skizzierte Antwort auf Mickey Mouse gilt als Kapitalismus- und Konsumkritik. Er nannte die Figur Andy Mouse: Es war eine Huldigung an Warhol.
Die vielleicht bekanntesten seiner Figuren waren die gelben Zeichnungen von Menschen, die in hektischer Bewegung sind: Ihre Arme und Beine wedeln zur Seite oder sind in die Höhe gestreckt, als ob sie gerade einen Breakdance ausführten. Ein weiteres Motiv war der Hund mit spitzem Kopf, der als Harings "street tag", seine persönliche Handschrift, galt.
Der Künstler warf einen kritischen Blick auf Themen wie die Apartheid in Südafrika oder den Kalten Krieg sowie Militär, Großindustrie, HIV/Aids und die Rechte von Schwulen und Lesben. Obwohl seine Zeichnungen ohne Worte auskamen, waren Harings politischee Überzeugungen unmissverständlich: Dollarzeichen standen stellvertretend für die allzu typische Gier der Menschen, mit Pilzwolken plädierte er für die nukleare Abrüstung. Durch die klare politische Haltung wurde man in Europa auf den Künstler aufmerksam. Er wurde eingeladen, in Städten quer durch Europa zu malen, auch an der Berliner Mauer.
Todesangst im Spätwerk
Doch auch ganz persönliche Erfahrungen ließ er in seine Arbeit einfließen: So strahlen etwa religiöse Symbole wie das Kreuz bei Haring etwas Bedrohliches aus - schließlich hatte er als Teenager einer Sekte angehört, und er machte sich Gedanken um den Einfluss der Fernseh-Prediger in den USA. Zudem lebte Keith Haring zum Höhepunkt der Aids-Epidemie in New York. Selbst mit dem HI-Virus infiziert, sah er Freunde und ehemalige Partner an der Krankheit sterben. Schädel und Leichen in Harings Spätwerk spiegeln seine Todesangst wider.
Aus heutiger Perspektive erscheint Haring als Visionär: Köpfe explodieren wegen des Informations-Überangebots oder ein Fernseher ist als Kopf auf eine Raupe montiert, die viel größer ist als die Menschen, über die sie marschiert. In der Ausstellung im Wiener Albertina Museum wird Harings einzigartige Zeichensprache dechiffriert. Der Künstler, der 1990 an den Folgen seiner Aids-Erkrankung verstarb, wäre am 4. Mai 2018 60 Jahre alt geworden.