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Politik

Politische Zivilgesellschaft unter Druck

30. November 2016

Geldbußen, Haftstrafen, Entzug von Lizenzen: Mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen gehen Regierungen gegen unliebsame NGOs vor. Doch ganz abschaffen lässt sich die Zivilgesellschaft nicht.

Moskau - Wladimir Putin und Abd al-Fattah as-Sisi im Kreml
Der russische Präsident Wladimir Putin (l.) und sein ägyptischer Amtskollege Abdel Fattah al-Sisi Bild: picture-alliance/dpa/APA

Es fehlt nur noch die Unterschrift des Staatspräsidenten. Ist das Papier einmal signiert, werden es Nichtregierungsorganisationen in Ägypten schwer haben. Ihre Arbeit dürfte erheblich eingeschränkt werden.

Unter dem neuen Gesetz müssen sie sich zunächst registrieren lassen. Über die Zulassung entscheidet ein neu zu gründendes Board, das sich aus Vertretern des Innen- und Verteidigungsministeriums sowie Sicherheits- und Aufklärungsdiensten zusammensetzt.

Vertreter von NGOs, die in Ägypten arbeiten, ohne registriert zu sein, können bei Inkrafttreten des Gesetzes zu Haftstrafen von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafen bis zu rund 55.000 ägyptischen Pfund (rund 2.900 Euro) verurteilt werden. Organisationen, die aus dem Ausland mehr als 10.000 ägyptische Pfund (rund 529 Euro) erhalten, brauchen dafür fortan eine Genehmigung.

"Massaker" an der Zivilgesellschaft

Das Gesetz werde zu einem "Massaker" an Menschenrechtsgruppen und NGOs führen, kritisierte Mohamed Zaree, der Vorsitzende des Kairoer Instituts für Menschenrechtsstudien (Cairo Institute for Human Rights Studies) in einer Presseerklärung.

Den neuen Kurs bekommen auch politische Stiftungen aus Deutschland zu spüren. Sie können in Ägypten seit einem Urteil gegen zwei Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung im Jahr 2013 nur noch sehr eingeschränkt oder gar nicht mehr arbeiten. Zuletzt musste die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung Anfang des Jahres das Land verlassen.

Russisches "Agentengesetz" 

Zunehmender Druck auf NGOs, ausländische Stiftungen und Menschenrechtsgruppen ist kein allein ägyptisches Phänomen, sondern lässt sich weltweit beobachten. In Russland etwa sei die Arbeit bereits seit rund fünf Jahren schwieriger geworden, sagt Julius von Freytag-Loringhoven, Leiter des Moskauer Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung.

"Eine Atmosphäre der Angst": Julius von Freytag-Loringhoven von der Naumann-Stiftung in MoskauBild: privat

Im Jahr 2012 wurde ein sogenanntes "Agentengesetz" erlassen, das auf nicht-kommerzielle, politische Aktivitäten zielt. 160 Organisationen sind davon inzwischen betroffen. Das Gesetz erschwere die Arbeit der Stiftung spürbar, so von Freytag-Loringhoven im Gespräch mit der DW.

Viele potenzielle Partner hätten inzwischen Angst vor jeglicher Form der Kooperation mit ausländischen Organisationen. Sie fürchteten, durch die Zusammenarbeit zu ausländischen Agenten erklärt zu werden: "Es ist eine Atmosphäre der Angst entstanden."

Globaler Druck

Auch die Türkei geht seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli verstärkt gegen NGOs vor. So kündigte das türkische Innenministerium am 11. November an, 370 NGOs für drei Monaten die Lizenz zu entziehen. Zu den betroffenen Organisationen zählen nach Angaben von Amnesty International diverse NGOs im Bereich Kinderrechte, Frauen und Armut sowie Anwaltsvereine.

Auch in Israel wird für NGOs die Arbeit schwieriger. Im Juli verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das alle Nichtregierungsorganisationen, die mehr als die Hälfte ihres Geldes von ausländischen Regierungen erhalten, dazu verpflichtet, dies in ihren Veröffentlichungen auszuweisen. Vertreter dieser NGOs müssen bei Aufenthalten im Parlament spezielle Plaketten tragen.

Auflagen, Schikanen, Hetzkampagnen

Die Arbeit der NGOs werde in zahlreichen Ländern systematisch eingeschränkt, schreibt Barbara Unmüßig, Vorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung. Teilweise werde diese Arbeit nahezu unmöglich gemacht. Sie spricht von einer regelrechten Offensive einiger Staaten gegen zivilgesellschaftliches Engagement.

Ebenfalls unter Druck: Kritische Medien in der Türkei Bild: Getty Images/AFP/O. Kose

Dies geschehe "mit Gesetzen, mit bürokratischen und steuerlichen Auflagen und Schikanen, mit Hetzkampagnen in den Medien, mit geheimdienstlichen Methoden und mit offener Repression". Jede Form der Einschränkung scheine erlaubt: "Aktivisten werden verhaftet, Konten eingefroren, Drohungen ausgesprochen, Lizenzen entzogen, Internetseiten blockiert, Registrierungen erzwungen, Büros geschlossen."

Reaktionen der Stiftungen

Die Friedrich-Naumann-Stiftung habe auf die neue Situation reagiert, sagt Julius von Freytag-Loringhoven. Man versuche, in Bereiche auszuweichen, die nicht direkt von diesen Gesetzgebungen betroffen sind. "So machen wir, teilweise mit den gleichen Partnern wie vorher, Projekte etwa zu zeitgenössischer Kunst oder in anderen kulturellen Bereichen." In diesen Bereichen könne man noch offene Diskussionen führen. Dort stünden die Teilnehmer nicht unter dem Verdacht, den Staat politisch anzweifeln zu wollen.

Der harte Umgang mit NGOs ist aber zumindest für die Regierungen wirtschaftlich weniger prosperierender Staaten auch ein Risiko. Denn die Gelder, die aus dem Ausland zu den Organisationen fließen, stellten in manchen Ländern hohe Summen dar, heißt es in einer Studie der medizinischen Hilfsorganisation medico international. Darum hätten die Regierungen ein Interesse daran, die entsprechenden NGOs zumindest formal am Leben zu erhalten. Das aber setzt ein Mindestmaß an Liberalismus ihnen gegenüber voraus.

Probt neue Aktionsformen: Die russische Zivilgesellschaft - hier eine Kundgebung mit Alexej NawalnyBild: DW/N. Batalow

Neue Bürgerbewegungen

In anderen Staaten spielen solche Erwägungen hingegen keine Rolle. Dort können die Regierungen ihre Maßnahmen ohne allzu große Rücksicht durchsetzen. In Russland etwa hätten die Schritte gegen die NGOs durchaus Erfolg, berichtet Julius von Freytag-Loringhoven von der Naumann-Stiftung in Moskau. Die unabhängige Zivilgesellschaft sei von der Bevölkerung zu großen Teilen isoliert.

Sie befinde sich in einem ständigen Abwehrkampf gegenüber dem Justizministerium oder anderen Institutionen. "Auf diese Weise hat sie keine Zeit mehr, Öffentlichkeitsarbeit zu machen." Dadurch würden diese Institutionen immer weiter ins Abseits gedrängt.

Allerdings gebe es auch einen gegenläufigen Trend: Es entstünden immer mehr Bürgerinitiativen, die sich in auf den ersten Blick nicht-politischen Bereichen engagierten - etwa bei sozialen Fragen, in der Stadtplanung oder in Umweltinitiativen. Dadurch wachse die Zivilgesellschaft wieder: "Und damit steigt langfristig auch der Anteil der Bevölkerung, der sein Leben selbst in die Hand nehmen will."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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