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Literatur

Literaturtage mit Etgar Keret und Daniel Kehlmann

Sabine Peschel
4. November 2016

In Berlin trafen sich 18 Autorinnen und Autoren bei den Deutsch-israelischen Literaturtagen. Sie lasen und diskutierten unter dem Titel "Im Neuland" über Flucht und Integration.

Schriftsteller Israel Etgar Keret
Der israelische Schriftsteller Etgar KeretBild: picture-alliance/dpa

Henri Friedlander schuf eine der modernen Schriften des jungen Staates Israel, die hebräische Type "Hadassa". Der jüdische Buchgestalter, der bis zum Beginn der Nazi-Herrschaft die anspruchsvollen Kunden des Insel-Verlags betreute und 1932 nach Holland zog, hatte sich dort während der Nazi-Besatzung jahrelang im eigenen Haus versteckt.

Er war einer von drei nach Israel emigrierten Grafikern, die in den 1950er Jahren den Texten ihrer neuen Heimat ein unverwechselbares Gesicht gaben. Bekannt wurde ihre Geschichte erst im letzten Jahr - durch eine Ausstellung im Rahmen der vielfältigen Kulturaktivitäten zum 50-jährigen Jubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel.

Klaus-Dieter Lehmann, seit 2008 Präsident des Goethe-Instituts, erzählt die Episode anlässlich der Eröffnung der Deutsch-israelischen Literaturtage im Deutschen Theater in Berlin - als eines von vielen Beispielen für die "lebendigen und dynamischen" Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. Und als eines dafür, welche Bereicherung Zuwanderung für ein Land bedeuten kann - und welchen Verlust für das Herkunftsland des Flüchtenden. Flucht und Vertreibung, betont Lehmann, seien die Themen unserer Zeit, in einer Welt, in der 60-70 Millionen Menschen, vorrangig in Afrika, ihre Heimat verloren haben. Integration ist die Aufgabe, die sich in den Zufluchtsländern wie Deutschland stellt, für die Neuankömmlinge und die Aufnehmenden gemeinsam.

Den Blick schärfen für Gemeinsames und Trennendes

Daniel Kehlmann und Etgar Keret im Gespräch mit Moderatorin Shelly Kupferberg bei den Deutsch-israelischen Literaturtagen 2016Bild: DW/S. Peschel

"Im Neuland": Unter diesem literarischen Titel begegnen sich am Wochenende (5./ 6.11.2016) achtzehn deutsche und israelische Schriftsteller in Berlin. Was heißt es, seine Heimat verlassen zu müssen und in der Fremde ein neues, anderes Leben anzufangen? Wie lebt es sich zwischen zwei Welten? Was stiftet Identität? Was bricht sie? Und was geschieht, wenn man im neuen Land zum ungeliebten Gast wird? Viele der Autoren und Autorinnen, darunter Nora Bossong und Thomas von Steinaecker aus Deutschland, Nir Baram und Anat Einhar aus Israel, kennen sich von früheren Begegnungen. "Eine Aufgabe der Deutsch-israelischen-Literaturtage liegt darin, bekannte mit weniger bekannten Autorinnen und Autoren zusammenzubringen", erklärte Ralf Fücks anlässlich der auf den Mittwochabend (2.11.2016) vorgezogenen Eröffnung.

Es ist bereits die 12. Staffel der Deutsch-israelischen Literaturtage, die der Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung gemeinsam mit Klaus-Dieter Lehmann vom Goethe-Institut eröffnete. Seit März 2005 findet das Literatentreffen im jährlichen Wechsel in Tel Aviv und Berlin statt. Und noch immer gelte, betont Fücks, was schon bei der Premiere im März 2005 zur Begründung dieses Projekts geschrieben wurde: "Es soll die Entwicklung von Kultur und Politik beider Länder im Spiegel der Literatur reflektieren. Und es soll ein Forum bieten, die wechselseitige Wahrnehmung zu schärfen: den Blick für das Vertraute und das Fremde, das Gemeinsame und das Trennende. Ja, auch das Trennende. Die Geschichte des großen Judenmords verbindet uns und trennt uns."

Etgar Kerets politischer Alltagshumor

Der links-liberale Bestseller-Autor Etgar Keret war schon bei der Premiere dabei. Jetzt ist er - trotz einer gebrochenen Rippe - zurückgekehrt als einer der beiden Stars des Eröffnungsabends. Kerets Romane und seine zuletzt unter dem biblischen Titel "Die sieben guten Jahre" erschienenen Memoiren zeichnen sich durch humorvolles Understatement aus. Das prägt auch seinen kritischen Blick auf sein Land. "Israel ist anders", sagte der 49-Jährige. "Ich glaube, überhaupt kein Staat in der Welt ist ähnlich. Wenn in den USA ein gutes Buch erscheint, macht man daraus einen Film. In Israel macht man daraus einen Staat." Keret spielte damit an auf Theodor Herzls 1902 in Leipzig erschienen utopischen Roman "Altneuland", eine der Blaupausen des politischen Zionismus und ein Buch von ungeheurer Wirkung für die Staatsgründung Israels. "Tel Aviv" ist die wörtliche Übersetzung des Titels.

Wie sich eine Familie im politischen Alltag der gegenwärtigen israelischen Gesellschaft fühlt, erzählen Kerets literarischen Erinnerungen "Die sieben guten Jahre". Sein erstes nicht-fiktionales Werk ist ein sehr privates und persönliches Buch. Es ist in der Originalausgabe nicht auf Hebräisch, sondern auf Englisch erschienen. Ins Deutsche gebracht hat die Geschichten Daniel Kehlmann, Autor des Weltbestsellers "Die Vermessung der Welt". "Er war meine Ideal-Vorstellung als Übersetzer dieses Buchs, und es war sehr selbstlos von ihm, dass er als vielbeachteter Autor meinen Text übersetzt hat", erzählte Keret im DW-Interview.

"Es gibt keine Verpflichtung für Schriftsteller"

"Jede Auseinandersetzung mit einem sehr guten Text beeinflusst das eigene Schreiben", erklärte Daniel Kehlmann seine Freude an der Übersetzertätigkeit. Für die "Literaturtage" war er extra aus New York, wo er mit seiner Familie gegenwärtig lebt, angereist. Auch bei seinem Schreiben ändern sich die Zeiten: Im Gespräch mit Keret auf dem Podium berichtet er, dass er zum ersten Mal einen politischen Text verfasst habe. Das Publikum kommt in den akustischen Genuss des Anfangs seines neuen Theaterstücks, das als Auftragsarbeit des Wiener "Theater in der Josefstadt" entstanden ist. "Heiligabend" heißt das Werk, das seine Uraufführungen erst 2017 in Wien und in England erleben wird.

Erfolgsautor Daniel Kehlmann reiste aus New York anBild: imago/M. Popow

Ausgangspunkt des verhörartigen Dramas "für zwei Personen und eine Uhr" ist ein Bombenanschlag. Der Autor erklärt es als seine Reaktion auf die Situation der "seltsamen Ratlosigkeit" bei der Frage, in welcher Gefahr man gegenwärtig lebe. Kehlmann, der in einem vielbeachteten Artikel in der New York Times die Flüchtlingspolitik Angela Merkels engagiert verteidigt hatte, besteht trotz seiner neuen politischen Töne auf der Unabhängigkeit des Schreibens: "Es gibt keine Pflicht, sich als Schriftsteller mit irgendetwas auseinanderzusetzen. Es gibt keine Verpflichtung für Schriftsteller, nur die, so gut wie möglich zu schreiben."

Das ist ein Rahmen, in dem sich auch alle Autoren der "Deutsch-israelischen Literaturtage" frei begegnen können.

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