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PolitikAsien

Neuanfang in Bangladesch: Wer sind die Hauptakteure?

Arafatul Islam
7. August 2024

Nach Rücktritt und Flucht der langjährigen Premierministerin Sheikh Hasina sucht Bangladesch nach Stabilität und politischer Richtung. Neue und alte Akteure positionieren sich. Das Land befindet sich am Scheideweg.

Bangladesch Dhaka | Demonstranten stürmen Palast von Sheikh Hasina
Ende der Proteste in Bangladesch: Demonstranten zeigen die Nationalflagge bei der Erstürmung des Amtssitzes von Premierministerin Sheikh Hasina am Montag, 5. August. Die Regierungschefin war zurückgetreten und floh nach Indien.Bild: Mohammad Ponir Hossain/REUTERS

Nach dem Rücktritt und der Flucht ins Ausland von Premier Sheikh Hasina sind Studentenführer, Spitzenpolitiker, Vertreter der Zivilgesellschaft und das Militär miteinander in Kontakt getreten. Sie wollen eine Übergangsregierung formen und Neuwahlen in Bangladesch organisieren. Schon jetzt zeichnet sich ab, wer dabei eine Rolle spielen wird, und wer eher nicht.

Muhammad Yunus hält sich derzeit in Paris aufBild: Michel Euler/AP/picture alliance

Chef der Übergangsregierung: Muhammad Yunus

Die Demonstranten wollten ihn als politische Führung sehen. So wurde der 84-jährige Nobelpreisträger Muhammad Yunus am Mittwochmorgen (Ortszeit) von Präsident Mohammed Shahabuddin zum Chef der Übergangsregierung berufen.

"Yunus ist eine international anerkannte und respektierte Persönlichkeit und selbst ein äußerst erfolgreicher Fachmann", sagt Michael Kugelman, Direktor des Südasien-Instituts am Wilson Center in Washington im Gespräch mit der DW. "Das könnte sich also als kluger Schachzug erweisen, wenn er für diese Rolle bestätigt wird."

Bangladesch: Sieg der Studenten?

03:40

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Yunus hat Millionen Menschen ohne Einkommen in dem südasiatischen Land mit seinem Mikrokredit-System geholfen, sich aus der Armut zu befreien. Allerdings musste er während der Amtszeit von Hasina oft wegen Korruption und Verstoß gegen Arbeitsgesetz und Rentenvorschriften vor Gerichten verantworten. Einige unabhängige Beobachter glauben jedoch, dass diese Prozesse politisch motiviert gewesen seien. Sein Sprecher Lamiya Morshed bestätigte der DW, dass der Ökonom die Aufgabe übernehmen wolle. 

Yunus sei aber in den letzten Jahren zu einem "politischen Blitzableiter" geworden, "da er ein scharfer Kritiker der Regierung von Sheikh Hasina und ein Hauptziel ihres harten Vorgehens gegen Andersdenkende war.

Unterstützer der früheren Regierung werden über diesen Schritt "nicht erfreut" sein. Auch Indien könnte ihn nicht mögen. Damit müsse man "in einem so heiklen politischen Moment vorsichtig umgehen", fügt Kugelman hinzu.

(Archiv) Ex-Premier Khaleda Zia kam vom Hausarrest freiBild: Andrew Biraj/REUTERS

Dauerrivalin von Hasina: Khaleda Zia

Begum Khaleda Zia, genannt Zia, war Ex-Premierministerin, die jahrzehntelang mit Hasina politisch verfeindet war. Zia war die Vorsitzende der oppositionellen Bangladesh Nationalist Party (BNP). Sie wurde 2018 während der Amtszeit von Sheikh Hasina wegen Bestechung zu fünf Jahren Haft verurteilt. Sie selbst bestritt die Vorwürfe und hielt den Prozess, genau wie Muhammad Yunus, für politisch motiviert. Ein höheres Gericht verlängerte später die Strafe auf zehn Jahre. Diese Woche wurde sie von Präsident Mohammed Shahabuddin aus dem Hausarrest entlassen.

Zia war mehrere Monate im Justizvollzug. Im März 2020 durfte sie ihre Strafe zu Hause absitzen, da sich ihr Gesundheitszustand verschlechterte. Die Bedingungen lauteten, dass ihr Wohnsitz in Dhaka bleibt. Sie durfte das Land nicht verlassen.

Ob die 78-jährige Politikerin trotz schlechten Gesundheitszustands in die aktive Politik zurückkehrt, ist unklar. "Es scheint recht wahrscheinlich, dass sich Zia wieder der Politik zuwendet, wenn es ihre Gesundheit erlaubt. Da die Awami-Liga (AL) vom abgesetzten Sheikh Hasina derzeit diskreditiert ist, ist die BNP eindeutig eine der wichtigsten politischen Kräfte in der Politik Bangladeschs, die gut organisiert sind, auch wenn sie in den letzten Jahren durch Repressionen geschwächt wurde", sagt Jasmin Lorch am Deutschen Institut für Entwicklung und Nachhaltigkeit (IDOS) im Interview mit der DW. "Die BNP hat Parteistrukturen, Mitglieder und Anhänger im ganzen Land. Wenn es freie und faire Wahlen gibt, könnte die BNP gut abschneiden, weil viele Wähler nach jahrzehntelanger Unterdrückung Sympathie haben und die BNP womöglich die einzige Alternative zur Awami-Liga angesehen wird."

"Allerdings gibt es auch viele Menschen, die der BNP misstrauen. Das Problem mit Zia und der BNP ist, dass sie während ihrer Amtszeit als Premierministerin ähnliche Missstände begangen haben wie Sheikh Hasina. Die Studentenbewegung zeigt, dass viele Teile der bangladeschischen Gesellschaft nach einem grundlegenderen Wandel streben", betont Lorch.

General Waker-Uz-Zaman "in schwieriger Lage"Bild: DW

Armeechef: Waker-Uz-Zaman

Der 58-jährige General ist seit dem 23. Juni Armeechef für die Streitkräfte mit circa 160.000 aktiven Soldaten in Bangladesch. Er geriet ins Rampenlicht, als er am Montag (05.08.24) den Rücktritt von Premierministerin Sheikh Hasina bekanntgab.

Zaman galt als enger Verbündeter von Ex-Premierministerin Sheikh Hasina und ist mit ihr verwandt. Seine Ehefrau ist die Nichte von Sheikh Hasina.Jetzt entzog er seiner Schwiegertante Berichten zufolge seine Unterstützung und zwang sie zur Ausreise.

Zaman zeigte in der Öffentlichkeit kein Interesse an der Machtausübung und konzentriert sich auf Gespräche mit politischen Parteien, Mitgliedern der Zivilgesellschaft und protestierenden Studenten, um eine Übergangsregierung zu bilden, die freie, faire und inklusive Wahlen für das Land organisieren sollte.

"Der Militärchef befindet sich in einer schwierigen Lage. Er hatte Sheikh Hasina lange Zeit unterstützt und hat eine familiäre Verbindung zu ihr. Aber seine Institution fühlte sich eindeutig unwohl dabei, die Studentenproteste zu unterdrücken", sagt Michael Kugelman der DW.

"Er hat wahrscheinlich die Zeichen der Zeit erkannt und weiß, dass die Öffentlichkeit nicht sehr daran interessiert ist, dass das Militär nach dem Regierungswechsel eine wichtige politische Rolle spielt." Das deute darauf hin, dass das Militär bei den Diskussionen um die Übergangsregierung anwesend sein werde. "Aber es wird hoffen, dass es sich letztlich in den Hintergrund zurücktritt."

Studentenanführer Nahid Islam (m.)Bild: REUTERS

Neues Gesicht: Nahid Islam

Der 26-jährige Nahid Islam studiert Soziologie. Er ist eine der führenden Stimmen in der Studentenbewegung geworden.Seine Mitstreiter und er forderten Reformen der Quotenregelung bei der Vergabe der Regierungsjobs. Der Aufruf erfreut sich steigender Unterstützung in der Öffentlichkeit, insbesondere nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Islam wird in der Öffentlichkeit oft mit einer bangladeschischen Flagge auf der Stirn gesehen. Er wurde während der Proteste von Sicherheitskräften entführt und angeblich brutal gefoltert. Doch anstatt sich zurückzuziehen, führte er die Studentenbewegung schließlich zu einem Massenaufstand gegen die 15-jährige Amtszeit der Ex-Premierministerin Sheikh Hasina.

Islam zeigt ungerne Emotionen und spricht bestimmt. Er sagt, die Studenten würden keine von der Armee geführte oder unterstützte Regierung akzeptieren, und konnte den Nobelpreisträger Muhammad Yunus als Chef der Übergangsregierung durchsetzen.

Sajib Wazed Joy (r.) im Interview mit DW-Reporter Arafatul Islam Bild: DW

Sohn von Sheikh Hasina: Sajib Wazed Joy

Sajeeb Wazed Joy ist der Sohn von Sheikh Hasina. Der 53-Jährige wohnt derzeit im US-Bundesstaat Virginia und kehrt häufig ins Heimatland zurück.

Sajeeb Wazed Joy hat kein offizielles Mandat in der Awami-Liga seiner Mutter. Politisch ist er nicht unerfahren. Er ist Parteimitglied und hatte seine Mutter von Bangladesch in Fragen der Informations- und Kommunikationstechnologie beraten. "Unentgeltlich", wie er sagt. Nach seinem Studium in Bangladesch und den USA gründete er eine IT-Beratungsgesellschaft in Virginia.

Er gilt als möglicher Nachfolger für den Parteivorsitz der Awami-Liga, da er öffentlich im Namen der Familie Hasina und ihrer Partei spricht. Allerdings bestritt er das im DW-Interview. Weder er noch andere Mitglieder seiner Familie hätten vor, in nächster Zeit den Parteivorsitz der Awami-Liga zu übernehmen. Alle außer ihm und seiner Mutter hätten schon lange im Ausland gelebt.

Sajeeb Wazed Joy sagte, er habe in den letzten 15 Jahren während der Amtszeit seiner Mutter hart gearbeitet, um Bangladesch digital aufzustellen. Dass seine Mutter jetzt nach gewalttägigen Demonstrationen zum Rücktritt gezwungen wurde, konnte er nicht verstehen: "Ich habe nichts zu sagen. Wenn die Menschen in Bangladesch so etwas tun, haben wir nichts zu sagen", sagt er im DW-Interview.

Aus dem Englischen adaptiert von Florian Weigand

Arafatul Islam Multimedia-Journalist mit den Schwerpunkten Bangladesch, Menschenrechte und Migration@arafatul