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Politik

Politischer Zerfall in Peru

Isaac Risco
13. Oktober 2022

In dem skandalerprobten Andenland soll erstmals einem Präsidenten der Prozess wegen Korruption gemacht werden. Ob Pedro Castillo gehen muss, ist ungewiss. Aber sicher ist, dass die Krise in Peru kein Ende nimmt.

Peru | Präsident Pedro Castillo
Perus Präsident Pedro Castillo machte bisher eine äußerst unglückliche und überforderte Figur als Staatslenker. Bild: Ernesto Arias/Peru Congress/REUTERS

Die Vorwürfe wiegen schwer: In Peru soll Präsident Pedro Castillo eine "kriminelle Vereinigung" anführen, die seit Castillos Amtsantritt vor rund 15 Monaten für korrupte Machenschaften und Vetternwirtschaft an der Staatspitze des Andenlandes verantwortlich sein soll. Die peruanische Staatsanwältin, Patricia Benavides, berief am Dienstag eigens eine Pressekonferenz in der Hauptstadt Lima ein, um die Anklage gegen den Präsidenten zu präsentieren. Selbst in dem seit Jahren von Korruptionsskandalen erschütterten Peru rief der Vorgang Erstaunen hervor.

In aller Öffentlichkeit warf Benavides demunbeliebten linken Präsidenten ein "abscheuliches" Verhalten vor. Der frühere arme Dorflehrer habe in den vergangenen Monaten "aus Gier" den Staatsapparat umgebaut und ihm ergebene Funktionäre mit dem Ziel ernannt, die Staatskassen zur persönlichen Bereicherung systematisch zu plündern.

Die Korruptionsvorwürfe gegen Castillo sind nicht neu, aber es ist das erste Mal, dass die oberste Strafverfolgungsbehörde des Landes einen amtierenden Präsidenten auf die Anklagebank setzen will - und das Parlament nun um die Aufhebung der Immunität Castillos bittet. Sollte der Kongress dem zustimmen, würde der Staatschef wahrscheinlich von seinen Funktionen suspendiert. Ist damit das Ende der kurzen und turbulenten Präsidentschaft Castillos in Peru nun endgültig eingeläutet?

Hinter Gittern - Die Demonstranten in Peru zeigen Perus Präsidenten Pedro Castillo bereits in Haft.Bild: Martin Mejia/AP Photo/picture alliance

Das Chaos unter Castillo

Tatsächlich haben die vergangenen Monate Perus fragile Demokratie noch tiefer in eine seit Jahren anhaltende politische Krise gestürzt. Castillo kam 2021 als Außenseiter an die Macht, den Wahlsieg an der Spitze einer kleinen Provinzpartei mit einem radikalen linken Programm verdankte er vor allem dem dramatischen Vertrauensverlust der Peruaner in ihre demokratischen Institutionen nach jahrelangen Korruptionsskandalen.

Die diskreditierten politischen Eliten des Landes hatten den aus armen Verhältnissen stammenden indigenen Präsidenten aber nie akzeptiert. Der Wahlsieger wurde ohne Beweise des Wahlbetruges beschuldigt, in seinen ersten acht Monaten im Amt gab es gleich zwei Versuche im Kongress, ihn wegen hanebüchener Vorwürfe des Amtes zu entheben. Nun konnten die Bemühungen endlich das erwünschte Ergebnis erzielen, da das Parlamentsvotum gegen Castillo wohl keine Zweidrittelmehrheit wie bei früheren Anläufen benötigt.

Castillo selbst war bislang aber auch ein äußerst unglücklich, ja überfordert agierender Staatslenker. Einen klaren politischen Kurs hatte er nie, seine Regierung wechselte er teilweise im Wochentakt aus. Selbst linke Verbündete distanzierten sich vom Präsidenten. Schwerer als Castillos eklatante Schwächen und sein Unvermögen scheinen aber nun die Korruptionsvorwürfe zu wiegen.

Die vergangenen Monate haben Perus fragile Demokratie noch tiefer in eine seit Jahren anhaltende politische Krise gestürztBild: SEBASTIAN CASTANEDA/REUTERS

"Es gibt seit langem Indizien, die den Präsidenten und sein nächstes Umfeld belasten", glaubt der peruanische Politikwissenschaftler Alonso Cárdenas. "Es ist ziemlich klar, dass die Korruptionsfälle ihn erreichen", sagt er der DW. Im Land ist deswegen nicht nur in Kreisen der radikalen rechtsgerichteten Opposition, sondern auch in weiten Teilen der Gesellschaft der Ruf nach einem Ende des Chaos und der Absetzung des Präsidenten, koste es was es wolle, laut geworden. In Peru herrscht seit langem eine politische Untergangsstimmung.

Zweifel über die Rechtmäßigkeit der Anklage

Unter Verfassungsrechtlern und politischen Beobachtern ist nun die Debatte entbrannt, ob sich die mögliche Suspendierung Castillos mit den Prinzipien des Rechtsstaats vereinbaren lässt. In der Tat stellt die peruanische Verfassung hohe Hürden für eine mögliche Absetzung des Präsidenten auf. Die Korruptionsanschuldigungen der Staatsanwaltschaft gegen Castillo fallen nach Ansicht des Verfassungsjuristen Omar Cairo nicht darunter.

"Laut Verfassung hat das Parlament keine andere Wahl und muss die Anklage als unzulässig zurückweisen", erklärt er. Der Verfassungsrechtler Edward Dyer sieht das ähnlich. "Der Präsident kann während seiner Regierungszeit nur wegen Landesverrat angeklagt werden, oder wenn er die Arbeit der Wahlbehörden oder des Parlaments behindert", sagt Dyer. Castillo selbst wies die Vorwürfe der Staatsanwältin zurück und sprach von einem versuchten "Staatsstreich".

Der Politologe Cárdenas glaubt indes, dass am Ende der politische Überlebenswille der Abgeordneten entscheidender sein könnte als alle möglichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn das Parlament selbst wird von den Bürgern auch als korrupt angesehen, nur sechs Prozent der Peruaner sind mit dessen Arbeit zufrieden. Wenn die Abgeordneten Castillo stürzen, sagt Cárdenas, wird die Bevölkerung womöglich auch vorgezogene Präsidentschafts- und Parlamentswahlen fordern. "Und das interessiert das Parlament nicht."

Peru kommt seit Jahren nicht zur RuheBild: Harold Mejia/AA/picture alliance

Kein Ausweg aus der Krise

Gut möglich also, dass Castillo den jetzigen Frontalangriff der Staatsanwaltschaft politisch überlebt, auch wenn die Luft für ihn immer dünner wird. Denkbar ist aber auch, dass die Opposition die wenigen fehlenden Stimmen für eine einfache Mehrheit gegen Castillo im Kongress organisieren kann. "Es gibt eine große Ungewissheit", fasst der Verfassungsrechtler Dyer die Lage zusammen. Als sicherer gilt dagegen, dass die politische Dauerkrise im Land weitergehen wird.

"Was wir in Peru seit Jahren sehen, ist der Zerfall der politischen Institutionen", sagt der Politologe Cárdenas. Die Ereignisse der vergangenen Jahre scheinen ihm Recht zu geben. Alle demokratisch gewählten Präsidenten seit dem Ende des autoritären Regimes von Alberto Fujimori im Jahre 2001 sind der Korruption beschuldigt worden.

Allein seit 2016 gab es fünf verschiedene Staatschefs, sollte Pedro Castillo jetzt vorzeitig aufgeben müssen, wäre er mit knapp über einem Jahr im Präsidentenpalast aber der drittlängste Präsident im Amt in dieser Periode. Manuel Merino, der 2020 das Ruder nach der umstrittenen Amtsenthebung seines Vorgängers Martín Vizcarra übernahm, musste nach blutigen Straßenprotesten seine Koffer sogar nach nur fünf Tagen wiederpacken.

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