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Politisches Erdbeben in Polen

Elzbieta Stasik11. Juni 2015

Rund drei Wochen nach der Präsidentschaftswahl und vier Monate vor den geplanten Parlamentswahlen mischt die regierende Bürgerplattform (PO) von Premierministerin Ewa Kopacz die Karten neu.

Polen Ministerpräsidentin Kopacz verkündet Rücktritte von Ministern (Foto: EPA/RADEK PIETRUSZKA (c) dpa - Bildfunk+++ )
Bild: picture-alliance/dpa/R. Pietruszka

Die Überraschung war perfekt. Am Mittwochabend kündigte Polens Ministerpräsidentin Ewa Kopacz (Artikelbild) den Rücktritt von drei Ministern an: Privatisierungsminister Wlodzimierz Karpinski, Gesundheitsminister Bartosz Arlukowicz und Sportminister Andrzej Biernat. Zurückgetreten sind auch Parlamentspräsident Radoslaw Sikorski, drei Staatssekretäre und der Chefberater der Regierungschefin, der ehemalige Finanzminister Jacek Rostowski. Auch der Generalstaatsanwalt muss sein Amt räumen. Zu diesem politischen Erdbeben kam es einen Tag nach der Veröffentlichung von Ermittlungsakten zur Affäre um belauschte Politikergespräche.

Lauschangriff mit schwerwiegenden Folgen

Die zurückgetretenen Minister gehören zu Kopaczs Partei, der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO). 2014 wurden sie - zusammen mit anderen Politikern - zu Opfern eines Lauschangriffs: Das Nachrichtenmagazin "Wprost" veröffentlichte illegal mitgeschnittene Gespräche. Die privaten Gespräche in einem noblen Warschauer Restaurant waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. So verabredeten sich Innenminister und Notenbankchef wegen der geplanten Entlassung des damaligen Finanzministers, andere Politiker sagten, dass der Wirtschaftsminister angeblich unprofessionell mit dem polnischen Bergbau umgehe.

Die stärksten Reaktionen löste aber die Wortwahl des damaligen Außenministers Radoslaw Sikorski aus, der sich abschätzig zum Verhältnis zwischen Europa und den USA äußerte. Den damaligen polnischen Premierminister Donald Tusk kostete die Affäre beinahe das Amt. Nachdem er aber die Vertrauensfrage im Parlament stellte, bekam er die nötige Unterstützung der Abgeordneten - und die Affäre schien vom Tisch zu sein. Doch ein Jahr nachdem die ersten illegalen Aufzeichnungen in der Öffentlichkeit aufgetaucht waren, hat ein polnischer Geschäftsmann zahlreiche Dokumente aus den Ermittlungsakten auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht.

Ein Schachzug zugunsten der Partei?

Jetzt sind die illegalen Aufzeichnungen das alles beherrschende Thema in Polen. Die aktuelle Regierung gerät zunehmend unter Druck. "Auf das Funktionieren des Staates hat das einen negativen Einfluss", erklärte Regierungschefin Kopacz auf einer Pressekonferenz. "Solange ich die Ministerpräsidentin bin, werde ich nicht zulassen, dass die Akten eine Rolle im Wahlkampf spielen." Und sie handelte entschlossen. Durch die Rücktritte der Minister sollte der Druck von der Partei genommen werden: Damit keine Politiker der Bürgerplattform (PO) in Skandale verwickelt sind. Kopacz entschuldigte sich auch bei den Wählern für die Affäre. Radoslaw Sikorski, ebenfalls PO-Politiker und prominentestes Opfer der Abhöraffäre, sprach von einem Rücktritt "zugunsten der Partei".

Auch Polens Parlamentspräsident Sikorski tritt zurückBild: picture-alliance/dpa/P. Supernak

Die Parlamentswahlen in Polen sollen im Oktober stattfinden. Viel Zeit für den Wahlkampf ist nicht geblieben. Und die regierende PO ist geschwächt. Erst vor knapp drei Wochen hat der Kandidat der oppositionellen nationalkonservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), Andrzej Duda, die Präsidentschaftswahl gewonnen. Außerdem werfen polnische Medien der Regierungschefin vor, sich nicht genug um die Aufklärung der Lauschangriff-Affäre gekümmert zu haben. Jetzt muss sie schnell handeln.

Die Minister seien allerdings nicht freiwillig zurückgetreten, behaupten polnische Medien: Kopacz habe sie dazu gezwungen. Die Umbildung der Regierung war schon seit Wochen geplant, wurde aber immer wieder verschoben. Doch die Veröffentlichung der Ermittlungsakten zu dem Abhörskandal hat die Lage verschärft.

Schwere politische Krise

"Kopacz hat alle umstrittenen Politiker der Bürgerplattform beseitigt", sagte der Soziologe Jacek Raciborski von der Warschauer Universität im polnischen Rundfunk. Es sei ein Schachzug im Wahlkampf, der allerdings nicht unbedingt funktionieren müsse. "Wenn die Wähler das erkennen, werden sie nur irritiert sein", so Raciborski.

Auch der polnische Politik-Experte Jaroslaw Flis ist der Meinung, dass diese Entscheidung der Partei nicht hilft. "Der Wechsel in der Regierung zeigt, wie schwerwiegend die politische Krise ist", sagte Flis der polnischen Nachrichtenagentur PAP. Die Regierungschefin sollte ihre Entscheidung aber nicht mit der Absicht begründen, die Umfragewerte der Regierung und der Partei zu verbessern, mahnt Flies.

Sieben Jahre lang hat PO-Spitzenpolitiker Donald Tusk Polen regiert. Nachdem er im September 2014 Präsident des Europäischen Rates wurde, übernahm Ewa Kopacz sowohl die Funktion der Regierungschefin als auch den Vorsitz der Bürgerplattform. Sie sollte Polen ein Jahr lang bis zu den Parlamentswahlen regieren. Nachdem die Ermittlungsakten veröffentlicht wurden, entschied sie sich für eine radikale Erneuerung.

"Die Abhöraffäre dauert ein Jahr, die Konsequenzen werden erst jetzt gezogen", sagte der gewählte Präsident Andrzej Duda, der sein Amt am 6. August antritt. Das Vertrauen in die Regierung sei "aufgebraucht" worden.

Am Donnerstag hat die Linkspartei SLD einen Antrag auf Selbstauflösung des Parlaments gestellt, um den Weg zu Neuwahlen freizumachen. Die Chancen auf Erfolg sind aber gering: Die Linkspartei hat nur 35 der 460 Parlamentsmandate, die Regierungskoalition hat zusammen über 200 Abgeordnete.

Umfragen zufolge würde die Bürgerplattform von Regierungschefin Kopacz im Moment nur 24 Prozent der Stimmen bekommen, während die oppositionelle PiS von Präsident Andrzej Duda mit rund 32 Prozent rechnen könnte.

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