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PolitikPolen

Polizei am Krankenbett - Diskussion um Abtreibung in Polen

Jacek Lepiarz (aus Warschau)
21. Juli 2023

Eine junge Polin nimmt eine Abtreibungspille ein und löst damit einen Polizeieinsatz aus. Ging es um das Wohl der Frau oder darum, Beweismaterial für einen Schwangerschaftsabbruch zu sammeln?

Protest gegen Abtreibungsgesetz, Menschen Halten Protestplakate hoch.
"Mein Körper, meine Entscheidung", diese Meinung vertritt nicht nur diese Demonstrantin, viele Polinnen und Polen zieht es gegen das rigide Abtreibungsverbot auf die Straße, hier Mitte JuniBild: WOJTEK RADWANSKI/AFP/Getty Images

Der Vorsitzende der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski, umgibt sich bei Wahlveranstaltungen gern mit Frauen und hofiert sie in altpolnischer Manier mit Handkuss. In Wirklichkeit aber steht seine rechtsnationale Partei vor allem mit den jüngeren Frauen in Polen auf Kriegsfuß.

Ein immer engeres Bündnis der polnischen Regierung mit der katholischen Kirche hat in den vergangenen Jahren zur radikalen Verschärfung des Abtreibungsrechts geführt. Das polnische Verfassungsgericht, das von der PiS kontrolliert wird, hat 2020 selbst die Gefahr einer schweren Fehlbildung des Fötus als Voraussetzung für den Abbruch gestrichen. Das hat ein Klima der Angst und des Misstrauens unter Ärzten und Frauen geschaffen.

Protest gegen das strenge Abtreibungsrecht in Polen, das schon mehrere Frauen das Leben gekostet hat (am 14.06.2023 in Warschau)Bild: Kacper Pempel/REUTERS

Der jüngste Zwischenfall im Zusammenhang mit dem rigiden Abtreibungsverbot fand bereits Ende April statt, wurde aber erst in dieser Woche publik gemacht: Joanna, eine junge Polin aus Krakau, hatte eine Abtreibungspille genommen, weil sie fürchtete, dass eine Schwangerschaft ihre Gesundheit gefährden würde. Nach einigen Tagen konsultierte sie wegen anhaltender Angstzustände ihre Psychologin. Diese fürchtete, ihre Patientin könne Suizidabsichten hegen und alarmierte den Rettungsdienst. Kurz darauf standen vor Joannas Wohnungstür nicht nur ein Notarztteam, sondern auch eine vom Notdienst informierte Polizeistreife.    

Das Drama begann im Krankenhaus

Das Drama der jungen Frau begann nach ihrer Einlieferung in ein Militärkrankenhaus. Obwohl Joanna Selbsttötungsabsichten bestritt, beschlagnahmten die Polizisten ihren Laptop und verlangten die Herausgabe des Handys. Sie umringten die Patientin, überwachten sie und behinderten damit den Einsatz der Ärzte, die dagegen protestierten.   

Streit um Abtreibungen - Polinnen unter Druck

28:36

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Nach der Verlegung in ein anderes Krankenhaus zu weiteren Untersuchungen gingen die Schikanen weiter. Zwei herbeigerufene Polizistinnen forderten die Frau auf, sich nackt auszuziehen, in die Hocke zu gehen und zu husten. "Ich blutete noch und habe mich geweigert, den Slip auszuziehen", sagte Joanna am Donnerstag (20.07.2023) in einem Interview mit dem Fernsehsender TVN. "Es war so demütigend", fügte sie weinend hinzu. "Ich fühlte mich machtlos."

Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen ein und berief sich unter anderem auf Artikel 152, Paragraf 2 des Strafgesetzbuches, der besagt, dass jeder, der einer schwangeren Frau bei einem Abbruch der Schwangerschaft hilft oder sie dazu überredet, mit einer Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren rechnen muss. 

Das magische Wort Abtreibung

"Ich habe wiederholt bestätigt, dass ich die Abtreibungspille selbst im Internet gekauft habe und dass mir niemand dabei geholfen hat", versicherte Joanna im Gespräch mit TVN. In Polen ist es nicht strafbar, sich selbst ein Medikament zum Schwangerschaftsabbruch im Internet zu kaufen und es einzunehmen. Nur die Beihilfe ist verboten. "Die Polizisten haben trotzdem ständig von einer Straftat gesprochen", ergänzte Kamila Ferenc, Anwältin der Stiftung für Frauen und Familienplanung Federa, die Joanna rechtlich vertritt.

Setzt sich gegen das Abtreibungsverbot ein: der linke EU-Abgeordnete Robert Biedron, hier während einer Anti-Regierungsdemonstration in Warschau Anfang JuniBild: Klaudia Radecka/NurPhoto/picture alliance

"Es war das magische Wort 'Abtreibung', das die übereifrigen Polizisten zu dieser Großaktion ermuntert hat", meinte die Psychologin Maja Herman. Von einer "organisierten Hexenjagd" auf Frauen und einem "barbarischen Abtreibungsrecht" sowie "Polizisten, die sich bei PiS einschmeicheln wollten"  sprach der linke EU-Abgeordnete Robert Biedron.

Polizeichef meldet sich zu Wort

Angesichts der großen Aufregung in den Medien meldete sich am Donnerstag der sonst eher schweigsame polnische Polizeichef Jaroslaw Szymczyk zu Wort. "Die dramatische Lage, in der sich Joanna befand, war nicht von der Polizei verschuldet", versicherte er. Nach seiner Darstellung dienten alle Polizei-Maßnahmen dem Schutz der Frau und anderer potenzieller Kundinnen von Abtreibungspillen.

Polizeichef Jaroslaw Szymczyk, hier bei einer Veranstaltung am 27.07.2022, nimmt die Polizei vor Vorwürfen in SchutzBild: Artur Widak/NurPhot/picture alliance

Die Beschlagnahmung des Laptops und des Handys sollten dabei helfen, den Verkäufer der Abtreibungspille und das Medikament zu identifizieren, um auszuschließen, dass die Pille gesundheitsschädliche Folgen haben könnte. Auch dass Joanna sich vor den Beamtinnen entkleiden sollte, habe einen wichtigen Zweck gehabt: Die Beamten hätten auf Nummer sicher gehen wollen, dass sie keine Gegenstände versteckt habe, die sie zur Selbsttötung hätte verwenden können. 

Tusk ruft zum Protestmarsch auf

Der polnische Oppositionsführer Donald Tusk schaltete sich schnell in die Debatte ein. "Joanna wurde gedemütigt. Aber nicht nur sie", sagte der Chef der Bürgerplattform PO, der größten Oppositionspartei Polens. Seit 2020 sind nach Recherchen des Europaparlaments von 2022 mindestens sechs Frauen in Polen gestorben, weil Ärzte einen medizinisch notwendigen Schwangerschaftsabbruch aus Angst vor Folgen oder aus Gewissensgründen zu spät oder gar nicht vornahmen.

"Ein von der PIS regiertes Polen bedeutet nicht nur, dass der Staatsanwalt, die Polizei und der Priester ins Krankenhaus oder in die Frauenarztpraxis kommen und dort grausame Kontrollen durchführen, die zu einer Tragödie führen können. Es geht auch um die Gelüste von Kaczynski und (Justizminister) Ziobro, brutal in unser, in euer Leben einzugreifen", so der PO-Chef. Tusk rief zum "Marsch von einer Million Herzen" am 1. Oktober auf. Die Polen sollten damit zeigen, dass sie die PiS an der Macht nicht mehr wollten. "Niemand soll zweifeln, dass die guten Menschen in der Mehrheit sind", so Tusk. Am 4. Juni hatten in Warschau etwa eine halbe Million Menschen gegen die Regierungspolitik demonstriert. 

Slawomir Mentzen, Chef der rechtspopulistischen Partei KonfederacjaBild: Cezary Aszkielowicz/Agencja Wyborcza/REUTERS

Die Angst polnischer Frauen vor repressiven Abtreibungsvorschriften dürfte in naher Zukunft eher noch wachsen. Seit Monaten verzeichnet die Konfederacja, ein Sammelbecken nationalistischer und neo-liberaler Gruppierungen, steigende Zustimmungswerte. Die letzten Umfragen sehen die Partei bei 15 Prozent und mehr. Ihr Chef Slawomir Mentzen forderte 2019 ein totales Abtreibungsverbot und Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren für den Abbruch, sowohl für Ärzte als auch für betroffene Frauen. Politische Beobachter schließen nicht aus, dass die PiS nach den Wahlen eine Koalition mit Konfederacja eingehen könnte.       

Die Parlamentswahlen in Polen finden im Oktober statt. Der konkrete Termin steht noch nicht fest.  

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.
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